Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Ein Dach für die Demokratie

"Thomas Mann: Democracy will win!" im Literaturhaus München ist vom Exilhaus des Schriftstellers im kalifornischen Pacific Palisades inspiriert

Von Antje Weber

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr? Wie auch immer sich das Jahr entwickeln mag: Das Literaturhaus am Salvatorplatz hat vorgebaut. Ganz fertig sieht das Gebäude allerdings nicht aus, das die Ausstellungsmacher Costanza Puglisi und Florian Wenz in den Saal im Erdgeschoss hineingezimmert haben: Die Fassade des einstigen Wohnhauses von Thomas Mann in Pacific Palisades ist zwar so hoch wie im Original, dünnt aber zum Dach hin ziemlich aus. Luft nach oben, mit Absicht.

Denn dieses Haus ist unübersehbar "ein Symbol für eine immer im Bau befindliche Demokratie", wie die Literaturhaus-Leiterin Tanja Graf sagt. Überhaupt ist die Ausstellung "Thomas Mann. Democracy will win!" letztlich ein einziges Plädoyer: dafür, die einsturzgefährdete Demokratie ständig weiterzuentwickeln, ihr Gerüst zu stabilisieren. Es geht, um es mit den Worten Manns zu sagen, um ihre "Erneuerung im Gedanken und im Gefühl".

Das klingt ziemlich staatstragend, und nicht nur Zitate von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier stützen diesen Eindruck durchaus. Doch zugleich, das sei zur Entwarnung nachgeschoben, ist in dieser wohldurchdachten Ausstellungskonzeption auch kalifornische Leichtigkeit zu spüren: Von großen Fensterbildern her scheinen sonnendurchflutete Palmen eine leichte Brise zum Hausgerüst herüberzufächeln; am Saalende schließlich wird man sogar auf die nachgebaute Terrasse treten können. Die Gesamtanlage lässt, des gewichtigen Themas zum Trotz, viel Raum zum Atmen. Wer dieses Haus im Haus betritt, lässt sich jedenfalls auf eine kontrastreiche Ausstellung ein; hoch aktuell, ähnlich wie die derzeitige Erika-Mann-Ausstellung der Monacensia. Denn was Thomas Mann 1938 feststellte, gilt ja auch für die Gegenwart: dass "Demokratie heute kein gesichertes Gut, dass sie angefeindet, von innen und außen her schwer bedroht, dass sie wieder zum Problem geworden ist".

Die Idee sei ihr vor zwei Jahren gekommen, sagt Tanja Graf: als der Bundespräsident das einstige Exil-Domizil als neues "Thomas Mann House" einweihte; als er in jenem Garten, in dem Ehefrau Katia zwischen 1942 und 1952 Zitronen pflückte, symbolisch ein neues Bäumchen pflanzte. Weitere Nahrung bekam die Idee durch das Buch "Das Weiße Haus des Exils", in dem sich der in München lebende Mann-Enkel Frido an Kindheitsmomente erinnert und sie in Bezug zur Gegenwart setzt; Details dazu finden sich in einem Kabinett der Ausstellung. Viele Gespräche, Recherchen und Kooperationen später jedenfalls entschlossen sich Graf und ihr Team, nicht nur die Fassade des Hauses nachzubauen, sondern den Saal dahinter in einen Innen- und einen Außenraum zu gliedern: Damit bekommen die Besucher zwei völlig unterschiedliche Teile und Zeiten präsentiert.

Der beengtere Innenraum ist als eine komprimierte Version von Thomas Manns Arbeits- und Wohnzimmer gedacht. Sessel und Stehlampen auf Teppichen sollen bürgerliche Behaglichkeit widerspiegeln. Durch ein Fenster sind jedoch Ruinen zu erkennen - als Sinnbild dafür, dass sich Mann auch im Exil am nationalsozialistischen Regime in Deutschland abarbeitete. Denn es war ja ein langer Weg, der den Lübecker Kaufmannssohn nach Los Angeles und zu seinem Engagement für die Demokratie führte. Unter Oberbegriffen wie "Herkunft", "Zeitgeist"oder "Bekenntnis", die man im zweiten Teil der Ausstellung mit anderer Aufladung wiederfinden wird, ruft die Ausstellung daher wichtige Stationen seiner politischen Biografie auf.

Dabei werden, und das macht Thomas Mann als Beispiel so interessant, natürlich weder seine Irrungen und Wirrungen ausgelassen noch seine Zweifel. Wie sich unter anderem an seinen "Betrachtungen eines Unpolitischen" von 1918 ablesen lässt, dauerte es etliche Lebensjahre und Zwistigkeiten mit Bruder Heinrich, bis sich Thomas vom Monarchisten zum Demokraten wandelte. In den frühen Jahren der Weimarer Republik wurde der erfolgreiche Schriftsteller zwar zu ihrem Fürsprecher, hielt sich öffentlich jedoch zurück. Erst auf Drängen seiner Kinder Klaus und Erika bezog er 1936 deutlich Stellung gegen die Nationalsozialisten. Die Folgen waren drastisch: Der Nobelpreisträger wurde ausgebürgert und ging ins Exil in die Schweiz, später in die USA; eine Notwendigkeit, wie Thomas Mann im Tagebuch schreibt, "die ich, entgegen der Versteiftheit meiner 58 Jahre, geistig gut heiße und bejahe".

Mancher Versteiftheit, die man auch seinem Englisch anmerkt, zum Trotz: Geistige und physische Unbeweglichkeit im Exil kann man dem Schriftsteller wahrlich nicht vorwerfen. Die Reiserouten von fünf großen Vortragsreisen, die ihn quer durch Amerika führten, sind in der Ausstellung auf einer Karte mit beeindruckend vielen Fähnchen dargestellt: Thomas Mann zeigte Flagge. "Es ist ein schreckliches Schauspiel, wenn das Irrationale populär wird", sagte er zum Beispiel 1943 in einer berühmten Rede in der Library of Congress. In Aufsätzen beschimpfte er Hitler schon mal deutlich als "verhunzten" Charakter. Und in 58 Radioansprachen für die BBC ließ der Schriftsteller ebenfalls keinerlei Zweifel an seiner Meinung - und an den Fakten. So sprach er zum Beispiel im Jahr 1942 zu den "Deutschen Hörern" über die "Todesgrube" des Warschauer Ghettos und fragte maliziös: "Wisst ihr Deutsche das? Und wie findet ihr es?"

Etliche dieser Radioansprachen kann man nachhören in dieser Ausstellung, die nebenbei auch den Wandel der Medien illustriert; vom Grammophon zum Video. Denn verlässt man nun die Innenwelt Thomas Manns und betritt die Außenwelt der weitläufigen, sanft geschwungenen Terrasse, sieht man sich in Würfeln zusammengestellten Monitoren gegenüber. Die Debatten von einst stehen in einem engen Zusammenhang mit den Debatten von heute, will man hier zeigen, mit unglaublich vielen, teils ikonischen Filmschnipseln. Da ist dann in schnellen Schnitten Schluss mit jeder musealen Beschaulichkeit.

Denn sehr gegensätzliche kurze Sequenzen sollen die Betrachter zum Nachdenken bringen. Zum Beispiel beim Thema Herkunft: Wie wichtig sind Fragen der Zugehörigkeit heute noch? Zu sehen sind Aufnahmen des Schriftstellers Saša Stanišić ebenso wie herzzerreißende Bilder von geflüchteten "Boatpeople", ob während des Vietnamkriegs vor vierzig oder auf dem Mittelmeer vor zwei Jahren. Martin Luther King spricht 1965 davon, "die Versprechen der Demokratie wahr zu machen", Joan Baez singt "We Shall Overcome", Rainer Werner Fassbinder diskutiert mit seiner Mutter über RAF-Terrorismus. "Das Sprechen ist eine Form des Handelns", sagt Hannah Arendt, und neben ihr sieht man Edward Snowden sprechhandeln, Greta Thunberg, Igor Levit, Donald Trump oder chilenische Feministinnen.

Am Haus der Demokratie weiterzubauen ist eine komplexe Aufgabe, die alle fordert; das macht diese Ausstellung deutlich. Was den Staat betreffe, lebten wir ja in einem alten Haus, schreibt etwa der Schriftsteller Lukas Bärfuss in einem Katalogtext: "Wir haben Fenster und Türen ausgewechselt, wir haben neue Böden verlegt - aber die tragenden Wände und die Fundamente wurden niemals angetastet". Bietet dieses alte Haus der Demokratie heute noch ausreichenden Schutz? Auch das Dach sollte man ja nicht vernachlässigen; sonst werden wir bei Regen nass.

Thomas Mann: Democracy will win!, Literaturhaus, Salvatorplatz, 28. Mai bis 4. Okt., täglich 11 - 18 Uhr

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Quelle:
SZ vom 27.05.2020
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