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Literaturfest-Forum: Eindrücke und Fazit: Serhij Zhadan bewegt bei seiner Literaturfest-Lesung samt Konzert im Muffatwerk viele Menschen.

Serhij Zhadan bewegt bei seiner Literaturfest-Lesung samt Konzert im Muffatwerk viele Menschen.

(Foto: Pierre Jarawan)

Von Serhij Zhadan in der Muffathalle bis zu Juri oder Sofia Andruchowytsch im Literaturhaus: In ihren Texten, in Musik und Bildern erzählen in der zweiten Hälfte des Literaturfest-Forums insbesondere ukrainische Autorinnen und Autoren von Vergangenheit und Gegenwart.

Von Antje Weber

Seine Energie wirkt unerschöpflich. Gerade noch hat Serhij Zhadan vor Hunderten Zuhörern in der vollen Muffathalle gesprochen und Standing Ovations bekommen. Er hat danach fast anderthalb Stunden lang die Bücher einer unfassbar langen Schlange Wartender signiert. Um jetzt am späten Montagabend mit seiner Ska-Band Zhadan i Sobaky noch druckvoll Stimmung im Ampere zu machen: Selbst als in der letzten Stunde vor Mitternacht so manche erschöpft nach Hause gehen, Zhadan powert für einen begeisterten Kern junger Ukrainer einfach weiter. Da gibt einer alles im Dienste einer Sache, die er als existenziell wichtig erkannt hat. Da hat einer seine Rolle nicht nur gefunden, sondern auch angenommen.

Serhij Zhadan ist irgendetwas zwischen Literatur- und Popstar, und er ist - nicht erst seit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels - auch so etwas wie ein Kultur-Botschafter innerhalb und außerhalb seines Landes. Mit unterschiedlichsten, oft selbst gestellten Aufgaben, die von Hilfstransporten fürs Militär bis zu Auftritten in Charkiwer U-Bahn-Stationen reichen. Ein trotziges Lied wie "Metro" hat er jenen Kellerkindern gewidmet, seine im Buch "Himmel über Charkiw" dokumentierten Nachrichten aus dem Krieg erzählen davon, und auch in der Muffathalle beschwört Zhadan die Kraft gemeinsamen Singens. Dessen Funktion ist ihm klar: "Es geht hier um die Überwindung der Angst."

Die Klarheit, die er in den vergangenen Monaten insgesamt gefunden habe, man spürt sie an diesem Literaturfest-Abend. In diesem "sehr ungerechten Krieg" ist Zhadan von einer "Kraft der Gerechtigkeit" überzeugt. Seine unmissverständliche Botschaft lautet, ungeachtet der Situation "Mensch zu bleiben", die Hoffnung zu bewahren und dafür an sich selbst zu arbeiten: "Die wichtigste Arbeit passiert in uns." Und wenn außerhalb von uns konkret noch etwas Geld für die Armee zusammenkommt, wie bei der Versteigerung eines Buches beim Konzert - umso besser.

Zhadans Auftritt kann man wohl als energetischen Höhepunkt des Literaturfest-Forums bezeichnen. Und auch wenn zum Beispiel ein Literaturhaus-Podium mit seinem älteren Kollegen Juri Andruchowytsch tags zuvor selbstredend leiser wirkte: Auch diesem Schriftsteller kann man sich über die Musik nähern. In seinem Roman "Radio Nacht" führt, ähnlich wie in Zhadans neuem Buch, ein QR-Code zu einer Playlist. Andruchowytsch hat mit dieser bereits vor dem Krieg entstandenen Road Novel, die vor dem Hintergrund einer friedlichen Revolution eines ungenannten post-totalitären Landes spielt, eine "Zeitreise" unternommen - und viel Musik gehört: "Es gibt in diesem Roman keinen Satz, der ohne Musik geschrieben wurde."

Literaturfest-Forum: Eindrücke und Fazit: Keine einfachen Antworten: Yevgenia Belorusets und Katja Petrowskaja am Dienstag im Gespräch mit Ilma Rakusa (von links).

Keine einfachen Antworten: Yevgenia Belorusets und Katja Petrowskaja am Dienstag im Gespräch mit Ilma Rakusa (von links).

(Foto: Catherina Hess)

Der Musik stellt Tanja Maljartschuk als Kuratorin des Literaturfest-Forums an einem weiteren Abend das Bild entgegen: Die Autorinnen Yevgenia Belorusets und Katja Petrowskaja setzen sich jeweils intensiv mit der Fotografie auseinander. Überhaupt hatte Maljartschuk ihr anregendes, so melancholisch wie doch auch hoffnungsvoll stimmendes Forum "Frei sein", das an diesem Donnerstag mit einem finnisch-tschechischen Podium endet, klug komponiert. Natürlich ist nicht alles bei einem solchen Festival berechenbar, nicht jede Runde harmoniert; das gehört dazu.

Wichtiger jedoch sind die mit einem solchen Literaturfest gebahnten Spuren, denen man in den Gesprächen mit Autoren und dann in deren Büchern folgen kann. Und wichtig ist diesmal insbesondere auch das Spüren: an sich herankommen zu lassen, wie es Menschen im Ausnahmezustand Krieg ergeht. Wenn die Schriftstellerin Sofia Andruchowytsch von den derzeit täglichen Luftalarmen in Kiew erzählt, bei denen man jedes Mal neu entscheiden muss, ob man den Schutzbunker aufsucht oder nicht. Wenn Yevgenia Belorusets ein unter Gefahren in den ersten Kriegswochen entstandenes Foto zeigt, das einen Essenslieferanten auf einer leeren, sonnigen Kiewer Straße wie einen "Boten des Friedens" wirken lässt. Und wenn sie hinzufügt, dass es das Gebäude dahinter seit einem Luftangriff fünf Tage später nicht mehr gibt. Wie all dem standhalten? Die einen machen Musik, die anderen schreiben und greifen zum Fotoapparat. Und doch, Belorusets zweifelt. Kürzlich erst sind zwar ihre Bilder und Texte unter dem Titel "Anfang des Krieges" als Buch erschienen. Doch was bedeutet es, wenn von einer Stadt, einem Leben nicht mehr übrig bleibt als ein Foto? "Es ist nicht genug."

Die Gegenwart in all ihren Dimensionen zu verstehen, ist vielleicht nur mit Abstand möglich, im besten Fall in literarischen Tiefenbohrungen. Wie denen von Sofia Andruchowytsch oder der rumänisch-ungarischen Autorin Andrea Tompa, die in Romanen wie "Amadoka" und "Omertà" in die Vergangenheit ihrer Länder eintauchen und einem allzu häufigen Schweigen ihr Schreiben entgegensetzen. In aller Klarheit, denn: "Die Literatur gibt keine Antworten", wie Andrea Tompa sagt. Die Literatur könne nur von Menschen erzählen, von Geschichten. "Die Antworten müssen wir selbst suchen."

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