„Ich brauch’ Liebe, so viel Liebe“: Am Ende seiner Fastenpredigt beim diesjährigen Starkbieranstich am Nockherberg ließ der Kabarettist Maxi Schafroth ein paar kraftmeiernde Politiker diesen Refrain singen – und endete mit dem Plädoyer, mehr Verletzlichkeit zu zeigen und Frieden miteinander zu suchen. Und damit wären wir – zack, ein schneller Schwenk – auch schon mitten im Programm des Literaturfests.
„Sprachen der Liebe. Wie wollen wir leben?“, heißt das Motto des diesjährigen Festivals. Was die romantische Liebe natürlich einschließt, vieles andere aber auch: Kurator Daniel Schreiber meint damit eine „Liebe zur Welt“, eine „leidenschaftliche Beziehung zu unserem Leben, unserer Gesellschaft und unserer Umwelt“. Das wird sich vom 2. April bis zum 11. April in vielerlei Hinsicht ausdrücken: in Lesungen, Diskussionen, Podcast-Veranstaltungen, einer Ausstellung und Filmen bis hin zum gemeinsamen Singen. Ergänzt wird das Programm von einer „Münchner Schiene“, die in diesem Jahr vom Lyrik Kabinett ausgerichtet wird. Ein Überblick.
Lesungen und Diskussionen

„Was wäre, wenn wir mutig sind?“ Das fragt Luisa Neubauer nicht nur in ihrem neuen Buch, sondern auch bei der Eröffnung des Literaturfests (2.4.). Am Abend darauf wird eine Diskussion über den Zustand unserer Gesellschaft und Demokratie gleich mutige Antworten geben müssen: die Autorinnen Gabriele von Arnim, Asal Dardan, Mirjam Zadoff sowie Autor Hasnain Kazim diskutieren im Literaturhaus (3.4.).
Auch die Psychologin Helene Bracht bringt eine gute Portion Mut auf: Sie erzählt in „Das Lieben danach“ von Missbrauch, von Schuld und Macht in menschlichen Beziehungen (4.4.). „Selbst und bestimmt“ leben und lieben möchten auch Selma Kay Matter, Hengameh Yaghoobifarah und Luca Mael Milsch (statt Linus Giese), die am 7. April im Muffatwerk lesen und sprechen. Der US-amerikanische Schriftsteller Phillip B. Williams stellt seinen Roman „Ours. Die Stadt“ vor (8.4.), Kristine Bilkau ihren neuen Roman „Halbinsel“ (11.4.).
Wie wir zusammenleben wollen und können, besprechen die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann und der Philosoph Wilhelm Schmid (8.4.). Dass sich dabei Gegensätze verbinden können, macht Helene Hegemann in ihrem neuen Roman „Striker“ und sicher auch in ihrer Leseperformance deutlich (9.4.). Und auch Klassiker haben ihren Platz im Programm: Dana Vowinckel stellt den wiederentdeckten Autor Juri Felsen vor, Mely Kiyak holt, unterstützt von Schauspieler Ulrich Matthes, die Radioansprachen Thomas Manns wieder hervor: „Deutsche, ich will Euch warnen!“ (11.4.).
Von Podcasts inspiriert

Auffällig ist, dass gleich mehrere Veranstaltungen von Podcasts inspiriert beziehungsweise von Podcastern moderiert werden. Allen voran Matze Hielscher, dessen weithin bekanntes Format „Hotel Matze“ im Literaturhaus als Live-Event zu erleben ist – und das auch noch mit sehr prominenten Gästen: Das Schriftsteller-Ehepaar Monika Helfer und Michael Köhlmeier wird mit ihm darüber sprechen, wie eine Beziehung funktionieren kann, in der beide beruflich in einer Konkurrenzsituation stehen (4.4.).
Auch Dora Heldt ist eine sehr erfolgreiche Autorin, sie wird in einer Matinee im Literaturhaus jedoch als Gastgeberin ihres eigenen (Live-)Podcasts „Dora Heldt trifft …“ zu erleben sein. Mit der Schauspielerin Caroline Peters wird sie über deren autofiktionales Buch „Ein anderes Leben“ sprechen und damit über die Beziehung von Müttern und Töchtern (6.4.).
Bekannte Podcaster sind auch die Publizistin Samira El Ouassil und der Autor Friedemann Karid: Sie hosten den „Piratensender Powerplay“. Im Muffatwerk werden sie mit der Rechtswissenschaftlerin Samira Akbarian anhand von deren Buch „Recht brechen“ über ein hochaktuelles Thema diskutieren: Ist es legitim, sich etwa auf Autobahnen festzukleben, um Klimaschutz einzufordern? Wie weit darf ziviler Ungehorsam gehen? (7.4.)
Symposium der Leidenschaften

„Wir alle haben bestimmte Talente“, sagt Literaturfest-Kurator Daniel Schreiber, und könnten mit Hobbys tatsächlich die Welt verändern. Sechs „Leidenschaften“ hat er ausgewählt, die sich bei einem diesmal sehr kulinarischen Symposium vertiefen lassen. Der italienische Philosoph Emanuele Coccia wird am Samstag, 5. April, mit Mode-Theoretikerin Barbara Vinken über Kleidung sprechen. Rabea Weihser wird insbesondere anhand von Gesichtern über Schönheit nachdenken, Doris Dörrie anhand eines neuen Buches über das Wohnen.
„Was bedeutet es, einen Garten zu kultivieren – und vielleicht auch sich selbst?“, fragt Daniel Schreiber, der mit der britischen Expertin Olivia Laing am Sonntag über Gärten als utopische Orte sprechen wird. „Eine Sprache der Liebe“ ist auch die zu Pferden, wie die Dressurreiter Loretta Würtenberger und Hubertus Graf Zedtwitz in einem Buch gleichen Titels und im Gespräch feststellen werden. Und natürlich sind auch das Kochen und Essen Leidenschaften, die Menschen verbinden: Der Sterne-Koch Vincent Moissonnier wird sich mit Eva Gesine Baur dem Genuss widmen.
Extra-Formate

Und es wird noch mehr Formate geben, die von der klassischen Lesung abweichen. So ruft das Literaturfest zum (bereits weitgehend ausverkauften) „Shared Reading“ an verschiedenen Orten auf: Jeder kann hier ohne Vorwissen oder Vorlektüre einsteigen, man liest in einer Runde gemeinsam vom Veranstalter gestellte Texte und spricht darüber.
Gemeinsam singen – auch das schafft Nähe. Der „Go Sing Choir“ unter der Leitung von Jens Junker ist in München bestens etabliert, nun wird er erstmals im Literaturhaus gastieren. Jeder kann mitsingen, wenn mit Popsongs aus den Achtzigerjahren Fragen wie „I Want to Know What Love Is“ aufgeworfen werden (6.4.). Wer mehr auf die Emotionen in Bildern setzt: Etliche der Festival-Abende kann man gemütlich vor einem Liebesfilm beschließen – bei freiem Eintritt werden Filme wie „In the Mood for Love“ von Wong Kar-Wai bis „Jules et Jim“ von François Truffaut im Literaturhaus gezeigt.
Literatur als Performance? Auch das wird geboten beim Literaturfest. Martina Hefter hat ihren Roman „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“, der im vergangenen Jahr den Deutschen Buchpreis gewann, auch in einer Performance verarbeitet. Das Thema Love-Scamming setzt die Schriftstellerin und Tänzerin am 10. April im Pathos Theater zusammen mit dem Musiker Patrice Lipeb und dem Tänzer Kevin Albancando Tuntaquimba in Szene. Und eine Performance der besonderen Art bietet auch Meike Rötzer: Die Schauspielerin und Autorin verspricht, Leo Tolstois Eheroman-Klassiker „Anna Karenina“ auf anderthalb Stunden zu verdichten (vom Künstlerhaus verlegt ins Literaturhaus, 5.4.).

Digitale Bühne
Extra-Formate gibt es auch im Digitalen. Zum einen sind auch hier Podcaster am Werke: Maria-Christina Piwowarski und Ludwig Lohmann sprechen einmal im Monat in ihrem Podcast „Blauschwarzberlin“ über aktuelle Bücher. Fürs Literaturfest haben sie sich mit Büchern über Freundschaft und Liebe beschäftigt.
Was es bedeutet, wenn Liebe quasi ohne Außenwelt funktionieren muss, besprechen wiederum die Münchner Autorinnen Mercedes Lauenstein und Dana von Suffrin. In ihrem so tiefgründigen wie zarten neuen Roman „Zuschauen und winken“ erzählt Lauenstein von einem Paar, das damit zurechtkommen muss, dass der Mann dauerhaft krank ist. Beide digitalen Formate sind während des Literaturfests auf der Webseite abrufbar. Und wer lieber online als real unterwegs ist: Bewusst werden auch etliche der sonstigen Veranstaltungen gratis gestreamt – damit möglichst viele Interessierte teilhaben können. Zweifellos ein Akt der Liebe.
Münchner Schiene

Die Sprachen der Liebe werden auch bei der „Münchner Schiene“ in diverser Hinsicht durchbuchstabiert. Die Programmsäule, die zum dritten Mal das Literaturfest mit stützt, wird in diesem Jahr vom Lyrik Kabinett ausgerichtet und von Lisa Jay Jeschke und Chris Reitz kuratiert. Es ist ein Parallelprogramm mit vielen Verbindungen zum Hauptprogramm: „Wie können solidarische Beziehungen gepflegt“ werden, diese Frage zum Beispiel wird hier schön konkret umgesetzt.
Ein erster Abend widmet sich etwa dem Thema Übersetzungen in einer vielsprachigen Stadt. Zeugnis davon werden unter anderem die Autorinnen und Autoren Sool Park, Sophia Klink, Ofelia Huamanchumo de la Cuba, Anna McCarthy, Dîlan Z. Çapan und Denijen Pauljević ablegen (Lyrik Kabinett, 3.4.). Über Erbschaften insbesondere des Nationalsozialismus denken Annegret Liepold, Jan Geiger und Samuel Fischer-Glaser nach (Lyrik Kabinett, 6.4.). Relevant verspricht auch ein Abend im Bellevue di Monaco zu werden: Drei literarische Duos präsentieren „Pamphlete zum Wohnen in München“. Über Leben und Überleben in der Großstadt denken Markus Ostermair, Dagmar Leupold, Tunay Önder, Raphaela Bardutzky, Clara Laila Abid Alsstar und Mako Sangmongkhon nach (8.4.).
Ein „Recht auf Stadt“ ruft auch ein „Open House der Freien Szene“ aus, das in der Monacensia stattfindet, mitsamt Schreibworkshop und Gesprächsrunde über „Die schwarze Null und die Freie Szene“ (5.4.). Und Wanderungen durch die Stadt gibt es auch: Die Lyrikerin Sara Gómez, die den verstorbenen Dichter SAID seit Kindertagen kannte, führt durch den Stadtteil Giesing (4./5.4.).
Queere Kultur in München steht im Mittelpunkt eines Abends zu Fanfiction und Fanpoetry: Gender-Stars reagieren auf einstige Gender-Stars, so der Gedanke, den unter anderen Hans Pleschinski und Theresa Seraphin vermitteln (Lyrik Kabinett, 10.4.). Und am Ende lässt sich mit Tristan Marquardt und Augusta Laar im Habibi Kiosk der Kammerspiele mit ihren Lieblingstexten aus der freien Szene chillen (11.4.).
Ausstellung zum Wohnen

Der Sound einer Stadt, Stimmengewirr: Während man in Tracey Snellings Ausstellung „This is Us“ die ersten Seh-Eindrücke sortiert, bekommt man schon einmal etwas auf die Ohren. Um dann langsam die kleinen Gebäude-Skulpturen zu umkreisen, die im Literaturhaus in der Halle im Erdgeschoss stehen und etwas Verlorenes ausstrahlen – bei aller Buntheit.
Denn auf die Häuserblöcke sind Fotos geklebt, da blinken Videos, ist Platz für Fast Food und Grinsekatzen. Die US-amerikanische Fotografin und Künstlerin, die in Berlin lebt, hat ihre Szenen einer Gesellschaft tatsächlich existierenden Gebäuden nachempfunden, in Shanghai, Berlin, ihrer Heimatstadt Oakland in Kalifornien. Oder Neapel, wo der Gebäudekomplex Vele di Scampia einst ein utopisches Projekt war, das jedoch an fehlender Infrastruktur scheiterte, wie die Künstlerin bei der Pressekonferenz zum Literaturfest erklärte. Heute leben in diesem neapolitanischen Gebäude nur noch arme Leute, die Mafia ist hier zu Hause, die Drogenszene, und alles fällt langsam in sich zusammen.
„Ich interessiere mich dafür, wie die Menschen leben, was sie tun“, sagt Snelling. Das ist, wie ihre Installationen zeigen, hochpolitisch. Die Spannbreite menschlichen Bauens und Trauens in unserer Gesellschaft ist groß, sie reicht vom hochfliegenden Traum bis zum Scheitern in einer unwirtlichen Realität. Und doch: „Es ist wichtig, darauf zu schauen, was wir gemeinsam haben“, sagt Snelling. Und welche Sprachen der Liebe, um das aufs ganze Literaturfest zu münzen, wir alle verstehen.
- Mittwoch, 2. April bis Freitag, 11. April
- Literaturhaus und weitere Orte
- Infos und Tickets unter literaturfest-muenchen.de