Literaturfest-Eröffnung:Wer auf dem Löwenzahn pfeift

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Schriftstellerin und Forum-Kuratorin Tanja Maljartschuk (links) im Gespräch mit Literaturfest-Geschäftsführerin Tanja Graf. (Foto: Catherina Hess)

Das Literaturfest hat begonnen - mit kraftvollen und anrührenden Eröffnungsreden der ukrainischen Schriftsteller Andrej Kurkow und Tanja Maljartschuk.

Von Antje Weber

Hier spielt die Musik. Leise beginnt die Jazzband der ukrainischen Sängerin Ganna Gryniva zu improvisieren, als eine Technikpanne den Beginn des Literaturfests stört: Kulturstaatsministerin Claudia Roth ist erst tonlos auf der Leinwand zu sehen, dann bildlos zu hören. Heiterkeit im Saal des Literaturhauses; das Lachen wird dem Publikum jedoch bald vergehen.

Doch zunächst eröffnet Tanja Graf als Geschäftsführerin das Literaturfest als ein "Fest der Demokratie, der Meinungsvielfalt und der künstlerischen Ausdrucksformen". Die Zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden freut sich insbesondere über das Familienprogramm der Bücherschau (deren Ausstellung im Erdgeschoss klein, aber ansprechend wirkt), über das Forum als "Spielfläche für die Literatur" und eine neue Münchner Schiene - dass Habenschaden da an die Stammstrecken-Erweiterung denkt, hebt die allgemeine Stimmung natürlich nicht.

Ruft dazu auf, mehr ukrainische Literatur zu übersetzen und zu lesen: Andrej Kurkow bei der Eröffnung des Literaturfests. (Foto: Catherina Hess)

Doch das ist unwichtig im Vergleich zu dem, was der ukrainische Schriftsteller und PEN-Präsident Andrej Kurkow nun in seiner Keynote vorträgt. Mit sachlicher Stimme erzählt er Ungeheuerliches. Zum Beispiel vom Kinderbuchautor Wolodymyr Wakulenko aus der Region Charkiw, dessen vor sieben Monaten verstecktes Tagebuch man kürzlich ausgrub; er selbst ist seit seiner Verschleppung durch Russen unauffindbar. Dutzende Kulturschaffende seien bisher getötet worden in diesem Krieg, in dem neben den Menschen auch die ukrainische Kultur ausgelöscht werden solle, sagt Kurkow. Und er schließt, nachdem er unter anderen seinen Lieblingsautor Gregorius Skoworoda hervorgehoben hat, mit einem Appell: Wir sollten endlich nicht nur die russischen, sondern auch die ukrainischen Klassiker übersetzen und lesen - "damit Sie die Geschichte des Kampfs um die ukrainische Identität verstehen".

Auch Tanja Maljartschuk hat einen ukrainischen Lieblingsautor, es ist der 1985 in einem sowjetischen Lager umgekommene Dichter Wassyl Stus. Dass ihm zu Ehren eine Kammeroper beim Literaturfest zu hören sein wird, freut die Kuratorin besonders. So charismatisch wie klug stimmt sie in ihrer Rede auf das Forum ein und lässt auch spüren, mit welch widerstreitenden Gefühlen sie bei der Planung gekämpft hat: "Der Krieg ist ein großer Kühlschrank", sagt sie, "er friert die Zeit und alle Vorstellungen über die Zukunft ein."

Der Tod als Schicksal, das sie früher den Helden ihrer eigenen Geschichten zudachte, ist zur Realität geworden. Tanja Maljartschuk hat bereits Freunde im Krieg verloren und zittert um andere. Und doch: "nicht nur zu hassen", auch dies habe sie der Krieg gelehrt, sagt sie, wichtig sei das "unaufhörliche Streben nach dem Leben und die Suche nach Sinn". Eine Hilfe ist ihr dabei die Literatur. Am Vortag etwa, als hundert Raketen auf die Ukraine abgefeuert worden seien, habe sie ein Gedicht des litauischen Autors Gintaras Grajauskas ( der am 23.11. bei einem Lyrikabend auftritt) gelesen. Von allen Künsten, so schreibt er zart, sei die "Fähigkeit, mit einem Löwenzahnstängel zu pfeifen", gegenüber den Launen der Zeit am widerstandsfähigsten.

Verbindet Folklore mit Jazz: die ukrainische Sängerin Ganna Gryniva mit Ensemble. (Foto: Catherina Hess)

Wie weitermachen nach solch kraftvollen und anrührenden Reden? Am besten würde der Abend hier enden, doch die Dramaturgie sieht weitere Beiträge vor. Ein Video von Bücherschau-Gast Rafik Schami etwa, dessen Märchen aus dem "Land der Poesie" nach dem zuvor Gehörten allzu schlicht erscheint. Auch ein hübscher Film zur Münchner Schiene mit fliegenden Zügen will nicht mehr recht passen. Was den Worten nicht gelingt, leistet die Musik: Wenn Ganna Gryniva mit einigem Hall ukrainische Folklore und Jazz verbindet, gibt sie den Emotionen Raum. Sie lässt ihre Stimme wispern, schreien, juchzen. Und trifft damit den richtigen Ton.

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