Literatur:Wo es strömt, gärt, blubbert und schäumt

Münchner Lyriker Wolfgang Bächler gestorben

"Ich führte ein schweifendes Leben": Wolfgang Bächler 1995.

(Foto: Istvan Bajzat/dpa)

Ein erster Sammelband mit teils unveröffentlichten Texten würdigt das Werk des Münchner Dichters Wolfgang Bächler

Von Antje Weber

"Ich bin nur einer der vielen Heimgekehrten, Getäuschten und Enttäuschten, die hinter falschen Fahnen marschiert sind", schrieb der Dichter Wolfgang Bächler kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, "einer der Vielen, die geblutet haben für diese Fahnen und die nun dastehen mit leeren Händen vor den Trümmern der Städte und den Trümmern einer geistigen Welt." Und er erklärte das in seinem Text "Zur geistigen Situation der deutschen Jugend" so: "Wir sind hineingewachsen in diese Zeit ohne unser Zutun und sind von ihr getragen worden, mitgerissen, hochgespült und hinabgeschleudert in unermeßlich tiefe Abgründe. Nun beseelt uns nur der eine Wille, aus diesen Abgründen hochzuklimmen, hinaufzusteigen, wo irgendwo ferne ein blaues Stück Himmel winkt."

Auch wer Bächler (1925 - 2007) nicht kennen sollte, kann aus diesen Zeilen einiges herauslesen: die großen Emotionen eines aus dem Krieg heimgekehrten jungen Soldaten - und eine heftig aufgeladene, mitreißende Sprache. Es sind hochfahrende Sätze, in denen man Bächlers poetisches Prinzip einer "radikalen Vertikalisierung der Welt" nachvollziehen kann, wie es der Literaturwissenschaftler Christian Metz analysiert. Überhaupt, so hat Metz in einem Aufsatz nachgezählt, wirbele und taumele und bebe es häufig bei Bächler: "Überall strömt, gärt, wettert, strudelt, sprudelt, blubbert und schäumt es."

Was es mit diesem sprudelnden Werk auf sich hat, findet sich nun zum ersten Mal in dem Band "Ich trage Erde in mir" aufgearbeitet. Zum ersten Mal? Ja, denn Wolfgang Bächler ging schon zu Lebzeiten nicht nur dem Literaturbetrieb, sondern auch sich selbst immer wieder fast verloren. Bereits 1976 schrieb Heinrich Böll einigermaßen erstaunt: "Es gehört zu den Merkwürdigkeiten unserer Verschleißübungen, dass hier ein Lyriker wieder entdeckt werden muss, der längst entdeckt war." Der von Waldemar Fromm und Holger Pils herausgegebene Band will nun "eine weitere Wiederentdeckung anregen". Er versammelt nicht nur Beiträge, die 2019 bei einem Tag für Wolfgang Bächler im Lyrik Kabinett vorgestellt wurden, sondern auch mehrere bisher unveröffentlichte autobiografische Texte des Autors.

Darin erfährt man einiges über den Urgrund von Bächlers Schreiben. Sehr lebendig, nichts beschönigend erzählt der Autor, der 1925 in Augsburg direkt neben der Eisenbahnlinie nach München "das rußgetrübte Licht der Welt erblickte", von einer Kindheit im Nationalsozialismus, von HJ und baldiger Einberufung, von Krieg, Verwundung. Und von Studentenjahren im Nachkriegs-München der geborstenen Fassaden - einer Zeit, "in der wir zwar nicht die Welt, aber Deutschland verändern wollten". Dieser Wunsch nach Veränderung ist in jeder Zeile der immer noch frisch und dringlich wirkenden Texte spürbar: "Es gilt aber, die verlorene Einheit wiederzufinden in der Welt der Zersplitterung", hofft Bächler damals. Und ahnt, wie schwierig das umzusetzen ist: "Doch dürfen wir heute nicht wieder zusehen, wie die Alten den Staat formen, in dem wir dann leben müssen. Wir müssen uns Gehör verschaffen für die Dinge, die uns angehen, für unsere Sorgen und Nöte."

Zunächst verschafft sich Bächler ja auch Gehör. Er wird als jüngster Dichter zur ersten Tagung der Gruppe 47 eingeladen, er veröffentlicht viel beachtete Gedichtbände wie "Die Erde bebt noch" oder "Die Zisterne", schreibt kühne Zeilen wie: "Wir zeugten die Welt als Gedicht." Doch nach frühen Erfolgen wird es mühsamer. Zum einen, weil er sich vermittelnd zwischen Ost und West einsetzt, was ihm mit Misstrauen gedankt wird. Zum anderen, weil er an einer bipolaren Störung erkrankt und immer wieder schwere Unordnung in sein Leben bringt. Er selbst beschreibt es so: "Ich führte ein schweifendes Leben, schlug meine Zelte häufig auf und ab, ein unsteter Einzimmerbewohner, ein Wanderer zwischen zwei Welten, ein Publizist zwischen zwei Stühlen, bald vom Osten und bald vom Westen beschimpft oder belobt, ein Sozialist ohne Parteibuch, ein Deutscher ohne Deutschland, ein Lyriker ohne viel Publikum, ein Erzähler ohne Sitzfleisch". Und folgert daraus: "kurzum ein unbrauchbarer, unsolider, unordentlicher Mensch, der keine Termine einhalten und keine Examina durchhalten kann und Redakteure, Verleger und Frauen durch seine Unpünktlichkeit zur Verzweiflung bringt". Was da hilft? Letztlich: das Gedichteschreiben. Es zwinge ihn zu "Sammlung und Konzentration", schreibt Bächler. "Für mich ist es der einzige Weg zu Augenblicken des Glücks und der Befreiung, zu einer Ordnung und Lösung, die Freiheit schafft."

Wie er sich vom Wir-Gefühl der frühen Gedichte zur Konzentration aufs Ich entwickelt, analysiert Theo Elm in einem Beitrag des Bandes. Andrea Bartl hat sich mit seiner facettenreichen Liebeslyrik beschäftigt, Waldemar Fromm mit seinen 1972 noch einmal überraschend erfolgreichen "Traumprotokollen", die "Enttäuschung und Scham" transportierten. Sven Hanuschek hat viele Autorenfilme der Siebzigerjahre daraufhin angesehen, ob Bächler in kleinen Rollen auftaucht. Volker Schlöndorff zum Beispiel, der ihn mehrmals besetzte, begründete das in seiner Autobiografie damit, er habe bei einer Münchner Lesung einmal "die unvergleichliche Stimme" Bächlers gehört. Einer Illustrierten sagte er allerdings nüchterner: "Lyriker kann man jederzeit besetzen. Die stehen immer zur Verfügung, sind auch für ganz kleine Gagen dankbar."

Das leidige Thema Geld, die Demütigung des ständigen Kampfes um Anerkennung spiegelt sich auch in den Briefwechseln mit Günter Eich, Thomas Mann und Paul Celan, die Gabriele von Bassermann-Jordan aus dem Nachlass in der Monacensia gezogen hat. Dort lagert noch sehr viel mehr, wie Archivar Frank Schmitter darlegt. Dass der Nachlass aufgrund unglücklichster Umstände kleiner ist, als er sein müsste, verschweigt er nicht. Immerhin: Es gibt noch mehr als 2000 Briefe, 200 eigene Texte, viele biografische Dokumente. Schmitter hofft auf eine baldige Biografie. Es müsste nur mal jemand forschen.

Man könnte auch einfach auf mehr Leser hoffen, seiner Gedichte oder der "Traumprotokolle". Die ergänzte einst Martin Walser mit einem begeisterten Nachwort: "Das ist alles drastisch, grell, so spanisch wie augsburgisch, grauenhaft und grauenhaft komisch, aber am meisten und am durchdringendsten ist es: die Bundesrepublik, gesehen durch einen, der nicht fertig wurde mit ihr." Was Bächler da geschaffen habe, könne man "lesen, untersuchen, interpretieren ...: es ist Literatur." Schäumend, blubbernd, gärend.

Ich trage Erde in mir. Beiträge zum Werk von Wolfgang Bächler, Hrsg. von Waldemar Fromm u. Holger Pils, Wallstein Verlag, Göttingen 2021, 348 S.

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