Literaturhaus:"Man muss keine Weltreise gemacht haben, um etwas zu erzählen"

Literaturhaus: Es ist ein weiter Weg von den ersten Skizzen bis zum fertigen Text.

Es ist ein weiter Weg von den ersten Skizzen bis zum fertigen Text.

(Foto: Thomas Dashuber)

Einmal im Monat kommen in München Interessierte in einer Abendwerkstatt zusammen und lernen das Schreiben von Autorinnen wie Lena Gorelik. Nicht jeder hat das Ziel einen Dostojewski zu liefern, doch für manche ist es der Beginn des Schriftsteller-Daseins.

Von Carolin Werthmann, München

Umringt vom Kanon der Weltliteratur versucht Bruno einem Dutzend fremder Menschen zu erklären, warum die Hauptfigur seines Romans auf eine Influencerin steht. Er ist der Einzige, der an diesem Abend in die Bibliothek des Literaturhauses einen Text mitgebracht hat, einen, von dem er hofft, dass irgendwann mal mehr daraus werden könnte als DIN A4-Seiten in Microsoft Word, Schriftart Garamond, Zeilenabstand 1,5.

Bruno ist einer der zwölf Teilnehmer der Abendwerkstatt im Literaturhaus München. Einmal im Monat kommen hier Literaturinteressierte zusammen, die selbst den Stift zücken wollen. Die meisten kennen sich. Da ist Vera, die Journalistin, die nach einer Viertelstunde in feinster Reinschrift so etwas wie ein Exposé für einen Krimiroman aus den Ärmeln schüttelt. Marko, der Architekt, der sonst eigentlich Wettbewerbsausschreibungen textet und freiberuflich Drehbücher für Kurzfilme schreibt. Doris, die in ihrem Verlagsleben immer anderen zu Büchern verholfen hat und jetzt den Spieß umdreht. Bruno, der an seinem Thriller tüftelt und Rat sucht. Elke, die neben Kind und Job schon zum achten Mal teilnimmt und zugibt: Ich schaff' es so selten, regelmäßig zu schreiben.

Wer 35 Euro zahlt und nicht schon wieder die Anmeldefrist verschwitzt hat, ist drin. Teilnehmen kann jeder, der von Erzählperspektiven erfahren will und von Buchfiguren, die man am besten wie seine Lieblingskinder behandelt, die man also besonders gern beobachtet, pflegt und von denen man wissen will, was sie als nächstes tun werden. So erklärt es Autorin Lena Gorelik, die Dozentin der Schreibwerkstatt. Alle wollen schreiben, irgendwie. Aber wie wird aus irgendwie Ernst?

Literaturhaus: Die Autorin Lena Gorelik ist Dozentin der Schreibwerkstatt.

Die Autorin Lena Gorelik ist Dozentin der Schreibwerkstatt.

(Foto: Thomas Dashuber)

In der Abendwerkstatt hat nicht jeder das Monsterziel, nach zwölf Sitzungen einen kleinen Dostojewski zu liefern. Wer ambitioniertere Ziele hat, sollte sich wahrscheinlich von der Abendwerkstatt emanzipieren. Die Bayerische Akademie des Schreibens, auch gekoppelt an das Literaturhaus, ist die wichtige Adresse - allerdings mit harten Türstehern. "Die große Tour" heißt das Seminar, das vor einer Woche nach gut einem Jahr mit einer Lesung seinen Abschluss fand. Reinkommt, wer ein im besten Fall spannendes Exposé liefert und einen - hoffentlich - vielversprechenden Auszug seines Manuskripts. Reinkommt, wer am Anfang schon weiß, wann Figur A mit B flüchtet, nachdem sie Figur C umgebracht haben ...

Es locken: ein regelmäßiger Austausch mit erfahrenen Autoren, die konsequente Arbeit am eigenen Projekt und die bessere Chance, einen Verlag dafür zu finden.

Wenn sie nicht krank wäre, säße in der Abendwerkstatt jetzt Elvira Steppacher neben Bruno, Vera und Elke, die gerade darüber diskutieren, ob Brunos Figuren wohl zu stereotyp sind und ob er nicht besser seine ersten zwei Seiten streichen und viel später mit der Geschichte einsteigen sollte. Und könne man nicht auf das ein oder andere "wirken" verzichten? Jedenfalls: Im Gespräch mit Katrin Lange, der Leiterin der Bayerischen Akademie des Schreibens, fällt Steppachers Name bei der Frage, welche Teilnehmer über die Abendwerkstatt hinaus publizistische Früchte tragen.

Die Frage des Erfolges ist, welchen Menschen man zu welcher Zeit begegnet

Und da gibt es noch ein paar weitere. Markus Ostermair zum Beispiel, dessen Debüt 2020 erschien, "Der Sandler", ein Bestseller, beachtlich medial gepriesen. Thomas Lehr, mehrfach ausgezeichnet, regelmäßig nominiert für den Deutschen Buchpreis, längst raus aus der Riege der Amateurautoren, einer von Deutschlands erfolgreichsten Schriftstellern und inzwischen selbst Dozent für die, die wissen wollen, wie's geht.

Also, wie geht's?

Katrin Lange ist jetzt am Telefon, die Abendwerkstatt am Vortag ging lang, über drei Stunden, sie haben überzogen, mal wieder. Jeden Monat sitzt sie gemeinsam mit Lena Gorelik vor den deckenhohen Regalen der Bibliothek des Literaturhauses, mit Martin-Walser-Werken und Karl-Valentin-Sondereditionen im Nacken, während sie versucht, "eigensinnige Texte noch eigensinniger zu machen." Lange nimmt seit Jahren die Bewerbungen für "Die große Tour" entgegen. Aus durchschnittlich 80 bis 120 Manuskripten bestimmt sie mit einer Jury zehn Auserwählte. Sie sieht schnell, wann ein Text funktioniert - und wann nicht. "Der Stoff muss einen Konflikt hergeben, eine dramaturgische Anlage haben", sagt sie. "In der Textprobe muss ich erkennen, ob jemand einen Ton findet, eine literarische Sprache." Es gehe um die Fähigkeit, Lebenserfahrungen auf sich selbst zu beziehen - und das habe erst mal nichts mit dem Alter der Autorin oder des Autors zu tun. Katrin Lange sagt: "Man muss keine Weltreise gemacht haben, um etwas zu erzählen. Die Autoren können auch darüber schreiben, wie sie auf dem Balkon sitzen und in die Stadt gucken, und auch das kann gut werden, solange sie die Stimmungen von außen wahrnehmen und im Innern eine künstlerische Metamorphose erfahren."

Bleibt immer noch die Frage, ob und wie ein guter Text seinen Weg zu den Lesern findet. Das, sagt Katrin Lange, hänge schwer davon ab, welchen Menschen man zu welcher Zeit an welchem Ort begegne. "Das Wort ,Netzwerk' klingt immer sehr technisch, aber ja, man muss sich auch in diesen Betrieb hineinwagen", sagt Lange. Zufall also. Neben all dem Handwerk, was die Schreibwerkstätten lehren, neben all dem Beobachtungstalent, was manche Autoren auf Papier zu bannen fähig sind, ist es das Glück, das den Unterschied macht.

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