Literatur:Schattenseiten des Jahrtausendsommers

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Faktenorientiert: Wolf Harlander arbeitet auch als Journalist. (Foto: Privat)

Wolf Harlander zeichnet im Roman "42 Grad" das bedrohlich realistische Bild einer Hitzekrise

Von Cora Wucherer, München

Es hätte regnen sollen an diesem Freitagmorgen Ende August. Stattdessen zeigt das Thermometer 26 Grad, der Himmel in München ist kaum bewölkt. Lediglich die Decken, die auf Wolf Harlanders Balkonstühlen liegen, weisen darauf hin, dass es später noch kühler werden könnte. Harlander, in beigem Polo-Hemd und beiger Hose, schwitzt nicht. Dabei ist Hitze sein Thema: In seinem Thriller "42 Grad" erzählt der Journalist und Autor von dem so bedrohlichen wie bedrohlich realistischen Szenario einer Hitzekatastrophe.

Nun möchte man meinen, das Schlimmste an der spätsommerlichen Hitze sei, dass sie das Maskentragen noch nerviger macht. Denn wenn eine Krise so übermächtig und einnehmend ist wie die Corona-Pandemie, geraten dann andere, wie die Klimaerwärmung, nicht schnell in den Hintergrund? "Ganz und gar nicht", sagt Harlander. "Die Pandemie ist ein Lehrbeispiel. Sie zeigt, wie schnell eine Katastrophe über uns hereinbrechen kann und wie extrem sie unseren Alltag regiert. Nur ist es mit der Hitze noch extremer: Man kann ein paar Tage ohne Klopapier auskommen, aber nicht ohne Wasser. Es gibt keine Impfung gegen Durst."

Um die Bedrohung durch den Durst geht es in "42 Grad" (Rowohlt Paperback). Der Hitzethriller erzählt von einem Jahrtausendsommer: volle Freibäder, Tage voller Sonnenschein. Nur der Hydrologe Julius Denner und die IT-Spezialistin Elsa Forsberg scheinen die Gefahr der Hitze zu erkennen und ernst zu nehmen. Doch dann geraten Waldbrände außer Kontrolle, Flüsse trocknen aus und wer den Wasserhahn aufdreht, wird höchstens von einem müden Tröpfeln begrüßt. Wasserflüchtlinge jagen der ehemals selbstverständlichen Ressource nach, Unruhen entstehen, die Zivilisation droht zusammenzubrechen. Feuerwehrmann Florian versucht, die Waldbrände einzudämmen, die alleinerziehende Mutter Kerstin ist auf verzweifelter Suche nach Wasser und der Wasserbau-Experte Noah gerät bei seinen Einsätzen in Gefahr. Sie alle versuchen, gegen die Hitze anzukämpfen.

"42 Grad" kommt als packender Thriller daher, der auf harten Fakten basiert. Als Journalist ist Harlander Recherchearbeit gewohnt - er arbeitete für Tageszeitungen, Radio, Fernsehen und als Redakteur der Wirtschaftsmagazine Capital und Wirtschaftswoche. Und an Recherche steckt viel in "42 Grad". Zwei Jahre forschte und schrieb er an dem Thriller. Trotz der Fülle an Fakten wird "42 Grad" nicht das, was Deutschland im Thriller zu werden droht: trocken. Denn für Lebendigkeit sorgen allein schon die Charaktere, deren Schicksale kunstvoll verwoben sind. Eine leichte Spätsommerlektüre ist "42 Grad" dabei nicht, nicht einmal wortwörtlich. Stattdessen zeichnet der 524 Seiten schwere Roman das Bild einer durchaus realistischen Katastrophe: Fühlt sich die Hitze anfänglich nur wie ein dezentes Unbehagen an, wie ein einzelner Schweißtropfen, der die Stirn hinab rinnt, wird sie bald zu einem Ungeheuer, das einen beinahe in Angstschweiß tränkt - und schneller blättern lässt. An Stellen mutet Harlanders bildhafter Stil fast filmisch an. Kein Wunder, dass sich Constantin Film bereits die Rechte zu dem Bestseller gesichert hat.

"Der Klimawandel ist ein längerfristiges Thema, es wird immer schlimmer", sagt Wolf Harlander, der 1958 in Nürnberg geboren wurde. Er gießt sich Wasser aus der Karaffe nach, in der ein paar Zitronenscheiben schwimmen. Dann nimmt er sich eine Birne aus der steinernen Schale, dreht sie in den Händen. Der Autor und seine Frau versuchen, selbst etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen, beispielsweise indem sie beim Kauf von Lebensmitteln auf den Wasserverbrauch achten, regional kaufen und wenig Fleisch essen. "Trotzdem sind wir natürlich keine Heiligen. Beim Schweinsbraten werde ich schon einmal schwach."

Wolf Harlander selbst hat die Hitze hinter sich gelassen, zumindest beruflich. Der Schriftsteller arbeitet bereits an seinem nächsten Werk. Diesmal widmet er sich dem Phänomen des "Overtourism", also des übermäßigen, schädlichen Tourismus. Über die Pandemie zu schreiben, käme für ihn nicht in Frage, denn "da schlägt die Realität jede Fiktion". Trotzdem hat Corona auch Einfluss auf sein Leben und seine Arbeit. "Als Schriftsteller ist man eine einsame Gestalt, die eingesperrt vor ihrem Laptop sitzt. Insofern war Corona sogar eine Motivation, es gab keine Ablenkungen", sagt Wolf Harlander und nimmt noch einen Schluck Wasser. "Viele große Werke sind aus Krisen entstanden, persönlichen oder allgemeinen. Das ist der Stachel im Fleisch, der etwas bewegt."

Am Ende des Gesprächs ist die Wasserkaraffe auf dem Wohnzimmertisch leer. Drei Zitronenscheiben liegen auf dem Boden. Draußen beginnt es noch immer nicht zu regnen.

© SZ vom 05.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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