SZ-Serie: München erlesen:Revolte eines Heimatdichters

Revolutionäre während der Novemberrevolution in München, 1918

Republikanische Soldaten jubeln vor dem Mathäserbräu in München. Drinnen diskutieren in Oskar Maria Grafs Autobiografie die Arbeiter und es fällt der Satz:"Noja, Genossen, machn mir hoit a Revolution, dass a Ruah is -!"

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Oskar Maria Graf blickt in "Gelächter von außen" auf die Jahre 1918 bis 1933 zurück als eigenwilliger Chronist des Alltäglichen

Von Sabine Reithmaier

"Gelächter von außen" ist vermutlich das Buch Oskar Maria Grafs, aus dem am häufigsten zitiert wird. Der berühmteste Satz der Autobiografie fällt im Mathäserbräu am Stachus. Graf beschreibt eine Arbeiterversammlung, in der die Genossen über das Für und Wider der Revolution streiten. Die hitzige Diskussion wird immer wilder, bis schließlich der eher konservative Sozialdemokrat "Seppi" Zankl das Schlusswort spricht und das Wesen des Münchner Revoluzzers auf den Punkt bringt : "Noja, Genossen, machn mir hoit a Revolution, dass a Ruah is -!"

"Gelächter von außen", 1966 erschienen, zählt zu Grafs späten Werken. Während er das Buch in New York schrieb, löste Ludwig Erhard in Deutschland gerade Konrad Adenauer als Bundeskanzler ab. Die nationalsozialistische Vergangenheit war ein Thema, über das man bestenfalls widerwillig diskutierte. Dessen war sich Graf sehr bewusst, als er 1958 zum ersten Mal aus seinem Exil nach München zurückkehrte. "Da kamen mir die 'fröhlichen Kollegen' entgegen und streckten mir ihre sauberen Hände hin, als wär nie was gewesen." Und Graf fragte sie, ohne die Hände zu drücken: "'Einen Moment, wo waren wir denn beim Hitler, Herr?' Das hat sie verschnupft, die feinen Herren", schrieb er 1959 in einem Brief, den Ulrich Dittmann in seiner Graf-Biografie zitiert. Brüskiert fühlte sich auch die Münchner Gesellschaft, weil Graf bei diesem Besuch im wieder eröffneten Cuvilliés-Theater in Lederhosen las, weil er sich in Bayern als Heimatdichter abgetan fühlte. Das Theater war nur halb voll, Erich Kästner sagte die Moderation ab, aber Graf fand es "sehr lustig".

Erinnerungsschwächen duldete er nicht, seine Münchner Autorenkollegen wirkten auf ihn wie "lauter kriechende Betbrüder und gewesene Nazis". Klar, dass er sich mit diesen Äußerungen nicht viele Freunde in der alten Heimat machte. Aber leicht hat er es seinen Mitmenschen nie gemacht. Er schont auch sich selbst nicht, zeichnet seine Entwicklung in den Jahren 1918 bis 1933 in "Gelächter von außen" ziemlich hart nach, scheut vor Selbstverletzungen nicht zurück. Er erzählt vom jungen ehrgeizigen Literaten, der sich von der Revolution vor allem die Verbesserung seines eigenen Lebens erhofft, berichtet über seine Karriere als Schwarzhändler und den guten Geschäftssinn, den er entwickelt, vor allem als er das "Bayerische Dekameron" (1928) schreibt. Irgendwann ist er desillusioniert, erwartet er nicht mehr allzu viel von der Literatur. Es reicht ihm, ein "lustiger Wirtshausunterhalter" zu sein.

Ob die Darstellung seines Lebens in allen Punkten der historischen Realität entspricht, darf bezweifelt werden. Bereits in den der Autobiografie vorangestellten "notwendigen Erklärungen zum Inhalt ..." macht er unmissverständlich klar, dass ein Autor "meist ein schlampiger, frecher, eigenwilliger Chronist des Alltäglichen" ist. So erzählt er aus der Zeit, in der er seine ersten Erfolge als expressionistischer Lyriker feierte, wie leicht ihm das Dichten fiel, "die Verse brauchten sich nicht mehr wie früher zu reimen". Gefragt waren imposante Wortzusammenstellungen wie "menschheitsdurstig", "notunterjocht" oder "elendsgehärtet." Liest sich amüsant, sagt aber wenig über die ersten Münchner Jahre Grafs aus, als er sich verzweifelt bemühte, als Dichter Fuß zu fassen.

Oskar Maria Graf, deutscher Schriftsteller

Oskar Maria Graf.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Im Schwabinger "Simpl" aß er eine Weile fast täglich um Mitternacht Leberknödelsuppe mit anderen "jungen Wildlingen". Zahlen konnten sie nie. Wenn Wirtin Kathi Kobus dann mit dem Kochlöffel auf sie einschlug, schaltete sich aus dem Hinterzimmer, in dem die "Prominenten" saßen, jedes Mal der Dichter Eduard von Keyserling ein, "abgrundtief hässlich" und fast blind, und übernahm die Zeche.

Zeitlich überschneidet sich "Gelächter von außen" mit seiner ersten autobiografischen Schrift "Wir sind Gefangene" aus dem Jahr 1927. Er wiederhole aber nicht bereits Bekanntes, findet Graf, sondern erzähle von unbekannten Erlebnissen, die für ihn erst in der Rückerinnerung Bedeutung gewonnen hätten, seine Begegnungen mit Rilke etwa, den er öfter in den Massenveranstaltungen der ersten Revolutionszeit traf, oder mit Red Marut, später bekannt als B. Traven, der die provokante Kriegszeitschrift Der Ziegelbrenner herausgab und in der Räterepublik kurz Kultusminister war. An einem verregneten Novembertag trifft er Hitler in der Kurfürstenstraße. Der lobt ihn für seine "Schnurrensammlung", der man anmerke, dass ein "reinrassiger Bauernmensch" sie geschrieben habe, "völkisch durch und durch". Graf hört sich eine Weile die "Suada aus Nietzsche-Zitaten, Wagner-Anhimmelei, nationalistischem Ehrengesums und Rassengewäsch" an, geht schließlich mit dem dauerredenden Hitler auf einen Kaffee mit Dampfnudeln. Der verliert dann allerdings die Fassung, als ihn Graf zwingt, seine Zeche zu übernehmen und kündigt ihm an "so Kreaturen" würden vorgemerkt. "Seither wollte mir Hitler nichts mehr."

Den Titel erklärt Graf mit zwei grundsätzlich verschiedenen Arten von Gelächtern: das respektlose, "alles zerschmetternde Gelächter", auf das sich in der deutschen Literatur allenfalls Heine verstehe - und Graf natürlich. Und ein schreckliches, Selbstzweifel auslösendes Hohngelächter, dem er sich erstmals in einem "unvergesslich makabren" Albtraum am Tag nach dem missglückten Hitlerputsch im November 1923 ausgesetzt sah. Im Hemd rennt er vor den uniformierten Nazis davon, die ihn köpfen wollen, vorbei an höhnisch lachenden Menschen. Schließlich landet er auf der Guillotine vor dem Siegestor, schlottert vor Angst, hört nichts als das grauenhafte Gelächter. Plötzlich steht der Seppi da und beruhigt ihn, "es tut gar nicht weh." Dann findet sich Graf geköpft auf einer Wiese wieder und "der Schneider Steer, bei dem ich als Bub das Zitherspielen gelernt haben sollte, setzte mir den Kopf wieder auf". Doch seither sucht ihn der Traum immer wieder heim, er glaubt zu hören, "wie es unsichtbar ringsherum lacht".

Und Joseph "Seppi" Zankl? Der wurde, als der Hitler obenauf kam, ein Nazi, schreibt Graf. Auch dort war er, wie vorher bei der SPD, sehr beliebt wegen seiner Sangesfreude und Lustigkeit. Und im Zweiten Weltkrieg "durfte" er als Vizefeldwebel in Russland fallen.

Oskar Maria Graf: Gelächter von außen: Aus meinem Leben 1918-1933, Allitera, 28 Euro

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