Süddeutsche Zeitung

Literatur:Nietzsches Schüler

Der syrische Schriftsteller Fouad Yazji liebt die europäische Literatur. Das PEN-Zentrum hat den Flüchtling mit einem Stipendium nach Deutschland geholt

Von Petra Hallmayer

Manchmal wiederholt er einen Satz mehrmals, als wolle er Ausrufezeichen in die Luft setzen. Man spürt, dass er gern so viel mehr sagen würde, aber ihm die englischen Wörter dafür fehlen. Wenn sich Fouad Yazji für etwas begeistert, geht er ganz darin auf. Seine erste Leidenschaft war die Mathematik, die zweite das Schachspiel, in dem er in Syrien diverse Turniere gewann. Doch irgendwann wurde ihm die Welt der reinen Logik zu eng. Er wurde ein süchtiger Leser und begann selbst zu schreiben. "Meine Lehrer", erklärt Yazji, "waren Shakespeare, Dostojewski und Nietzsche." In seinem Roman "Blaue Wolga" verändert die Lektüre Nietzsches das Leben eines Malers.

Seit mehr als einem Jahr wohnt der syrische Schriftsteller, der in der Buchhandlung Lentner in der Reihe "Meet your neighbours" zu Gast ist, in München. 2014 hatte er eine verzweifelte E-Mail an ein deutsches Kulturinstitut geschickt. Er war als Flüchtling in Kairo gestrandet, hatte kein Geld, keine Arbeit. Was dann geschah, erscheint ihm wie ein Wunder: Das PEN-Zentrum bot ihm ein Stipendium an. Auf dem Weg nach Deutschland war er voll Euphorie. "Ich dachte", sagt er und lacht, "dies ist das Land von Nietzsche. Jeder Deutsche kann seine Texte zitieren. Man wird mir meinen Roman aus der Hand reißen und im Nu übersetzen." Er sah sich lange Gespräche über Nietzsches Bücher führen. Tatsächlich aber hatten die meisten Menschen, die er traf, diese nie gelesen.

Fouad Yazji, der als Sohn orthodoxer Christen in Homs aufwuchs, gehört zu jenen syrischen Intellektuellen, die ebenso in der westlichen wie in der arabischen Kultur daheim sind. Im Exil hat er einen Essay geschrieben über den Atheismus im frühen Islam, über den syrischen Dichter Al-Ma'arri, Philosophen wie Ibn ar-Rāwandi und Ar-Râzi, die Gedanken der Aufklärung vorwegnahmen. "Arabische Gelehrte haben sich lange vor den Europäern auf die Vernunft berufen und die Existenz Gottes bestritten. Doch ihr Erbe wurde über Jahrhunderte verschüttet und tabuisiert." 2013 köpften Dschihadisten eine Statue Al-Ma'arris. Fanatisierte Muslime, so Yazji, führen heute Krieg gegen die eigene Kulturgeschichte. Allein völlig auszulöschen seien deren Spuren nicht.

Kein islamischer Dichter aber hat ihn stärker beeinflusst als Rumi, der große Mystiker der Liebe, dem er einen Erzählband widmete, der wie alle seine Bücher nur auf Arabisch erschienen ist. Dass er auch in Rumi einen religionskritischen Denker sehen will, verblüfft allerdings. "Gott zu leugnen", sagt Yazji, "war damals lebensgefährlich. Rumi bediente sich des Namen Gottes, um die Liebe der Menschen zueinander zu predigen. Das ist auch mein Glaubensbekenntnis."

Leicht ist es nicht, daran festzuhalten angesichts der grausamen Realitäten. Doch wir dürften uns nicht vom Hass anstecken lassen, betont er. "Islamisten sind keine Außerirdischen oder Monster, die wir wie im Kino ausrotten können. Sie sind Kinder der Armut und der Politik. Wir können nicht alle töten. Wir müssen den Dialog suchen. Wir haben keine andere Wahl." Die Hoffnung auf ein einiges liberales Syrien, mit der er sich 2011 der Revolution angeschlossen hatte, hat er verloren. Nach all dem Blutvergießen ist für ihn eine friedliche Zukunft nur mehr durch eine Teilung Syriens möglich.

Wenn man ihn nach seiner eigenen Zukunft fragt, gibt er eine erschreckende Antwort: "Ich überlege mir, welches die beste Art ist, mich umzubringen." Er habe alles verloren und keine Ahnung, wie es weitergehen soll, wenn sein Stipendium endet. "Schauen Sie nicht so entsetzt!", fügt er lachend hinzu. "Zur Zeit fühle ich mich wie im Paradies." Er arbeitet an einem Roman über die Diktatur, die Revolution, den Terrorismus und "die Liebe in Zeiten des Horrors". Er wohnt in der Nähe der Staatsbibliothek. "Wenn ich Bücher um mich habe, lesen und schreiben kann", erklärt er, "bin ich glücklich."

Silke Kleemann trifft Fouad Yazji, Buchhandlung Lentner, Balanstraße 14, Donnerstag, 26. Januar, 19.30 Uhr, 18 91 00 96

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SZ vom 25.01.2017
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