Als der iranische Schah Mohammad Reza Pahlavi und seine Frau Farah Diba 1967 nach Deutschland kamen, besuchten sie auch Rothenburg ob der Tauber. Der in Fürth und im Taubertal lebende Autor Leonhard F. Seidl hat dieses Ereignis in seinem Roman "Der falsche Schah" (Volk Verlag München) verarbeitet. Sein Protagonist Bartholomäus König wächst in Rothenburg auf und erlebt dort die Nazizeit. Beim Schah-Besuch glückt ihm die Täuschung, sich selbst als der iranische Machthaber auszugeben. Der Roman entstand im Rahmen des Literaturstipendiums des Mittelalterlichen Kriminalmuseums Rothenburg.
SZ: Bei Rothenburg ob der Tauber denkt man nicht an den persischen Schah. Sie haben sich aber dessen Besuch dort 1967 als Thema herausgesucht. Warum?
Leonhard F. Seidl: Der Schah-Besuch in Rothenburg ist eine grellaufblinkende Fußnote der Geschichte. Ich bin bei einer Recherche in Rothenburg darauf gestoßen. Als mir das offenbar wurde, war sofort klar, dass das das Thema sein wird und auch, dass es Futter für einen Roman bietet. Der Schah-Besuch war ja letztlich eine Zäsur in der Geschichte Deutschlands. Ein paar Tage später wurde Benno Ohnesorg bei den Demonstrationen in Berlin erschossen.
Ihr Roman steckt voller Detailwissen, vom Schah-Besuch über Stadtgeschichte bis hin zu den Folterinstrumenten. Wie haben Sie recherchiert?
Als Schriftsteller zapfe ich natürlich alle erdenkliche Quellen an. Und meine erste Quelle war der Friseur, wo ich mich noch inkognito frisieren lies. Da hatte ich ziemliches Glück, weil der Friseur Bohmann beim Schah-Besuch einen Sanka gefahren hat. Da verknüpfen sich die Stränge der Realität mit den Synapsen der Fiktion. Im Kriminalmuseum war ich häufiger, habe auf dem Folterstuhl mit den Spitzen Platz genommen und konnte mir die Halsgeige anlegen, den Pranger to go sozusagen ... Das war jetzt natürlich geflunkert.
Sie haben die Folterinstrumente mehrfach inspiziert. Warum?
Ja, ich war mehrfach im Kriminalmuseum, und ich habe auch Erläuterungen erhalten. Ich wollte das damalige Rechtsverständnis begreifen. Im Roman geht es ja auch um Schein und Sein und um Obrigkeitshörigkeit. Die Recherche hing auch mit der Frage zusammen, wie man einen Schah so frenetisch feiern kann, auch in Deutschland, wenn man weiß, dass in seinem Land gefoltert wird. Auch wenn er offiziell nichts davon wusste.
Eine große Rolle spielt in Ihrem Roman auch der Nationalsozialismus. Hitler war in Rothenburg. Sie selbst haben Reichskriegsflaggen während Ihres Aufenthalts in einem Laden entdeckt. Welche Aufgabe fällt hier der Literatur zu?
Zum einen sind der Hitlerfaschismus und die Shoah ein Teil der Geschichte, den ja nicht wenige gerne vergessen würden. Das spreche ich beziehungsweise der Erzähler auch explizit im Roman an. Gerade in diesen Tagen, wo Coronaleugner und Querdenker Hand in Hand mit Rechtsextremen demonstrieren, ist es umso wichtiger, das nicht zu vergessen. Rothenburg ist zum anderen ein unrühmliches Beispiel, wie die Geschichte des Hitlerfaschismus in der älteren Vergangenheit nicht aufgearbeitet wurde oder nur stiefmütterlich.
In einer Szene in Ihrem Buch kommt ein Filmteam nach Rothenburg und lässt Statisten als Wehrmachtssoldaten durch die Stadt laufen. Manche Bürger halten es für echt, glauben Nazi-Deutschland zurück und graben ihre alten Abzeichen aus. Wie nah ist das an der Wirklichkeit?
Fakt ist, in Rothenburg wurden diverse Filme gedreht, unter anderem "Entscheidung vor Morgengrauen" mit Hildegard Knef, den ich für sehr wichtige halte. Und da finden Sie verschiedene Rothenburger Gassen, die anmuten wie zu Zeiten des Nationalsozialismus. Das, was im Roman darum herum geschieht, ist eine Option des Möglichen.
In Ihrem Buch geht es auch um Schein und Sein. Ihr Protagonist gibt sich als Schah aus. Am Ende gewinnt dann die Kunst und führt die Realität vor. Wunsch oder Wirklichkeit?
Ich denke schon, dass die Kunst ein vermeintlich rechtschaffenes Umfeld demaskieren kann und soll. Da bietet sich der Schelmenroman an. Weil er der Gesellschaft den Spiegel vorhält. Dem Schah wird die Frage gestellt, ob er denn ein Kaiser ist, weil er als Kaiser geboren wurde oder weil er ein verehrungswürdiger Mensch ist. Und ob Macht nicht große Gefahr birgt und es nicht wichtig wäre, die Macht auf mehrere zu verteilen. Literatur hat diese kritische Aufgabe, aber sie sollte nicht mit dem Dampfhammer arbeiten.
Haben Sie bei Ihrem Aufenthalt in Rothenburg weitere Inspiration für neue Buchprojekte gewinnen können?
Ich bin tatsächlich an zwei weiteren Buchprojekten dran und auch an Kurzkrimis. Die Romanprojekte drängen sich auf, dadurch, dass ich hier in Rothenburg nahezu seit einem Jahr immer einmal wieder bin und die Region historisch sehr bewegt ist. Das hat man ja beim Schah gesehen. Es ist ja unglaublich, dass da noch niemand etwas daraus gemacht hat!
Das Stipendium des Kriminalmuseums Rothenburg ob der Tauber wurde zum ersten Mal vergeben, was hat Sie dafür prädestiniert?
Laut Kriminalmuseum haben meine Werke und meine Referenzen überzeugt. Fünf meiner jetzt sieben Bücher sind Kriminalromane beziehungsweise Kurzkrimibände. Das erschien dem Kriminalmuseum attraktiv. Wobei die jetzt ganz froh waren, dass es kein Kriminalroman geworden ist.
Wieso war das Museum da froh? Es würde sich doch anbieten?
Zum einen denkt man bei Kriminalmuseum sofort an Krimi, insofern wird die Erwartung gebrochen. Und es ist in der Tat ein paar Wochen vorher ein Krimi zu Rothenburg erschienen. Zudem ist es auch ein Aushängeschild, dass es ein ganzer Roman geworden ist innerhalb eines Jahres.