Süddeutsche Zeitung

Literatur:Gut gebellt ist halb gewonnen

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Die Geschwister Susanna und Johannes Rieder bekommen auch für ihr Buch "Hunde im Futur" einen Deutschen Verlagspreis

Von Barbara Hordych, München

Auf den Hund zu kommen, ist gemeinhin eine Auszeichnung negativer Art. Ganz anders verhält es sich bei Susanna und Johannes Rieder, denen mithilfe der Vierbeiner ein verlegerischer Coup gelang: Ihre ungewöhnliche Grammatik-Fibel "Hunde im Futur" ist eines der beiden Bücher, für die sie 2021 den Deutschen Verlagspreis erhalten. 24 000 Euro sind ihnen - ebenso wie dem Mixtvision und dem Eisele Verlag aus München - damit bereits sicher. Bei der Verleihung am 1. Juli in den Kammerspielen könnte es zudem sein, dass sie als einer der 66 deutschlandweit ausgezeichneten Verlage von Kulturministerin Monika Grütters für einen der drei Spitzenpreise auserkoren werden - das wären dann 60 000 Euro.

",Hunde im Futur' ist die Art Buch, die für uns der Grund war, vor 13 Jahren den Verlag zu gründen", sagt Susanna Rieder beim Interview im Garten eines Haidhauser Cafés. Ihr Bruder nickt, sucht derweil im Buch nach einer der Lieblingsseiten der Geschwister zu dem Thema "Tempus": Auf der Doppelseite bellen sich Hunde vor antiken Tempelbauten an - die Vergangenheit. Öffnet man jedoch die beiden Klappen der Seite, ist man plötzlich mit Passanten und ihren Hunden mittendrin im Geschehen einer Fußgängerzone - die Gegenwart. Ganz rechts steht man dann mit einem kleinen Hund und seinen Besitzern erwartungsfroh vor einem in die Zukunft weisenden Schild: "Hier entsteht eine Hundeschule".

Mit der Idee, ein Buch zur Grammatik herauszubringen, in dem die Erklärungen nicht formuliert, sondern illustriert werden, treten die Geschwister erstmals auch als Autoren hervor. Den Anstoß gab vor mehr als zwei Jahren die Schließung eines Blumenladens in Sendling. "Da kommt jetzt sicher wieder so ein Mobilfunk-Laden oder ein Drogeriemarkt hinein, dachte ich", erzählt Johannes Rieder. Irrtum. Bei einem Spaziergang entdeckte er plötzlich das Schild im Schaufenster: "Hier entsteht eine Hundeschule". Hunde im Futur - da waren sie, die Titelhelden der vergnüglichen Grammatik auch für Grammatikmuffel. "Das richtige Buch zur richtigen Zeit wohl", sagt Susanna Rieder. Das in Zeiten von Homeschooling, als viele Eltern zu Hilfslehrern mutierten, enorme Resonanz fand. Die erste Auflage ist bereits vergriffen, derzeit geht die nächste in Druck.

Aber eigentlich reicht die Idee viel weiter zurück, in die Kindheit der beiden Verleger. "Meine Schwester war die beste Latein-Nachhilfelehrerin, die man sich vorstellen kann", erzählt der Bruder. Warum? "Sie hat mir vermittelt, dass Sprache etwas Lebendiges ist, hat mir grammatische Zusammenhänge anschaulich gemacht, dabei haben wir sogar wahnsinnig viel gelacht." So viel Lob macht verlegen, Susanna Rieder verweist auf die Bibliografie im Anhang. "Ich habe mich beim Text selbstverständlich ganz korrekt an die einschlägigen Grammatiken gehalten", betont die gelernte Verlagskauffrau und Romanistin, die früher für Piper und einen Pariser Literaturverlag tätig war. Nach der Geburt ihrer beiden Kinder entschied sie sich für den Weg in die Selbstständigkeit. Ihre thematisch und ästhetisch ungewöhnlichen Kinderbücher mit viel Überzeugungsarbeit in die Buchhandlungen zu bringen, übernahm ihr Bruder im Ein-Mann-Vertrieb.

Er hat ein Regiestudium an der Otto-Falckenberg-Schule absolviert, dazu Sozialpädagogik studiert. Zeit, seine Schwester zu unterstützen, fand er trotzdem. "Er ist mir als Berater bei der Entscheidungsfindung unentbehrlich", sagt die Verlegerin. Da er inzwischen auch als Rechtsbeistand für unbegleitete Flüchtlinge im Einsatz ist, sind nun für den Vertrieb zwei Mitarbeiter deutschlandweit unterwegs.

"Hunde im Futur" ist prototypisch für den kleinen und experimentierfreudigen Susanna Rieder Verlag. Zu dessen Backlist gehören allein 118 Titel der international erfolgreichen Kleinbuchserie "Mr. Men Little Miss", dem britische Konkurrenten der Pixi-Bücher. Im Programm sind auch Münchner Entdeckungen wie die Autorin Ruth Feile mit ihren genähten, gestickten und gesteppten Bilderbüchern um die Bär- und Schwein-Familie von "Butz und Rosi" sowie ungewöhnliche Bücher, die vor den Themen Missbrauch, Demenz und Tod nicht zurückscheuen. Wie das wunderbar poetische Buch "Überall und Nirgends" der niederländischen Autorin Bette Westera. Mit seiner kindgerecht gestalteten Herangehensweise an das Thema Tod und Vergänglichkeit, zugleich schmerzlich-berührend, aber auch ungemein tröstlich, wurde auch dies für die mutigen Verleger ein großer Erfolg. Im Herbst erscheint ein Folge-Band, dieses Mal zum Thema Scheidung. Der niederländische Grafiker Carsten Aermes, Gestalter von Westeras Lyrikband "Überall und Nirgends", ist Formgeber auch von "Hunde im Futur". "Er kam auf die Idee mit der Faltmethode und den Aufklappseiten, ohne die unser Konzept nicht funktioniert hätte", sagt Susanna Rieder.

Da man sich mit zwei besonders innovativen Vorhaben um den Deutschen Verlagspreis bewirbt, sie aber nur zwei Neuerscheinungen im Jahr herausbringen, "mussten wir nicht lange überlegen, welche Bücher bei uns in Frage kommen", sagt Susanna Rieder und lächelt. Dieses zweite Buch ist "Der Schriftsteller und die Katze" von der libanesischen Autorin Nabiha Mheidly, illustriert von Walid Taher. Das Buch handelt vom Schreiben und der Beziehung eines Schriftstellers zu seinen Figuren. Woher nehmen Autoren und Autorinnen ihre Ideen, wie entstehen ihre Texte? Dazu gibt es zwar zahlreiche Selbst-Auskünfte von Kreativen. Aber als Thema für ein Bilderbuch ist es eher selten. Mheidly und Taher nehmen die häufig geäußerte Erfahrung, dass Figuren in Texten ihr Eigenleben entwickeln, auf humorvolle Weise ernst.

Der Schriftsteller in ihrem Bilderbuch ist ein rundlicher älterer Herr mit Brille und nur wenigen Haaren auf dem Kopf. Nachdenklich sitzt er an seinem Schreibtisch, offensichtlich ist er auf der Suche nach einem guten Einfall. Seine Ideen nehmen auf den folgenden Seiten im wortwörtlichen Sinne Gestalt an. In seinem Zimmer tauchen eine fliegende Maus, ein Huhn, ein Elefant, ein Vogel, ein Esel, ein Hund und eine Katze auf - er entscheidet sich für die kleine Katze. Fortan beschreibt er ihre Abenteuer, beobachtet sie in gefährlichen Situationen, in denen sie sich gegen bissige Hunden und Fische behaupten muss. Tahers Illustrationen in schattierten Grautönen, in denen nur wenige rote und grüne Striche und Schraffuren farbige Akzente setzen, können dabei selbst wie eine kleine Erzählung gelesen werden.

Er stammt aus Kairo, ist einer der namhaftesten Illustratoren der arabischen Kinderliteratur. Besucher der Internationalen Jugendbibliothek kennen ihn als künstlerischen Mitgestalter der Ausstellung "Von Marrakesch bis Bagdad. Illustrationen aus der arabischen Welt", für die er mit einem IJB-Stipendium 2019 in München zu Gast war. "Auf dieses Buch aufmerksam gemacht hat uns allerdings Petra Dünges, eine Spezialistin für arabischsprachige Kinderliteratur, die es dann auch für uns ins Deutsche übersetzt hat", sagt Johannes Rieder. Er bat einen der jungen Flüchtlinge, die er betreut, das Buch einzulesen. "Er hat das zwar gemacht. Aber eigentlich hat er nicht verstanden, warum das notwendig sein soll", sagt Johannes Rieder und schmunzelt. Warum nicht? "Weil im arabischsprachigen Raum die Geschichten mündlich erzählt, nicht schriftlich fixiert werden", erklärt er.

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SZ vom 21.06.2021
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