Süddeutsche Zeitung

Literatur für Kinder:Koste es, was es wolle

Die 15. Münchner Bücherschau junior öffnet ihre Türen rein virtuell. Rettung für das analoge Buch - oder wird es dadurch entbehrlich?

Von Barbara Hordych

Junge Besucher im blauen Lesesessel zum Schmökern und Verweilen einzuladen, wird bei der Bücherschau junior nicht möglich sein. Dabei war die Hoffnung im Januar noch groß, die 15. Ausgabe des Lesefestivals für Kinder und Familien im Stadtmuseum durch die Verschiebung von März auf den 1. bis 9. Mai zumindest hybrid veranstalten zu können. "Wir wollten den Hof des Stadtmuseums für Vorleseaktionen und Kinderyoga nutzen", sagt Friederike Eickelschulte. Sie ist als Projektleiterin der Geschäftsstelle des Landesverbands Bayern im Börsenverein des Deutschen Buchhandels für die Organisation der Bücherschau junior zuständig. Bei ihr laufen alle Fäden von der Ausstellung bis zu den Veranstaltungen zusammen. Als dann aber die Inzidenzzahlen stiegen, beschlossen die Veranstalter, die Bücherschau rein digital umzusetzen.

"Der Knackpunkt war das Treppenhaus des Stadtmuseums, da wäre alles sehr eng geworden". Nur 30 Besucher hätten innerhalb einer Stunde beispielsweise in der Buch- und Medienausstellung zwischen 5000 Neuerscheinungen, Hörbüchern, Kindersoftware, Spielen, Lernhilfen und Elternratgebern von 90 Verlagen aus dem deutschsprachigen Raum stöbern können. "Dafür den Verlagen zuzumuten, die Bücher zu schicken und die Messestände aufzubauen, machte keinen Sinn. Also haben wir die Reißleine gezogen."

Stattdessen gibt es jetzt ein rein digitales Programm, mit interaktiven Lese-Formaten, Live-Streams, Videos von Werkstattgesprächen mit Autorinnen und Illustratoren und einer virtuellen Buchausstellung. Aber ist es nicht kontraproduktiv, gerade die junge Zielgruppe dazu zu animieren, Lektüre am Bildschirm zu erleben, anstatt ein Buch haptisch in die Hand zu nehmen und den Autoren real zu begegnen? "Ich bin auch der Meinung, dass Kinder durch Homeschooling am Vormittag und Filmeschauen in der Freizeit eigentlich schon mehr als genug Zeit vor dem Bildschirm verbringen", sagt Eickelschulte. Doch man habe viele und sehr gute Ideen entwickelt, um eine möglichst lebendige Begegnung mit dem Medium Buch zu ermöglichen. Das fängt schon bei dem kostenlosen Zugang auf der Festival-Website an. Bei der Münchner Bücherschau im Herbst habe man die Erfahrung gemacht, dass eine Anmeldung, bei der man persönliche Daten hinterlegen müsse, viele Besucher abschrecke. Vielleicht habe es deshalb im Herbst weniger Besucher als in den Jahren zuvor gegeben. Belastbare Vergleichszahlen gebe es zwar nicht, aber vor allem die Buch- und Medienausstellung habe wohl durch die fehlende Laufkundschaft im Gasteig unter Besucherschwund gelitten. "Jetzt landet man jedenfalls ohne Registrierung mitten im Geschehen", sagt Eickelschulte. Dazu gebe es dieses Mal die Chance, einen "Blick ins Buch" zu werfen, was bei Kinder- und Bilderbüchern besonders wichtig sei. Gibt es dieses Angebot nicht schon sowieso bei vielen Verlagen? "Ja, aber der Unterschied ist, dass bei uns eine Zusammenschau der Neuerscheinungen vieler unterschiedlicher Verlage möglich ist", sagt Eickelschulte. Ein Vorteil vor allem für die kleineren Verlage, die sich hier kostengünstiger als beispielsweise auf der Frankfurter Buchmesse präsentieren können. "Die Kosten für einen Stand bei uns bewegen sich im niedrigen dreistelligen Bereich; auf der Frankfurter Buchmesse können Sie sich glücklich schätzen, wenn Sie mit einem vierstelligen Betrag dabei sind", sagt Eickelschulte.

Erfahrungsgemäß erfreuten sich die Veranstaltungen mit den Autoren, dieses Mal sind Kirsten Boie, Nina Petrick, Uticha Marmon, Jens Schuhmacher, Miro Proferl und Markus Grolik darunter, in Präsenz und digital gleich hoher Beliebtheit. Bei Schulklassen-Lesungen kämen im großen Saal des Stadtmuseums schon mal 120 bis 150 Zuhörer zusammen. Kann man da nicht im virtuellen Raum die Zuhörerzahl aufstocken? "Das leider genau nicht", sagt Eickelschulte, "eher das Gegenteil". Denn wegen des Datenschutzes, kein Kind und keine Stimme solle erkennbar sein, arbeite man mit dem Videokonferenzprogramm Teams zusammen - da liegt die Obergrenze bei knapp 70 Teilnehmern. "Neu fürs Digitale entwickelt haben wir interaktive Formate wie den Live-Backworkshop mit Cynthia Barcom und die Escape-Room-Veranstaltung mit Jens Schumacher", sagt sie. Beim "Escape Room"-Krimi können die Kinder im Chat live darüber abstimmen, welche Lösungen gewählt würden.

Ist es zumindest ein Trost, dass die digitale Ausgabe für die Ausrichter kostengünstiger ist? "Das vermuten viele", sagt Eickelschulte, "tatsächlich verschieben sich die Kosten aber nur". Zwar fielen die Anreisekosten für Autoren und die Miete für die Örtlichkeiten weg. Dafür sei es teurer, die Lesungen technisch umzusetzen. "Im Stadtmuseum brauchen Sie nur einen Hausmeister für die Saaltechnik und Mitarbeiter am Einlass." Die fallen im virtuellen Raum zwar weg. "Dafür brauchen Sie hier aber die Übertragungstechnik, Kamera und Schnitt. Bei einem Live-Stream bedeutet das 800 bis 1500 Euro."

Hat sie eine Veranstaltung, auf die sie besonders gespannt ist? "Ja. Kirsten Boje wird aus ,Dunkelnacht' lesen, ihrem Roman über die Morde, die in den Endkriegswirren 1945 in Penzberg verübt wurden, obwohl die Menschen einander kannten und danach noch miteinander leben mussten." Sie selbst sei ganz in der Nähe aufgewachsen, in Polling, schon deshalb nehme sie großen Anteil an diesem Thema, sagt Eickelschulte. Die Veranstaltung wird in Kooperation mit dem NS-Dokuzentrum am 9. Mai um 14 Uhr für Jugendliche ab 14 Jahren gestreamt. Alle Veranstaltungen finden sich unter www.muenchner-buecherschau-junior.de.

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Quelle:
SZ vom 30.04.2021
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