Süddeutsche Zeitung

Literatur:Bukowski und ich

An diesem Sonntag wäre der Underground-Poet 100 geworden. Sein Augsburger Verleger erinnert sich an gemeinsame Drinks und die letzte Lesung in Kalifornien

Von Benno Käsmayr

Es war 1970, und ich hatte im Maro Verlag, meinem studentischen Ein-Mann-Unternehmen, die Zeitschrift UND und erste Bücher veröffentlicht. Die Auflagen lagen zwischen 100 und 200 Exemplaren. Natürlich wollte ich zur Buchmesse - leisten konnte ich mir allerdings nur ein Drittel des kleinsten Standes. Im Oktober drängte ich mich also mit zwei anderen Miniverlegern auf vier Quadratmetern. Jeder bekam zwei Regalbretter.

Am Stand besuchte mich der Frankfurter Autor Paul-Gerhard Hübsch. Von ihm hatte ich im Sommer 1970 den Gedichtband "Die von der Generation Kamikaze" herausgebracht. Zusammen streiften wir über die Messe. Am Stand des März-Verlages nahm Hübsch ein Buch vom Regal, sprang auf einen Tisch und schrie: "Leute, das ist das beste Buch der Messe, kauft es!" Das Buch war "ACID", herausgegeben von Rolf Dieter Brinkmann und Ralf-Rainer Rygulla. Ich kaufte sofort ein Exemplar und hatte die nächsten Tage meine erste Begegnung mit den neuen und wilden Amerikanern. Zwischen Texten von Andy Warhol und W. S. Burroughs fanden sich auch zwei Gedichte von Charles Bukowski. Von da an war ich angefixt. Ich kaufte mir die Anthologien "Silverscreen" und "Fuck You" und die "Aufzeichnungen eines Außenseiters" von Bukowski.

Zur gleichen Zeit arbeitete ich während der vorlesungsfreien Zeit in einer Augsburger Dissertationsdruckerei, die meine Zeitschrift UND gedruckt hatte. Das Inhaberehepaar Blasaditsch fand zwar ziemlich schräg, was ich da druckte, schätzte mich aber als Aushilfe und brachte mir nicht nur das Sortieren, Leimen und Schneiden bei, sondern auch das Bedienen einer kleinen Offsetmaschine. Nach kurzer Zeit bekam ich einen Schlüssel und konnte die Bücher des Maro Verlags am Wochenende und nach Feierabend selbst drucken. Ein Paradies für einen Kleinverleger: sozusagen eigene Produktionsmittel. Der Materialverbrauch wurde mit meinem Stundenlohn von 3,20 DM verrechnet.

In der "Alternativpresse" - wie sich die Kleinverlagsszene damals selbst nannte - sprach sich schnell herum, dass man in Augsburg sein Zeug günstig drucken lassen konnte. Gut zwei Dutzend Kleinstverlage ließen über mich bei Blasaditsch drucken. Meist wurden die Aufsichtsoriginale zu mir privat geschickt, und ich schleuste die Aufträge in den Produktionsablauf.

In diesem Zuge erreichte mich 1972 die Anfrage eines gewissen Carl Weissners, dessen Name mir als Bukowskis Übersetzer bekannt war. Er hatte nach seinem Aufenthalt in den USA, bei dem er die dortige Underground-Szene sowie Bukowski kennengelernt hatte, als Lektor im Melzer Verlag angeheuert. Dort konnte er zwar Bukowskis "Aufzeichnungen" herausbringen, aber für weitere Bücher gab Verleger Abraham Melzer kein grünes Licht. Carl Weissner arbeitete mit Jörg Fauser, Jürgen Ploog und Walter Hartmann an der Zeitschrift Gasolin 23, für die er eine Druckerei suchte. Gleichzeitig schickte er mir ein Manuskript von Jörg Fauser ("Tophane"), das mich vom Hocker riss und das ich als Typoskript sofort ins Maro-Programm nahm. Die Nr. 2 von Gasolin 23 wurde als Druckauftrag abgewickelt. In diesem Heft las ich weitere Gedichte von Bukowski, fasste meinen ganzen Mut zusammen und fragte: "Carl, was hältst du von einem Bukowski-Gedichtband bei Maro?" Die Antwort kam schnell: "Lieber ein Buch von Bukowski in einem kleinen Verlag, als gar kein Buch!" Denn Weissner hatte bereits erfolglos an die Türen größerer Verlage geklopft und wurde mit kleinkarierten Begründungen abgelehnt.

Auf der Buchmesse 1973 kam Weissner mit einem zweiseitigen Vertrag: 200 US-Dollar Vorschuss und 15 Prozent Autorenhonorar. Er selbst verzichtete auf Honorar. Weissner stellte die Texte zusammen, fügte Originalbriefe, Faksimiles und eine Kurzgeschichte hinzu und schrieb ein Vorwort. Der Band sollte heißen: "Der Knast von Moyamensing".

Das Projekt nahm Gestalt an, und mir wurde klar, dass das nicht nach Feierabend gestemmt werden konnte. Bukowski musste in größerer Auflage gedruckt werden; eine A4-Druckmaschine, wie sie in der Dissertationsdruckerei verwendet wurde, geriet hier hoffnungslos ins Hintertreffen. Ich musste größer denken. Als Satzgerät hatte ich bisher meine Schreibmaschine verwendet, die Überschriften wurden mit Letraset gerubbelt. Den Satz für den ersten Bukowski-Band gab ich bei einem Schreibbüro in Auftrag, das mit dem damals neuen IBM-Composer arbeitete. Zufällig traf ich dann die Pressefrau vom Piper Verlag, die mir Werkdruckpapier schenkte, das bei einer Produktion übrig geblieben und für sie in der Presseabteilung nutzlos war. Mit meinem Fiat 600 musste ich dreimal von München nach Augsburg fahren, um die Menge bei einer Druckerei abzuladen, die im DIN-A2-Format drucken konnte. Neben diesen technischen Fragen fehlte mir noch ein Werbekonzept. Ich besuchte Carl Weissner in Mannheim, und nach einigen Bieren fiel die Entscheidung: Der Titel musste geändert werden in "Gedichte die einer schrieb bevor er im 8. Stockwerk aus dem Fenster sprang". Für die Umschlagrückseite erfanden wir Zitate von Henry Miller und Jean Genet, die wohl beide noch nie eine Zeile von Bukowski gelesen hatten. Die Zitate kursieren aber bis heute.

Im Mai 1974 waren die ersten 1800 Exemplare gebunden, doch die Bücher lagen wie Blei. Mir wurde klar: Das war's mit dem Maro Verlag. Wenn sie mir Bukowski nicht aus den Händen reißen, kann ich aufhören. Glücklicherweise hielt ich bis zur Buchmesse 1974 durch. Dort kam ein junger Mann an den Stand, der zusammenzuckte, als er das Bukowski-Buch liegen sah. Er kaufte einen Stapel und kam mehrmals wieder, um nachzukaufen. Es war Armin Abmeier, damals in der Werbeabteilung von S. Fischer, später wurde er unser Verlagsvertreter. Er verschenkte die Bukowskis auf der Messe an Freunde. Zusätzlich brachte eine Besprechung von Helmut Salzinger in Sounds den Stein richtig ins Rollen. Im November erhielt ich mehr als 800 Einzelbestellungen aus Buchhandlungen, an Weihnachten war die erste Auflage ausverkauft. Ich druckte nach und betrieb ab Ende 1975 den Verlag in Vollzeit. 1976 und in den Folgejahren erschienen drei Bände mit Kurzgeschichten von Bukowski im Maro Verlag. Dann wurde Zweitausendeins auf Bukowski aufmerksam, vertrieb zunächst unsere Bände und brachte schließlich eigene Bücher von ihm heraus.

Der Amerikaner in Deutschland

Der Hamburger Dichter Christoph Derschau - auch Autor im Maro Verlag - war mit einer Lufthansa-Stewardess verheiratet und konnte mit Zehn-Prozent-Tickets fliegen. Er besuchte Bukowski regelmäßig, freundete sich mit ihm an und überredete ihn zu einer Lesung in Deutschland. Für ein überzogenes Honorar sagte Bukowski zu, obwohl er Lesungen hasste. 1978 war es soweit: Bukowski kam nach Deutschland. Ich traf ihn in Mannheim bei Weissner. Er begrüßte mich herzlich. Es war ein denkwürdiger Abend, es gab auch genug zu trinken. Außer mir waren noch der Fotograf Michael Montfort und Christoph Derschau da. Bukowski, seine Frau Linda Lee und Carl Weissner bestritten die Unterhaltung. Ich saß daneben und wunderte mich. Bukowski sprach leise, langsam und wohlüberlegt. Das hatte ich nicht erwartet. Ich Depp hatte nicht mal Bücher dabei, um sie signieren zu lassen. Tage später traf ich ihn in Hamburg wieder, wo seine Lesung in der ausverkauften Markthalle vor 1200 Zuhörern stattfand. Wir gingen danach zu einem Italiener zum Essen, Bukowski war fertig mit der Welt, er war sturzbetrunken, und wir mussten ihn zu dritt ins Taxi hieven, das ihn ins Hotel fuhr.

Der Augsburger in L.A.

Mittlerweile waren im Maro Verlag Bücher anderer amerikanischer Autoren aus Bukowskis Umfeld erschienen: Harold Norse, Gerald Locklin, und Al Masarik. Für die Übersetzung des Gedichtbandes von Al Masarik erhielt mein Freund und Übersetzer Rainer Wehlen ein Reisestipendium. Doch wohin reisen? Ich schlug vor, Bukowski zu besuchen. Rainer Wehlen war Lehrer, also buchten wir für die Osterferien 1980 einen Flug nach Los Angeles. Wir kamen nach Mitternacht an, Bukowski, Linda und Montfort holten uns am Flughafen ab. Als wir in die Einfahrt zu seinem Haus in San Pedro einbogen, machte ich einen blöden Witz: "Oh, das ist also das Haus, das Maro finanzierte." Bukowski drehte sich um und antwortete trocken: "Nein, Benno, nur die Garage." Wir hatten zwei Sixpacks Dosenbier dabei, weil wir meinten, das würde auf ihn Eindruck machen. Doch Bukowski war Weintrinker geworden, das kalte Bier blieb für uns. Linda freute sich über die mitgebrachten Bidis (indische Einblatt-Zigaretten), die wir ihr in den Jahren danach regelmäßig schickten - in den USA gab es sie nicht mehr.

Die ersten Nächte wohnten wir bei den Bukowskis, stellten uns auf seinen Tagesablauf ein: nach dem knappen Vitamin-Frühstück fuhr er zum Rennplatz, kam am Spätnachmittag zurück, und wir gingen zu seinem Lieblings-Mexikaner essen. Ins Schwitzen brachten uns neben dem scharfen Essen außerdem zwei Mordskartons, die vor Bukowskis Garage standen: Bis oben voll mit Mandarinen aus seinem Garten, unten lief der Saft raus. Ich fragte Bukowski, was er damit machen wollte. Er klagte, dass die Müllabfuhr sich geweigert hatte, diese schweren Teile mitzunehmen. Wir hatten eine Idee: Kein Problem, wir vergraben das Zeug im Garten. Alle legten Hand an, Rainer grub die Löcher, ich lud das Material in eine Schubkarre, Bukowski fuhr zu den Löchern. Es dauerte einige Stunden unter heißer kalifornischer Sonne, dann war alles erledigt: Mandarinen weg, Löcher zu.

Nach ein paar Tagen fuhren wir nach San Francisco, besuchten Al Masarik, Ferlinghetti und City Lights, Jack Micheline und andere Autoren. Dann ging's zurück nach Los Angeles, denn in Redondo Beach gab Bukowski in einem Beat-Schuppen namens "Sweet Water" seine letzte öffentliche Lesung. Vor der Veranstaltung besuchte uns Bukowski mit Linda noch in unserem Motel. Er sprach kein Wort, war komplett schlecht drauf. Linda erklärte uns: Vor jeder Lesung ist Bukowski absolut nicht ansprechbar, es ist ein Horror für ihn. Erst wenn er auf der Bühne sitzt, legt sich das. Wir wussten Bescheid. Es war dann auch keine Lesung, sondern ein Fight. Ein lauter Dialog zwischen Autor und Publikum, so was hatte ich noch nie erlebt. Und an diesem Abend traf ich auch Bukowskis Tochter, den Regisseur Barbet Schroeder, und konnte Montfort zusehen, wie er mit der rechten Hand fotografierte und gleichzeitig mit der Linken in der zweiten Kamera den Film wechselte.

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Quelle:
SZ vom 14.08.2020
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