Literatur:Wozu Eigentum verpflichtet

Literatur: Was tun, wenn eine demente Mieterin eine Wohnung vermüllt? Die Autorin Lisbeth Exner macht sich nicht nur darüber Gedanken.

Was tun, wenn eine demente Mieterin eine Wohnung vermüllt? Die Autorin Lisbeth Exner macht sich nicht nur darüber Gedanken.

(Foto: Herbert Kapfer)

Lisbeth Exners Roman "Realitätenhandlung" kreist um eine Wohnungsräumung - und wirft Fragen zum Thema Eigentum und Erben auf.

Von Antje Weber

Eine solche Wohnung sieht selbst ein Gerichtsvollzieher selten. Nicht nur, dass seit dem Baujahr 1890 des Wiener Hauses der Sanitärbereich kaum verändert wurde. Nicht nur, dass sich hier jede Menge Schachteln, Serviettenpackungen oder Glühbirnen stapeln. Sondern auch: Papier, soweit das Auge reicht. Bücher vom Boden bis zur Decke, Zeitschriften- und Prospektstapel, die nur noch schmale Gänge freilassen. Dazwischen Kerzen - und eine durchscheinend wirkende alte Mieterin, die nicht mehr im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte zu sein scheint.

Was tun? Die Autorin Lisbeth Exner, im bayerischen Tutzing und in Wien lebend, lässt in ihrem Debütroman "Realitätenhandlung" mehrere Figuren in jener Wohnung aufeinandertreffen. Zuvorderst die Eigentümerin, die das "Glumpert" samt Mieterin aus dem Haus werfen lassen will. Sie könne "keine Bedrohung ihrer Bausubstanz dulden", redet sie sich die Aktion schön, sie trage "Verantwortung für ihr Erbe". Brand oder Einsturz, solch "apokalyptische Szenarien" muss sie verhindern. Besitz ist eben, wie Elfriede Jelinek süffisant im Vorwort schreibt, "kein reines Zuckerlecken".

Also steht nun ein Gerichtsvollzieher im vierten Stock und schwitzt. In den wechselnden Innensichten - sprachlich hübsch wienerisch intoniert - macht sich auch ein Spediteur Gedanken über die Räumung, während die Mieterin halluziniert. Und dann geistert noch, jawohl, ein Gespenst durch die Seiten: Es ist die unruhige Großmutter der Erbin, die aus dem Jenseits auf Haus und Mieterin aufpasst.

Ein Haus mit fragwürdiger Geschichte

Es ist ein kurioses belletristisches Debüt, das Lisbeth Exner da vorgelegt hat - vor allem aber eine kurze Tiefenbohrung zum Thema Eigentum und Erben. Die Autorin, 1964 in Wien geboren, zeigt dabei nicht zum ersten Mal Interesse für historisch-soziologische Zusammenhänge: Die Germanistin hat neben einer Promotionsarbeit zu Salomo Friedlaender und Monografien zu unter anderen Grete Weil zusammen mit Herbert Kapfer auch eine "Verborgene Chronik 1914" herausgegeben, die den Ersten Weltkrieg aus der Sicht privater Tagebücher darstellt.

Einiges an zeitgeschichtlichem Wissen ist auch in den Roman eingeflossen. Zum Beispiel umreißt das Gespenst die Geschichte des Hauses, das dessen jüdischer Besitzer Ende der Dreißigerjahre weit unter Wert verkaufen musste. Nicht nur Antisemitismus, auch Rassismus gegenüber dem wegen seiner dunklen Hautfarbe stets unterschätzten Spediteur tritt in den 49 Minuten der Wohnungsbesichtigung zutage. Und dann beginnt noch ein Student, der als Schlosser jobbt, über Silvio Gesell zu philosophieren.

Silvio Gesell? Wer sich mit der Münchner Räterepublik beschäftigt hat, wird den Namen kennen: Der Begründer der Freiwirtschaftslehre wurde hier 1919 Finanzminister. Das ging nicht lange gut, was nicht heißt, dass Gesells bis heute diskutierte Thesen nicht interessant wären. Der Student jedenfalls ist vom Werk "Die natürliche Wirtschaftsordnung" angetan: "Ganz normale Marktwirtschaft. Nur ohne Kapitalismus." Sollte man vielleicht mal lesen? In den Büchern verbirgt sich ja, so macht auch das eigenwillige Romanende deutlich, oft die Rettung.

Lisbeth Exner: Realitätenhandlung. Neunundvierzig Minuten. Roman, Elster & Salis 2022, 143 Seiten, 18 Euro

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