Linkshändertag:"Linkshänder erfahren von morgens bis abends eine latente Benachteiligung"

Linkshändertag: Fühlt sich richtig an: Barbara Sattler (re.) bringt Bianca Bürk bei, mit ihrer dominanten linken Hand zu schreiben.

Fühlt sich richtig an: Barbara Sattler (re.) bringt Bianca Bürk bei, mit ihrer dominanten linken Hand zu schreiben.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Psychotherapeutin Barbara Sattler leitet in München eine Beratungsstelle für Linkshänder.
  • Sie forschte bereits in den Achtzigerjahren zu der Frage, welche psychischen Folgen es haben kann, wenn Linkshänder zu Rechtshändern umgeschult werden, und fordert: So wie es Frauenbeauftragte gibt, sollte es auch Linkshänderbeauftragte geben.

Von Stefanie Huschle

Albert Einstein und Jimi Hendrix, Beethoven und Lady Gaga, Julius Cäsar und Joachim Löw, sie alle waren oder sind Linkshänder. So wie zehn bis 15 Prozent aller Menschen, schätzen Statistiker. Jedes Jahr am 13. August soll der internationale Linkshändertag auf diese große Minderheit aufmerksam machen. Wenn es nach Barbara Sattler geht, dann ist das dringend notwendig. Die Psychotherapeutin leitet in München eine Beratungsstelle für Linkshänder. Bereits in den Achtzigerjahren forschte sie zu der Frage, welche psychischen Folgen es haben kann, wenn Linkshänder zu Rechtshändern umgeschult werden.

Wenn Kinder zwangsweise mit der "falschen" Hand schreiben müssen, könnten die Konsequenzen mitunter dramatisch sein, erklärt Sattler. Konzentrations- und Lernschwierigkeiten, Stottern, Minderwertigkeitskomplexe und sogar Depressionen. Nachdem die Forschungsergebnisse damals veröffentlicht worden waren, kamen viele umgeschulte Erwachsene und Eltern linkshändiger Kinder mit Fragen und Sorgen auf Sattler zu. Die Nachfrage war so groß, dass die Psychotherapeutin 1985 die Beratungsstelle für Linkshänder gründete. Es war damals das erste Projekt dieser Art in Deutschland.

Auch heute noch wenden sich mehr Menschen an Sattler, als sie betreuen kann. Eltern von Vorschülern wollen zum Beispiel von ihr wissen, ob ihr Kind nun Links- oder Rechtshänder ist. "Es kommt vor, dass Kinder ihre rechtshändigen Eltern nachahmen und darum mit rechts schreiben, obwohl sie linkshändig sind", erklärt Sattler. Sie kann die Händigkeit bestimmen, indem sie die Kinder in ein Gespräch verwickelt und ihnen nebenbei verschiedene Aufgaben gibt, Perlen auffädeln zum Beispiel. Dabei verwenden die Kinder intuitiv die dominante Hand. Sattler bietet auch Übungskurse für linkshändige Schreibanfänger an, damit diese von Anfang an die richtige Technik anwenden. Für eine unverkrampfte Schreibhaltung müssen Linkshänder ihr Blatt schräger halten als Rechtshänder. "In der Schule wird auf die richtige Schreibhaltung oft nicht genug geachtet", sagt Sattler.

Die Therapeutin ist selbst umgeschulte Linkshänderin. In ihrer Beratungsstelle bietet sie nun auch Rückschulungen an. Dabei bringt sie Linkshändern bei, wieder mit links zu schreiben. "Das ist schwieriger, als es sich anhört", sagt sie. Denn zum Schreiben bedarf es einer Feinmotorik, die lange trainiert werden muss. "Eine Rückschulung kann auch nicht in jeder Lebenssituation gemacht werden. Man muss psychisch stabil sein und genug Zeit dafür haben", sagt sie.

Bianca Bürk hat gut zwei Jahre gebraucht, bis sie es geschafft hatte. "Das Schreiben mit der linken Hand hat sich von Anfang an gut und richtig angefühlt", sagt die 48-jährige Friseurin. Früher sei ihre Schrift nicht gut leserlich gewesen. "In der Schule musste ich einmal nachsitzen, weil meine Heftführung so schlecht war. Niemand ist damals auf die Idee gekommen, dass meine Schwierigkeiten daher kommen, dass ich eigentlich Linkshänderin bin." Im Gegenteil: "Meine Mutter hat mir immer gesagt, ich soll nicht mit der bösen linken Hand schreiben."

Aus Neugierde beschloss sie, mit links schreiben zu lernen. Sie wollte wissen, wie sich das anfühlt und wie ihre Schrift dann aussieht. Also füllte sie mit Sattlers Hilfe Schulheft um Schulheft, zunächst mit Formen, dann mit Buchstaben, schließlich mit Wörtern. Inzwischen schreibt sie mit links genauso schnell wie mit rechts, "nur viel schöner", sagt sie stolz. Und nicht nur das: "Seit ich mit links schreibe, habe ich ein ganz anderes Gefühl für Musik. Ich kann in die Musik eintauchen, die Töne wecken plötzlich Assoziationen und Bilder in mir."

Dass das richtige Schreiben etwas mit dem Musikempfinden zu tun haben kann, bestätigt Barbara Sattler: "Es ging schon mehreren meiner Rückschüler so, dass sie Musik und Kompositionsstrukturen aufmerksamer wahrnehmen können, seit sie mit der linken Hand schreiben." Eine wissenschaftliche Erklärung habe sie dafür zwar nicht, sie ist aber überzeugt: "Es geht ein Stück Kreativität verloren, wenn ständig mit der nicht-dominanten Hand gearbeitet werden muss."

"Wie es Frauenbeauftragte gibt, so sollte es auch Linkshänderbeauftragte geben"

Der gesamte Lebensalltag, sagt Sattler, sei für Linkshänder anstrengender: "Linkshänder erfahren von morgens bis abends eine latente Benachteiligung. Die Gesellschaft ist so stolz darauf, dass in der Schule nicht mehr umgeschult wird, dass sie darüber ganz vergisst, dass es um viel mehr geht." Um den Beruf zum Beispiel: Manche Maschinen seien nur auf Rechtshänder ausgerichtet, sodass Linkshänder zum Teil den ganzen Tag mit ihrer nicht-dominanten Hand arbeiten müssten. "Bei Standbohrmaschinen ist die ganze Feinmotorik auf der rechten Seite", sagt Sattler.

Sie ist der Meinung, dass sogar 20 bis 25 Prozent der Menschen Linkshänder sind, also deutlich mehr als allgemein angenommen. Und deren Bedürfnisse verdienten mehr Berücksichtigung, sagt Sattler. "Wie es Frauenbeauftragte gibt, so sollte es auch Linkshänderbeauftragte geben", meint die Therapeutin. Zudem bräuchte es einen europäischen Fördertopf, mit dem Unternehmen beim Kauf von Geräten und Maschinen für Linkshänder finanziell unterstützt werden.

Bei der Industrie- und Handelskammer in München allerdings heißt es, ihnen sei die angebliche Problematik nicht bekannt. Auch die Pressestelle des Autobauers BMW antwortet: Man habe noch nie davon gehört, dass linkshändige Angestellte sich benachteiligt fühlten. Ist das Problem also vielleicht gar nicht so groß? "Viele Linkshänder arbeiten einfach mit der rechten Hand und beschweren sich nicht", glaubt Sattler.

Die Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder ist mittwochs zwischen 14 und 15 Uhr telefonisch zu erreichen unter 089/ 26 86 14. Außerdem bietet sie an diesem Montag von 15 bis 17 Uhr eine kostenlose Schreibberatung an der Sendlinger Straße 17 an.

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