Flughafen München:Tollkühne Münchner in ihren fliegenden Kisten

Flughafen München: Wer wird denn gleich in die Luft gehen? Im Juni 1919 gehörte Intendantin Hermine Körner (zweite von rechts) zu den ersten in München, die Linienflüge nutzten.

Wer wird denn gleich in die Luft gehen? Im Juni 1919 gehörte Intendantin Hermine Körner (zweite von rechts) zu den ersten in München, die Linienflüge nutzten.

(Foto: Sammlung Otto Meyer, Bayerische Rumpler-Werke)

Vor 100 Jahren hoben am Oberwiesenfeld die ersten Linienflüge ab. Pro Tag konnten nur drei Passagiere befördert werden - und das war nicht das einzig Kuriose.

Von Stefan Simon

Nach einer sanften Landung klingt das nicht. Ob heute wohl noch irgendjemand mit einer Airline namens Rumpler-Flugverkehr verreisen würde? Vor 100 Jahren stellte sich die Frage nicht, es gab in München ja nur Rumpler-Linienflüge. Ganze drei Passagiere konnten pro Tag befördert werden, nach Augsburg oder Nürnberg, mit Weiterflug nach Leipzig und Berlin. Der Juni 1919 markiert den Beginn des plan- und regelmäßigen Flugdienstes in München; einzelne Passagierflüge hatte es auch davor schon gegeben, zwischen München und Friedrichshafen und "mit Anschluss an den Zeppelinverkehr".

Die ewige Frage, ob sich das, was gerade als neu und modern gilt, auch auf längere Sicht durchsetzen kann, ist in diesem Fall zur Genüge beantwortet. Drei Passagiere am Tag? Allein an diesem Freitag erwartet der Münchner Flughafen 160 000 Fluggäste. In langen Schlangen werden die Pfingsturlauber vor den Schaltern stehen und anschließend auf Sicherheits- und Passkontrollen warten - so sie erst einmal den Stau überstanden und einen Parkplatz gefunden haben. Weil viel gebaut und renoviert wird, gibt es gerade weniger Stellplätze als sonst, weshalb der Airport sogar schon zu Online-Reservierungen rät. Bis zum Ende der Pfingstferien werden trotzdem an die 20 000 Flugzeuge und 2,4 Millionen Reisende abgefertigt worden sein.

Chaos am Münchner Flughafen, 2018

An diesem Freitag werden die Pfingsturlauber wieder in langen Schlangen vor den Schaltern am Münchner Flughafen stehen.

(Foto: Marco Einfeldt)

Am 1. Juni 1919 dauerte es noch genau eine Woche bis Pfingsten. Auf dem Münchner Flugplatz fand sich eine besondere Passagierin ein, Hermine Körner, die neue Intendantin des Münchner Schauspielhauses. Sie brach mit zwei Kollegen zu einem Gastspiel nach Augsburg auf. Richtig gut war das Wetter zum Fliegen nicht: wolkig, immer wieder Regenschauer, 18 Grad im Durchschnitt. Bedenkt man, dass damals in offenen Kabinen geflogen wurde, könnte man sagen, dass es ein rechtes Mistwetter war, das die Regisseurin Körner und ihre Begleiter zu einer durchaus sehenswerten Vermummung zwang.

Nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich der Flugzeugfabrikant Rumpler auf die Suche nach neuen Geschäften gemacht, freilich nicht nur aus freien Stücken. Der Versailler Vertrag verbot Deutschland den Bau und den Besitz von Militärflugzeugen, und so wurden die Rumpler C-Typen, die den Lufttruppen bei ihren Schlachten einst als Aufklärer und Bomber gute Dienste geleistet hatten, von den Bayerischen Rumplerwerken in Augsburg abgerüstet und umgebaut. Sie sollten fortan in friedlicher Mission in den Himmel steigen.

Die prominente Schauspielerin und Theaterchefin Körner zählte zu den ersten Passagieren des neuen Linienverkehrs. Ein Fotograf hielt den Reiseantritt fest. Schwere Mäntel, Wind abweisende Hauben und klobige Schutzbrillen sind auf der Aufnahme zu sehen - und Zigaretten, die drei Männer in die Kamera halten, direkt neben dem vollgetankten Doppeldecker. Lässig, gewiss, aber andererseits: An ein Weiterleben nach dem Flug glaubte damals sicher noch nicht jeder, und die Gesichter könnte man auch so interpretieren, dass sich da wenigstens einer der Drei noch schnell den Wunsch nach einer letzten Zigarette erfüllte. Sicher ist sicher. Zu Hermine Körner indessen, eine Mensch gewordene Naturgewalt auf und auch abseits der Bühne, passte diese Art des Reisens ganz gut.

Schnell reiften Pläne für ein bayerisches Luftverkehrsnetz, weil Benzin knapp war, wurde aber nichts daraus. In den Münchener Historischen Studien berichtet Stefan Lülf, der Rumpler-Luftverkehr habe in einem Rundschreiben an mehrere Städte in Bayern um geeignete Landeplätze geworben. Das Interesse war groß, zu groß, und Rumpler musste einen Rückzieher machen. Alles nur eine Anregung, hieß es in einem Schreiben an die Stadt Hof in Oberfranken, alles noch nicht spruchreif. "In einer Antwort an die Stadt Regensburg spricht die Gesellschaft sogar von einem Missverständnis", schreibt Lülf.

Flughafen München: Der Gipfel: Nach den ersten Geschäftsverbindungen ließen die Vergnügungsflüge nicht lange auf sich warten. Schon im Juni 1919 warben Plakate für "Erholungs- und Gesellschaftsflüge in die bayerischen Berge und Seengebiete".

Der Gipfel: Nach den ersten Geschäftsverbindungen ließen die Vergnügungsflüge nicht lange auf sich warten. Schon im Juni 1919 warben Plakate für "Erholungs- und Gesellschaftsflüge in die bayerischen Berge und Seengebiete".

(Foto: Flughafen München)

Für die Münchner war der Weg zum Flughafen damals um einiges kürzer als heute. Riem war noch ein Dorf weit außerhalb der Stadt und das Erdinger Moos nur in Teilen trockengelegt. Geflogen wurde 1919 am Oberwiesenfeld, einem Militärgelände im Norden der Stadt, auf dem bereits im 18. Jahrhundert exerziert und mit Waffen experimentiert wurde - aber nicht nur: Die königlich-bayerische Armee nutzte es für Ballonfahrten, und 1909 landete dort das Reichsmilitärluftschiff S.M. Zeppelin I, das seine erste "Fernfahrt" bestanden hatte. Durch diese Lage kam es, dass 1919 die Starts und Landungen der zivilen Luftfahrt mitunter während Übungen der Kavallerie stattfanden; eine eigene Start- und Landebahn gab es erst 1925.

Geschossen wird rund um den Luftverkehr in München immer noch, wenn auch nur verbal. Um die Zahl der Nachtflüge und der Startbahnen wurde gestritten, und gerade werden Unterschriften für eine Petition gesammelt, wonach der Flughafen München keine Subventionen mehr an Fluggesellschaften zahlen soll. Die seien ein klarer Verstoß gegen das Pariser Klimaabkommen, heißt es. Fliegen sei einer der Hauptverursacher von Treibhausgasen, müsse teurer werden, und Kurzstrecken könnten mit der Bahn zurückgelegt werden.

Sinnlos die Luft verschmutzen, das war aber schon vor 100 Jahren der letzte Schrei. "Rund um die Zugspitze!", stand auf Plakaten, mit denen der Rumpler-Luftverkehr für "Erholungs- und Gesellschaftsflüge in die bayerischen Berge und Seengebiete" warb. Mehr als zwei Passagiere passten zwar nicht in die - bei solchen Flügen übrigens doch geschlossenen - Kabinen. Aber so war das mit den Gesellschaftsflügen ja auch gar nicht gemeint, es ging nicht um die Größe der Reisegesellschaft, sondern darum, sich zu denen zählen zu können, die sich das leisten konnten. Als am 24. Juni 1919 die ersten an Bord gingen, hatte das Wort Ausflug eine neue Bedeutung.

Geschäftsreisen nach Augsburg und Tagestrips ins Wettersteingebirge, so ähnlich funktionieren Linienflüge bis heute. Inzwischen wird höher, schneller, weiter geflogen - aber längst nicht mehr so originell. Die Rumpler-Flüge rund um die Zugspitze weckten den Sportsgeist mancher Piloten. Vielleicht lag es an den Kufen, die auf den Werbeplakaten unter die Räder geschnallt waren, aber tatsächlich sollte es einem von ihnen schon bald gelingen, auf Deutschlands höchstem Berg zu landen. Zu dumm, dass bei der Landung auf dem Schneeferner-Gletscher der Propeller zu Bruch ging. Das Flugzeug musste zerlegt und mühsam ins Tal gebracht werden. Eine sanfte Landung war das nicht.

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