Liesl Karlstadt:Mehr als nur die Partnerin von Karl Valentin

Liesl Karlstadt: Liesl Karlstadt war unter anderem Rundfunksprecherin 1949.

Liesl Karlstadt war unter anderem Rundfunksprecherin 1949.

(Foto: Valentin Museum München)

Die am 12. Dezember 1892 geborene Schauspielerin und Volkssängerin Liesl Karlstadt war als selbstbestimmte Frau ihrer Zeit voraus. Sie überzeugte in vielen Rollen - trotz ihrer psychischen Erkrankung.

Von Theresa Hein

Im Jahr 1934 streitet sich ein Münchner Ehepaar vor der Kamera. Das Paar wird gespielt von Liesl Karlstadt und Karl Valentin. Der wirft seiner Partnerin an den Kopf, sie sei ein langweiliges Frauenzimmer, wie es im Buche steht. Sie erwidert: "Ja, friß mich nur net gleich", mit diesem lang gezogenen, oberbayerischen "i", das mehrere Oktaven bis zum Überschlag der Stimme innerhalb einer Viertelsekunde hinaufklettert.

"Ich kenn dich ja, ich kenn dich ja zu genau", schimpft Karlstadt und hebt dabei die Hände in die Luft, als suche sie bei einer höheren Macht Rat, die ihr erklärt, warum sie jetzt eigentlich dieses Rindviech, den Valentin, so genau kennt. Nebenbei führen ihre Hände im Rhythmus ihrer Worte eine Hackbewegung aus, als würde sie Valentin am liebsten zerteilen. Kurz darauf beginnt sie zu weinen.

"Der Theaterbesuch" ist auch heute, dreiundachtzig Jahre später, in der Präzision und Brutalität, mit der er menschliche Liebesbeziehungen widerspiegelt, zeitlos. Und er ist wahnsinnig lustig anzuschauen. Karlstadt und Valentin haben sie ein Leben lang studiert, die menschlichen Beziehungen, die sich am kleinsten, belanglosesten Detail zerstören und aufreiben.

Der Kurzfilm gewinnt an Schwere, wenn man sich die Hintergründe bewusst macht: Im Jahr 1934 waren Karl Valentin und Liesl Karlstadt schon seit dreiundzwanzig Jahren miteinander liiert, aber ihre Beziehung zerbröselte langsam. Valentin hatte sich eine jüngere Geliebte gesucht, er verbrachte wieder mehr Zeit mit seiner Familie und hatte außerdem noch sein und Liesl Karlstadts ganzes Erspartes in sein Kuriositätenmuseum "Panoptikum" gesteckt - einen wirtschaftlichen Misserfolg. Ein Jahr später versuchte Liesl Karlstadt, sich umzubringen. Passanten fischten sie auf der Höhe der Wittelsbacherbrücke aus der Isar.

Zu Lebzeiten haben Chronisten wie Tucholsky und Brecht in den Beschreibungen über Karl Valentin Liesl Karlstadt schlicht ignoriert. Nach ihrem Tod wurde sie wegen ihrer Depressionen häufig als die traurige Partnerin Valentins stilisiert. Dabei war Karlstadt, geboren als Elisabeth Wellano in ärmliche Verhältnisse in Schwabing, eine selbstbestimmte, eigenständige Frau in einem Jahrhundert, das für Frauen lange die Mutter- und Hausfrauenrolle vorsah.

"Man kann in jedem Beruf anständig bleiben"

"Sie hat nicht verdient, dass man sie bemitleidet. Sie hat verdient, dass man sie bewundert", sagt die Biografin Gunna Wendt. Karlstadt sei eine Person gewesen, die einen Anspruch an das Leben gestellt habe, einen Anspruch auf ein eigenes Glück, das ihr niemand nehmen konnte.

Bereits mit 17 Jahren macht sich Karlstadt als Volkssängerin selbständig. Ihr Vater ist davon nicht begeistert, Schauspielerei ist für eine Frau kein anständiger Beruf. Karlstadt aber findet: "Man kann in jedem Beruf anständig bleiben", und kündigt ihre Stelle als Verkäuferin im Kaufhaus Hermann Tietz. 1911 lernt sie auch den nervösen Valentin kennen, der zu dieser Zeit schon eine Berühmtheit ist. Neben und auf der Bühne gibt sie alles, was ihr möglich ist, um das Bild des "langweiligen Frauenzimmers" ja nie Realität werden zu lassen. Dabei helfen ihr die zahlreichen Männerrollen als Jockey, Firmling oder Kapellmeister.

Mit dem Wunsch, dem anderen Geschlecht anzugehören, haben die Rollenwechsel nichts zu tun gehabt, sagt Gunna Wendt: "Liesl Karlstadt wollte nicht in einem anderen Körper sein, sie war ja auch wirklich in Valentin verliebt. Natürlich spielte sie gerne und mit Eifer Hosenrollen. Aber Liesl Karlstadt war auch mit Begeisterung Frau." In den Hosenrollen erobert sie sich Freiräume, die ihr die Gesellschaft damals nie gewährt hätte. Sie fühlt sich weniger in ihrem Körper gefangen als in der Rolle der Passiven, die ihr als Frau zugeschrieben wurde.

Ihre Hingabe beeindruckt junge Künstler bis heute. Andrea Limmer, eine junge Landshuter Kabarettistin, nennt Karlstadt als Vorbild: "Sie hat sich nicht zurückgelehnt und auf einen Kerl gewartet, der sie heiratet und ihr seinen Namen schenkt. Sie hat für sich selbst gesorgt und sich einen Ruf erarbeitet, in einer Zeit, in der das alles andere als üblich war." Für Limmer ist Karlstadt aber auch als Mensch prägend. "Ihr Wesen, ihre Kraft, ihr Fleiß sind inspirierend. Nicht nur bei der Arbeit, sondern als Frau. Liesl Karlstadt wollte immer auf Augenhöhe ernst genommen werden."

"Für die meisten bin i halt die Mutter Brandl"

Anfang der Dreißigerjahre unternimmt Liesl Karlstadt an den Kammerspielen erste Versuche als Schauspielerin, losgelöst von Karl Valentin, und begeistert das Publikum als Ersatz für Therese Giehse. Karlstadt weiß jetzt, dass sie auch als Solokünstlerin funktioniert, die Erfahrung gibt ihr Selbstbewusstsein. Doch trotz der Stärke und Fröhlichkeit, die sie nach außen demonstriert, hat Liesl Karlstadt Angst, vergessen zu werden, nicht zu existieren.

Karl Valentin schreibt ihr 1936 in einem Brief ins Nußbaumklinikum: "Du hast gestern abend gesagt, ich habe ja gar niemand mehr auf der Welt der mich mag, ich bin ja ganz verlassen. Ja das konntest Du ja aber nur in Deinem jetzigen Zustand sagen, denn Dich hat ja wirklich alles lieb und jeder fremde Mensch sogar und wenn er dich nur 1 Stunde kennt, ist er schon ganz verliebt in Dich, ob Mann oder Frau".

Karlstadt arbeitet weiter, ohne längere Pause, trotz der Diagnose einer bipolaren Störung. Sie hält es nicht aus, nicht zu arbeiten. In den folgenden Jahren wechselt ihr Alltag zwischen Klinikaufenthalten, Kururlauben, Kabarettauftritten, Schauspielengagements und Plattenaufnahmen. Sie spielt den ganzen Krieg hindurch immer wieder am Volkstheater, bis es 1944 durch Bomben zerstört wird.

Ende der Vierzigerjahre beginnt sie eine zweite Karriere beim Bayerischen Rundfunk und macht sich ihre jugendliche Stimme zunutze. Es gibt kleine Kinder, die haben, wenn sie lernen zu sprechen, etwas Raues in der Stimme, von dem man sich wundert, wie es aus diesem kleinen Kinderkörper kommen kann. Als hätten sie ständig einen Frosch aus Zucker im Hals. Liesl Karlstadts Stimme hat genau dieses raue, piepsige Krächzen eines Kindes. Ihre Stimme altert kaum und hat einen hohen Wiedererkennungswert.

1952, Karl Valentin ist da bereits vier Jahre tot, wird sie zur "Meisterhausfrau" in der neuen Rundfunkreihe "Mutter Brandl". Wegen eines "kriegsbedingten Nachholbedarfs in der Haushaltsführung" entschließt man sich beim Bayerischen Rundfunk, eine Ratgebersendung ins Programm zu nehmen. 40 Millionen Hörer erreicht die Mutter Brandl, die bald um eine Familie erweitert wird.

Eine Matinee zur Karlstadts Ehren

Öffentliche Auftritte und Lesereisen mit dem Bayerischen Rundfunk erhöhen Karlstadts Nachkriegsbekanntheit. In einem Beitrag in der Abendzeitung schreibt sie: "Mei, i bin do kei so Mondäne, so a Monroe oder Genalolo Brigida, was Ihr alleweil mecht's. Für die meisten bin i halt die Mutter Brandl. [...]Aber leider, im Haushalt kann ich keiner was lernen, ich bin ja viel zu häufig auswärts."

Bestimmt gab es in ihrem Leben eine Zeit, da hätte sie sich eine Zukunft mit Valentin oder eine Familie gewünscht. Dieser Wunsch wurde von einem anderen Traum abgelöst. An ihrem 60. Geburtstag sind die Zeitungen voller Lob, die Kammerspiele veranstalten ihr zu Ehren eine Matinee. Der schönste Tag seit ihrer Firmung sei das gewesen, sagt Karlstadt. Zu ihrem 65. Geburtstag, drei Jahre vor ihrem Tod am 27. Juli 1960, erhält Karlstadt 1200 Glückwunschkarten. 1200 Beweise, dass sie existiert.

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