Lieder über München:Georg Ringswandl und Neuperlach: Hoch lebe die Kreidler 50

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Das Lied "Die Mopedrocker von Neuperlach" spielt in einem Viertel, in dem sich was rührt.

Von Franz Kotteder

Ertuğrul P. möchte mit aufs Foto, nur so aus Scheiß halt. Mit seinem Spezl Sala schlendert er gerade über die etwas verhaute Fußgängerbrücke, die über die vierspurige Fritz-Erler-Straße führt. Ertuğrul weiß gar nicht, wie gut das jetzt gerade passt, denn so vom Alter her könnte er ja durchaus einer dieser "Mopedrocker von Neuperlach" aus dem Lied von Georg Ringsgwandl sein. Und dieser Ringsgwandl wird hier auf der Fußgängerbrücke gerade abgelichtet.

"Die Mopedrocker von Neuperlach" aus dem Jahr 1980 ist eine sehr spartanische Nummer. Der Musikkabarettist Ringsgwandl hat damals seine Karriere gerade begonnen, machte hauptberuflich seine Ausbildung zum Kardiologen im Klinikum Großhadern und hatte den Text lässig und wohl in einem Schwung auf die Rückseite eines EKG-Befundbogens geworfen. Die Musik ist minimal-invasiv, wie man in Ärztekreisen wohl sagen würde: Sie besteht aus einem sehr funkigen Basslauf und dem leicht exaltierten Gesang, der typisch ist für die ersten Jahre des Musikers Georg Ringsgwandl.

Ringsgwandl war damals ein wilder Vogel. Man darf das deshalb so sagen, weil eine seiner späteren Platten schlicht "Vogelwild" heißen wird. Um 1980 herum aber ist noch lange nicht die Rede von einer Platte. Da tourt er, der im Bad Reichenhaller Glasscherbenviertel Staufenbrück aufgewachsen ist, zusammen mit zwei, drei anderen Musikern als "Gurkenkönigs Hausfrauenshow" durch die Lande. Mal hat er einen giftgrünen, mal einen knallblauen Müllsack an, mal eine Badekappe auf und eine übergroße Schwimmbrille. Er singt und kiekst und schreit bizarre Texte ins Mikrofon, tobt über die Bühne und beleidigt einzelne Besucher zum Gaudium der anderen. Und tagsüber macht er seine Facharztausbildung in Großhadern. In andere Außenbezirke verschlägt es ihn eher selten: "Wir waren da manchmal im Krankenhaus Neuperlach, zu Fortbildungen."

Aber die sogenannte Entlastungsstadt, die schon damals die Münchner Wohnungsnot lindern sollte, wurde aus anderen Gründen ein Thema. Er sagt das bei einer Tasse Kaffee im heutigen Zentrum Neuperlachs, das damals noch in Planung war, nämlich dem PEP, dem "Perlacher Einkaufsparadies". Früher gab es hier nur eine Niederlassung der Kaufhauskette Bilka, die auch in der zweiten Strophe der "Mopedrocker" verewigt ist mit den Zeilen: "Mei Freindin is de kloane Milka, die arbat hintn in der Wurscht beim Bilka."

Die Typen, von denen er da sang, kannte er schon aus Reichenhall: "Ich bin als magererer, schwächlicher, kleiner Bub in dem Drecksviertel, in dem ich aufgewachsen bin, laufend von anderen Buben bedroht und verdroschen worden", erzählt Ringsgwandl, "von daher rührt eine gewisse Skepsis gegen halbstarke Banden." Neuperlach aber galt damals schon als Problemviertel, "weil die Bevölkerung dieses Geschenk der modernen Architektur, den Segen dieser wunderschönen sozialen Baukunst, nicht so richtig verstanden hat". Jene, die Neuperlach entworfen hätten, hätten diesen Segen natürlich schon verstanden, schiebt er nach, und zwar bis heute: "Deshalb wohnen sie jetzt alle in renovierten Altbauwohnungen in Schwabing."

Man sieht schon: Georg Ringsgwandl hat es mit vergifteten Komplimenten. Etwa wenn er die Architektur des PEP lobt: "Mit diesen Bögen grüßt doch die Antike rüber! Das steckt doch alles drin, von Palmyra bis Palladio." Manches meint er aber auch so halbernst: "Hier herrscht doch ein munteres Leben, hier ist ein Mordsbetrieb! Da läuft die Kopftuchfrau neben der spärlich Bekleideten, und beide kommen miteinander aus." Da bricht er eben doch wieder durch, der Respekt Ringsgwandls für den illusionsfreien Realismus der sogenannten kleinen Leute, von denen er ja selber herkommt. Und denen er immer wieder kleine, skurrile Denkmäler setzt (zum Beispiel mit seinem Musiktheaterstück "Der varreckte Hof", das derzeit im Münchner Lustspielhaus zu sehen ist). Im Fastfood-Restaurant im Erdgeschoss des PEP bekomme man beispielsweise immer haargenau das, was einem versprochen werde, und das zu einem exakt festgesetzten Preis. Das sei doch gerecht und für jeden berechenbar. Und das Zentrum Neuperlachs sei immer belebt: "Hast du so was in Grünwald?", fragt er und antwortet gleich selbst: "No! Da gibt's bloß gähnende Leere und Frauen, die zum Psychotherapeuten fahren."

Musikkabarettist und Kardiologe Georg Ringsgwandl. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Hier aber sieht er echte Menschen mit echten Biografien. "Schau dir die zwei da drüben an", sagt er, "die haben beide einen Body Mass Index von 29, er hat einen Bart wie DJ Ötzi und sie könnte mal die Jazz-Gitti gewesen sein." Und der perfekt rasierte alte Raucher da draußen? "Hank Bukowsky vor dem nächsten Chemotherapie-Zyklus. Oder vielleicht auch ein alter deutscher Autorenfilmer, der in den Siebzigerjahren total berühmt war und den heute keiner mehr kennt."

Es geht noch hinaus auf den Hanns-Seidel-Platz und zur Fußgängerbrücke. Weit und breit keine Mopeds. Natürlich sei das heute alles anders, sagt er: "Die Halbstarken von damals waren finanziell noch nicht so aufgestellt wie heute. Da reichte es halt nur für eine Zündapp oder eine Kreidler 50." Mopedgangs sieht man nicht mehr in Neuperlach, offenbar haben die Kontaktbereichsbeamten ganze Arbeit geleistet. Ertuğrul und seine Spezl gehen zu Fuß, im lässigen Pimp Roll, versteht sich. Ertuğrul hat kein Moped. Er hat nicht einmal eine E-Mail-Adresse, an die man das Foto mit Ringsgwandl schicken könnte.

© SZ vom 05.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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