Liebloser Orleansplatz:Tristesse im Franzosenviertel

Hier gibt es geblümte Waschlappen für 50 Cent und Karussells, die sich einsam drehen: Der Orleansplatz war einmal als Entree zum Haidhauser Franzosenviertel geplant - inzwischen ist er zum lieblosen Ort verkommen. Dabei hätten die Anwohner jede Menge Ideen.

Thomas Anlauf

Still dreht sich das Karussell in der Ecke des Platzes. Keine Musik dringt aus Boxen, ein kleines Mädchen sitzt stumm im roten Feuerwehrauto; nach zwei Minuten ist die stille Fahrt im Kreis vorbei. Eine Attraktion kann man das kleine Fahrgeschäft am Rand des Orleansplatzes nicht gerade nennen.

Liebloser Orleansplatz: Was tun mit der Fläche auf dem Orleansplatz: Bespielen? Mit Festen, die beliebig austauschbar sind? Wenn nicht gerade Bierbänke und Buden aufgebaut sind, sitzen hier höchstens ein paar Männer mit Bierflaschen.

Was tun mit der Fläche auf dem Orleansplatz: Bespielen? Mit Festen, die beliebig austauschbar sind? Wenn nicht gerade Bierbänke und Buden aufgebaut sind, sitzen hier höchstens ein paar Männer mit Bierflaschen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Auch sonst ist nicht sehr viel los am frühen Abend. Weit verstreut sitzen zwei Dutzend Menschen an orangefarbenen Biertischen. Einige hocken allein da, eine alte Frau, die einfach vor sich hinstarrt, kein Getränk oder Essen vor sich. Dabei gäbe es genug zu kaufen: den "echten Südtiroler Bauerntoast" etwa am Stand eines Putzbrunners.

Oder etwas Deftiges von "Berger's Wurstbraterei", daneben gibt es sogar Cevapcici und Gulaschsuppe. Schließlich wird auf dem Orleansplatz mehr als zwei Wochen lang das "Europafest München" gefeiert. Doch die beliebig wirkenden Stände auf dem lieblos daliegenden Orleansplatz strahlen Tristesse aus. Der Platz hat einfach ein Problem.

Er sollte einmal das Entree, das Eingangstor zum Franzosenviertel Haidhausen sein. Georg Friedrich Christian Bürklein legte mit dem Bau des Haidhauser Bahnhofs 1871 unfreiwillig den Grundstein für die ganze Malaise, Arnold von Zenetti entwickelte dann das Gebiet nördlich der Rosenheimer Straße im Stil französischer Städte - mit dem langgezogenen Bordeauxplatz und eben dem muschelförmigen Orleansplatz.

Ganz bewusst wurden die Grünflächen zum Teil gekiest, südländisches Flair sollte das ausstrahlen nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71.

Der Platz war beliebt, erst recht, als 1875 der berühmte Glaspalast-Brunnen zum Schmuckstück des Platzes wurde. Die weiß leuchtende Brunnenanlage hatte 1853 August von Voit eigentlich für den Alten Botanischen Garten geschaffen. Fast hundert Jahre lang prägte er das Bild des Orleansplatzes. Dann kam der Bau der S-Bahn. Und der Glaspalast-Brunnen ziert heute den Weißenburger Platz.

Kaum Raum für Flaneure

Im Mai 1972 wurde die Stammstrecke eingeweiht, an deren östlichem Ende der Orleansplatz liegt. Triste Schächte führen in den Untergrund, der Ostbahnhof ist zum Verkehrsknoten mitten in der Stadt geworden: Hier wenden viele S-Bahnen, die U 5 kreuzt unterirdisch den Platz.

Liebloser Orleansplatz: Christian Horn, Eigentümer des Kaufring-Gebäudes, engagiert sich seit Jahren für eine freundlichere Gestaltung des Orleansplatzes.

Christian Horn, Eigentümer des Kaufring-Gebäudes, engagiert sich seit Jahren für eine freundlichere Gestaltung des Orleansplatzes.

(Foto: Stephan Rumpf)

Busbahnhof und Taxischleife nehmen sechs Fahrspuren ein, in Viererreihen rauschen täglich mehr als 20.000 Fahrzeuge über den Platz. Die Trambahnen der Linie 19 quälen sich auf zwei Gleisen über das Halbrund, dahinter verteilt eine Fahrbahn die Autos in Richtung Haidhausen. Mehr als ein Dutzend Fahrspuren auf einem Platz: Da bleibt kaum Raum für Flaneure.

Die Stadt versucht dennoch seit Jahren, die Fläche mit Leben zu füllen: Freundschaftsfest mit Prag, Europafest, Bayernmarkt, Hamburger Fischmarkt. Doch das lieblose Treiben ist selbst dem Haidhauser Bezirksausschuss zu viel.

Vorne an der breiten Trasse zum Ostbahnhof haben sich in diesen Tagen Händler mit ihrer Ramschware niedergelassen. Da werden acht Paar Herrensocken angepriesen für sechs Euro - garantiert Baumwolle. Auf der Rückseite zur Wörthstraße hin ähnliche Angebote: geblümte Waschlappen für 50 Cent oder ein Stapel mit genoppten Badewanneneinlagen - fünf Euro das Stück.

Auf einer kleinen Bühne steht Alleinunterhalter Peter K. mit seinem Keyboard und singt Lieder: "Du entschuldige i kenn di" und "Hello Marie Lou", eine schlanke Dame dreht sich allein zur Schlagermusik im Kreis. Am bananenförmigen Brunnen, der wegen Reparaturarbeiten immer noch trocken liegt, sitzen ein paar Männer mit Bierflaschen.

Grüner sollte es sein", sagt Christian Horn, und eine Fläche für Kleinkunst schwebt ihm vor. Horn blickt täglich von seinem Büro nach unten auf den Orleansplatz. Er ist Eigentümer des Kaufring-Gebäudes und engagiert sich seit Jahren für eine freundlichere Gestaltung. 2005 hatte sich der Vorsitzende der Interessensgemeinschaft der Gewerbetreibenden Haidhausen IGH mit seinen mittlerweile 38 Mitstreitern zum Ziel gesetzt, die vielen Drogenabhängigen vom Platz und zurück in die Gesellschaft zu holen.

"Es gibt Pläne für den Orleansplatz"

Liebloser Orleansplatz: Immer öfter wird am Orleansplatz Billigwaren verramscht.

Immer öfter wird am Orleansplatz Billigwaren verramscht.

(Foto: Stephan Rumpf)

Horn selbst stellte einen als Hausmeister an, auch einige andere Männer mit Problemen erhielten eine neue Chance, dank Geschäftsleuten wie Horn. Die anderen zogen weiter. Die Folge: Die Stadt montierte die Überwachungskameras am Platz im Sommer 2010 wieder ab. Heroinsüchtige, Schläger, Wohnungslose sind hier weitgehend Vergangenheit.

Und trotzdem: "Die Bürger haben den Platz verlassen. Wir müssen schauen, dass sie zurückkommen." Das sagte Adelheid Dietz-Will - im Januar vor elf Jahren. Damals kämpfte die Vorsitzende des Bezirksausschusses bereits um die Wiederbelebung des Platzes - und wie so oft gegen Windmühlen. Vor einem Jahr traf sich der Bezirksausschuss mit Vertretern der städtischen Behörden zu einem Workshop.

Die Wunschliste für den Orleansplatz war lang. Die Trambahn solle doch künftig direkt am Ostbahnhof entlangfahren, so wie früher. Das Wirtschaftsreferat lehnte ab. Auch die revolutionär klingende Forderung nach einer fast verkehrsfreien Zone, einem sogenannten "Shared Space", wurde vom Planungsreferat abgeschmettert, weil es dafür zu viel Verkehr gebe.

Kosmetische Korrekturen waren in den Jahren zuvor an den Architekten des Platzes gescheitert, etwa ein Sommerbiergarten oder eine Toilettenanlage in der Mitte des Platzes.

Der Workshop im Mai 2011 war eigens einberufen worden, weil für weite Teile Haidhausens ein Horrorszenario im Raum schwebt: die zweite Stammstrecke. Dann würde der verkehrsumtoste Platz, das Entree Haidhausens, völlig zerstört und für sechs bis sieben Jahre zur Großbaustelle werden. Vierzig Meter tief würde der Krater für den Bau eines neuen Bahnhofs und der Röhre werden. "Das wäre der Anfang eines großen Sterbens", sagt Geschäftsmann Horn.

Und doch: Der Orleansplatz könnte danach neu erfunden werden. Das Baureferat bestätigt das. "Es gibt Pläne für den Orleansplatz", sagt eine Sprecherin. Doch die liegen auf Eis, solange es kein Geld für die Stammstrecke gibt. Das kleine, stumme Karussell am Rand des Platzes, es wird sich wohl noch länger drehen.

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