Dominik Brunner Stiftung:Das Ende der Gleichgültigkeit

"Wir wollen, dass sein Tod nicht umsonst war" - Alois Meier, Peter Maier und Peter Hoffmann haben die "Dominik Brunner Stiftung" gegründet.

Bernd Kastner

Der Zug braucht eine Stunde von München, er fährt durch niederbayerisches Hügelland, hält in Ergoldsbach, und drei Minuten später tauchen, zwischen Wiesen und Feldern, gewaltige Gebäude auf. "Erlus" steht an der Fassade. Bis zum September vergangenen Jahres kannte kaum einer diese Firma, dabei steht hier, am Ortsrand von Neufahrn, die größte Dachziegelfabrik Europas.

Münchner setzen sich für mehr Zivilcourage ein, 2009

Unter dem Motto "Nimm dein Herz in die Hand" veranstaltete die Dominik Brunner Stiftung eine Kundgebung auf dem Odeonsplatz. Das Thema: mehr Zivilcourage.

(Foto: Catherina Hess)

Im Konferenzraum im ersten Stock sind an der Wand Musterdachziegel befestigt, wer ein Häuschen bauen will, kann hier auswählen. Drei Herren sitzen am großen, langen Tisch, man hat viel von ihnen gehört und gelesen und hat sie zusammen mit Uli Hoeneß gesehen.

Neben ihnen ein Transparent, "Dominik Brunner Stiftung" steht darauf. Dominik Brunner, dessen gewaltsamer Tod gerade vor dem Münchner Landgericht aufgearbeitet wird, hatte sein Büro nebenan, er war Vorstand bei der Erlus AG.

Die Herren am Tisch haben in den vergangenen zehn Monaten mit vielen Journalisten gesprochen, aber man spürt, es ist noch keine Routine für sie, nicht an diesem Tag, kurz vor Beginn des Prozesses, nicht später, während der Verhandlungen, als wieder jeden Tag die Worte Solln und Brunner auf den Titelseiten der Zeitungen stehen und die Öffentlichkeit mit jedem Detail des 12. September versorgt wird.

Alois Meier, Versicherungsmakler von Beruf, war ein Freund des Toten, hat mit Nick, wie sie Brunner hier alle nennen, oft bis nachts um drei beim Rotwein gesessen, sie haben geredet über Gott und die Welt. Peter Maier ist Vorstand von Erlus und hat auf seinem Handy noch ein Foto seines Kollegen, aufgenommen am 50. Geburtstag Dominik Brunners, der war im Mai 2009.

Peter Hoffmann wirkt angespannt, er war Freund und Kollege, kannte Dominik Brunner seit 17 Jahren und hat seinen Platz im Vorstand eingenommen. Er rede nicht so gern mit der Presse, sagt Hoffmann, weil sich dann wieder dieses Loch auftue, aber er tut es trotzdem. Für Nick.

Dominik Brunner als Vorbild

"Die Frage ist nicht, warum ist er gestorben, sondern wofür." Peter Maier sagt das, und alle drei wirken, als könnten sie nicht recht glauben, was alles geschehen ist seit Solln. Nach der Tat sind sie zusammengesessen, gestandene Männer, Manager und Geschäftsleute, Freunde und Angehörige, haben sich gegenseitig ihre Gefühle offenbart, Gefühle, die sie so noch nicht kannten, und haben beschlossen, dass es weitergehen muss mit dem, wofür der Nick gestanden habe.

Dominik-Brunner-Stiftung

Die Gründer der Dominik Brunner Stiftung Alois Meier (links), Peter Maier (2.v.l.) und Peter Hoffmann (rechts) bilden gemeinsam mit Karl Weinberger den Vorstand der Erlus AG.

(Foto: oh)

Er sei ja nicht nur in der S-Bahn für andere dagewesen, "es gibt nicht mehr viele Menschen, die für etwas eintreten", sagt Alois Meier. Dass alle Welt jetzt Brunner einen Helden nennt, können sie zwar verstehen, sie halten es aber für gefährlich: Ein Held steht auf einem Sockel, ist unerreichbar, sein Handeln wäre es auch. Sie nennen Dominik Brunner lieber ein Vorbild.

Es sind schwere Tage für sie, jetzt, da die Öffentlichkeit diskutiert, ob der "Held" vielleicht auch selbst mit schuld war an der Eskalation, weil er offenbar zuerst geschlagen hat am Bahnsteig. Ob er selbst wusste, dass er herzkrank war, und was es juristisch bedeutet, dass er nicht unmittelbar an den Schlägen, sondern mittelbar an Herzversagen starb.

"Daran kann man sich nicht gewöhnen", sagt Peter Maier, er meint den Medien-Hype um den toten Kollegen. "Das wühlt gewaltig auf." Alois Meier sagt, dass alles fast unerträglich sei für jene Menschen, die Brunner nahestanden. "Man hat nur noch den Wunsch, dass alles vorübergeht."

Er war nicht dabei am 12. September, er weiß nicht, wie genau es war nach dem Aussteigen in Solln, aber er kennt Brunner. "Dominik war kein Mensch, der einfach mal so zugeschlagen hat." Es muss einen Grund gegeben haben.

Über die Tage und Wochen nach Solln sagt Peter Hoffmann: "Es war ein Gefühl der Hilflosigkeit. Er war nicht mehr da, man konnte ihn nicht mehr zurückholen." Wenige Tage später haben sie beschlossen, dass sie ausbrechen wollen aus ihrem Schock. Dass sie ihren Schmerz in Aktion umwandeln wollen. Also gründeten sie die Stiftung und fragten Uli Hoeneß, ob der nicht ins Kuratorium will. Weil Hoeneß es war, der damals in der Münchner Arena, eine Woche nach Brunners Tod, so bewegende Worte gefunden hat.

Sie wollen Zivilcourage fördern und belohnen, wollen einen Preis für vorbildliches, solidarisches Handeln ausloben, haben die Initiative "Münchner Courage" mit gegründet und werden bald einen Anstecker verteilen, der ein Symbol werden soll, wie es die Aids-Schleife ist: Drei Figuren, die sich an der Hand halten und Solidarität symbolisieren - Zusammenhalt im Moment der Gefahr, aber auch lange davor, in der Gesellschaft.

Zusammenarbeit mit den "Ghettokids"

Zivilcourage ist nur eine Form der Notwehr. Um Verbrechen wie das an ihrem Freund zu verhindern, braucht es Prävention. Also finanziert die Stiftung Anti-Aggressions-Training für jugendliche Straftäter, und es dauerte nicht lange, da kamen die Männer aus Neufahrn auf Susanne Korbmacher und ihren Verein "Ghettokids". Die Kids leben im Hasenbergl, einem Viertel im Norden Münchens, das nicht nur geografisch weit weg ist von Solln. Dort kümmert sich der Verein um Hunderte Kinder und Jugendliche, die nicht viel haben.

Susanne Korbmacher will den Kindern Würde geben und findet keine Ruhe, solange Hartz-IV-Familien am Monatsende das Geld fürs Essen fehlt. Sie will eine Ghettokids-University aufbauen, ein Zentrum für die vom Rand, und die Brunner-Stiftung will ihr dabei helfen. Sie suchen ein Grundstück und sammeln Geld.

Alois Meier war selbst auch im Hasenbergl und hat Familien besucht. Für den Versicherungsmakler aus dem Niederbayerischen war der äußerste Norden Münchens eine neue Welt, er hat Armut gesehen, wie er sie so nicht kannte, erzählt er. Und wenn er sagt, dass diese Erfahrungen "sehr bereichernd" seien für ihn, dann klingt das nicht zynisch, sondern ehrlich und mitfühlend.

Viele kleine Spenden sind auf dem Stiftungskonto eingegangen, ein paar Euro oft, und die Vorstände ahnen, dass es viel Geld ist für die Spender. Sie berichten auch von großen Spenden, wenn einer Geburtstag feiert und Geld einsammelt oder von Benefizaktionen, etwa der Rotarier. Am 25. September, kurz nach dem ersten Todestag, wird die Stiftung selbst ein Konzert im Gasteig veranstalten.

Neulich habe sogar eine Schule aus Niedersachsen bei ihnen angefragt, ob sie sich nach Dominik Brunner nennen dürfe. Natürlich dürfen sie, sagt Peter Maier, aber dann wird er etwas verlegen, weil sich das jetzt vielleicht komisch anhört. Die Schule hat nicht nur aus Höflichkeit angefragt. Sie musste fragen, weil die Stiftung den Namen Dominik Brunner aus juristischen Gründen schützen hat lassen, als Marke.

Eine Marke markiert etwas. Dominik Brunners Tod markiert vielleicht das Ende der Gleichgültigkeit. Und den Beginn des Nachdenkens über Courage und die Sorge um junge Menschen am Rande der Gesellschaft. Viele haben nach dem Tod in Solln eine Kultur des Wegsehens befürchtet, weil Brunner seine Courage so teuer bezahlte. Das Gegenteil ist eingetreten, München hat angefangen, mehr Miteinander zu lernen.

Peter Maier, Alois Meier, Peter Hoffmann und ihr vierter Vorstandskollege Karl Weinberger sind ganz maßgeblich daran beteiligt. Kürzlich haben sie Maria Furtwängler, die Tatort-Kommissarin, ins Kuratorium geholt, und sie werden weitermachen, auch dann, wenn ein Urteil gesprochen ist und die Zeitungen nicht mehr täglich Solln auf die Titelseite setzen.

Sie wollen die Erinnerung an ihren Freund und Kollegen wachhalten. "Wir wollen", sagt Peter Maier, "dass sein Tod nicht umsonst war." Und Alois Meier sagt: "Wir sind dem Nick so ein Stück näher. Ein Teil von ihm bleibt so da."

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