Der Bestatter von Oedenstockach:Immer Richtung Mekka

"Man darf sich wegen seines Glaubens nicht verstecken": Salih Güler bietet in dem kleinen Ort Oedenstockach "internationale islamische Bestattungen" an.

Clemens Markus

Das oberbayerische Idyll könnte kaum größer sein als in Oedenstockach. In dem kleinen Dorf in der Gemeinde Putzbrunn steht die Kapelle im Zentrum, drumherum Bauernhäuser, aus einem Stall nebenan ist laut und vernehmlich das Kettenklirren der Kühe zu hören, gelegentlich durchbricht ein lautes Muhen das Gezwitscher der Spatzen. Kurz: Mit jedem Atemzug zieht der Besucher deftige Landluft ein - alles nur einen Steinwurf von der Stadtgrenze und Waldperlach entfernt.

Der Bestatter von Oedenstockach: Der Prophet habe alle Rituale vorgegeben, sagt der islamische Bestatter Salih Güler. Das Problem: Manches lässt sich nicht so leicht umsetzen.

Der Prophet habe alle Rituale vorgegeben, sagt der islamische Bestatter Salih Güler. Das Problem: Manches lässt sich nicht so leicht umsetzen.

(Foto: Claus Schunk)

Nur etwas scheint nicht so recht ins weiß-blaue Bild zu passen: In einer Seitenstraße, dem Bauernweg, parkt ein Minivan mit verdunkelten Scheiben, darauf der Schriftzug "Internationale Islamische Bestattungen" auf Deutsch, Türkisch und Arabisch.

Der Besitzer des Wagens, Salih Güler, trägt Kinnbart, Galabia mit weiter Hose darunter, die im Islam vorgeschriebene Kopfbedeckung und ersucht Besucher in akzentfreiem Deutsch, doch bitte die Schuhe an der Tür auszuziehen.

Wie geht das nun also zusammen, ein islamischer Bestatter und ein oberbayerisches Nest? Für Salih Güler ganz einfach. Erstens: "Man darf sich wegen seines Glaubens nicht verstecken", sagt der 31 Jahre alte gebürtige Oberpfälzer. Zweitens: "Ich bin in Freystadt sehr ländlich aufgewachsen und brauche einfach den Geruch von Stall und Kühen um mich," sagt der Vorbeter der Neuperlacher Moschee, der mit seiner Familie vor vier Jahren nach Oedenstockach gezogen ist.

Der Beruf des Bestatters ernährt Salih Güler und seine Familie zwar, doch sieht er ihn vornehmlich als einen Dienst an seinen Mitmenschen, entsprechend der muslimischen Maxime, Bedürftigen nach Kräften zu helfen: "Die Toten sind bedürftig. Sie können sich nicht mehr äußern, sind also darauf angewiesen, dass wir respektvoll mit ihnen umgehen." Grundvoraussetzung eines respektvollen Umgangs ist für Salih Güler absolute Verschwiegenheit. Egal, unter welch kompromittierenden Umständen er eine Leiche auch vorfinden mag, der Bestatter nimmt die Geheimnisse seiner Toten mit in sein eigenes Grab.

Salih Güler wäscht seine Toten drei Mal - zweimal setzt er dem Wasser Sider-Kraut bei zur Reinigung, einmal Kampfer wegen des guten Geruchs. Anschließend wird die Leiche in drei Tücher, die keine Nähte haben dürfen, gehüllt: Das erste heißt Izar und wird wie eine Schürze gewickelt, darüber kommt wie ein Hemd das Kamis und schließlich das Lifafe, das den ganzen Körper einhüllt. Frauen erhalten zwei Tücher mehr, eines um die Brust und eines um den Kopf. Schmuck oder andere Beigaben dürfen die Toten nicht behalten. "Ins Jenseits nimmt man nur seine Taten mit, was man hinterlässt, gehört den Erben", sagt Salih Güler.

Kurz vor der Beerdigung verrichtet der Neuperlacher Vorbeter im Beisein der Angehörigen das Totengebet, ehe der Leichnam, auf der rechten Seite liegend mit dem Blick Richtung Mekka beigesetzt wird. Feuer- oder Seebestattungen gibt es im Islam nicht, denn "der Körper ist aus Erde und soll wieder zu Erde werden", sagt Salih Güler.

Der Prophet habe alle Rituale vorgegeben, sagt der in Koranschulen in Deutschland, der Türkei, Indien und Bangladesch ausgebildete Oberpfälzer. So auch die klare Ansage: Die Toten ohne Sarg zu bestatten. Oder: Die Toten so schnell wie möglich beizusetzen. Oder: Die Toten zu beerdigen, wo sie gestorben sind. Das Problem daran ist nur, dass sich manches einfach nicht so leicht umsetzen lässt. In Bayern etwa darf niemand ohne Sarg bestattet werden. Auch ist es kaum möglich, einen Menschen, der morgens verblichen ist, bis Sonnenuntergang unter der Erde zu haben. Formalitäten sowie die Freigabe der Leiche dauern in der Regel einfach zwei bis drei Tage.

Eine viel größere Schwierigkeit ergibt sich aber aus der menschlichen Sehnsucht nach dem Ort der Kindheit und der Vorfahren. So mag es zwar für den Propheten keine Rolle gespielt haben, wo jemand seine letzte Ruhe findet, gehört doch die ganze Erde Allah. Für viele Menschen aber macht es offenkundig einen Unterschied, weshalb Salih Güler auch zahlreiche Überführungen in islamische Länder organisieren muss. Am günstigsten ist der Transport in die Türkei, mit einem Fixpreis von 700 Euro bei Turkish Airlines. Soll der Verstorbene aber nach Iran oder Afghanistan, "dann ist das schnell das Doppelte", sagt Salih Güler. Hinzu kommen natürlich noch die Kosten für den Bestatter und Sarg.

Es gibt aber noch zwei weitere Gründe, warum sich viele Muslime nicht in Deutschland beisetzen lassen. Zum einen hat der Prophet vorgeben: "Begrabt Eure Toten mit Guten" und eben nicht mit Ungläubigen. Im Raum München aber gibt es keinen rein mulimischen Friedhof. Zum anderen verbringen viele Muslime einen guten Teil ihrer Rente wieder in ihren Herkunftsländern - und sterben dort. Die Mehrheit von Salih Gülers Toten hat deshalb das 50. Lebensjahr nicht überschritten.

Salih Güler sagt gerne "krass!", wenn er etwas Besonderes hervorheben will, und spricht von "unseren Ländern", wenn er die muslimische Welt meint. Gleichwohl ist es für den 31-Jährigen, der nach dem Realschulabschluss wegen seiner Heirat mit 20 das Abitur hat bleiben lassen, der sich als Betonbauer verdungen hat, der sich als Altkleidersammler und Autohändler selbständig gemacht, um schließlich dem Rat seines Vaters und dem Drängen seines Herzens zu folgen und Bestatter zu werden, völlig klar, wo er zur Ruhe kommen wird: "In meinem Testament steht, dass ich beerdigt werden will, wo ich sterbe."

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