Autor René Schweitzer:Ohne Kompromisse

Neun Schulen, kein guter Abschluss - und eine abgebrochene Lehre: Inzwischen arbeitet René Schweitzer als Musikjournalist und hat sein Leben in einem Roman verarbeitet. Rau und ungekünstelt.

Annika Willer

René Schweitzer hat schon einiges hinter sich. Neun Schulen, kein guter Abschluss, abgebrochene Lehre. Diverse Aushilfsjobs, Schlägereien, Diebstahl, Ärger mit der Polizei. Der 24-Jährige aus Milbertshofen hatte keinen guten Start ins Erwachsenenleben - und doch hat er es selbst geschafft, etwas aus sich zu machen. René arbeitet als Musikjournalist, schreibt Drehbücher, und hat in seinem soeben erschienenen Jugendbuch "Das Ende des Sommers" - seinem Erstlingswerk - Erlebnisse seiner eigenen Jugend verarbeitet.

Autor René Schweitzer: "Ich komme nicht aus einem Umfeld, wo es normal ist, Bücher zu schreiben und solche Sachen. Ich wusste gar nicht, was ich kann", sagt René. Der 24-Jährige hat sein Leben in den Griff bekommen, obwohl er einen schlechten Start ins Erwachsenenleben hatte.

"Ich komme nicht aus einem Umfeld, wo es normal ist, Bücher zu schreiben und solche Sachen. Ich wusste gar nicht, was ich kann", sagt René. Der 24-Jährige hat sein Leben in den Griff bekommen, obwohl er einen schlechten Start ins Erwachsenenleben hatte.

(Foto: Stephan Rumpf)

"In der Pubertät", sagt René, "da war alles wie ein toller Film, ein Abenteuerspielplatz. Alles war so groß, der Kopf voller Idealismus und Sorglosigkeit, die einen am Ende einholt. Das wollte ich festhalten." René ist ein junger Mann in Baggy-Pants, Turnschuhen und schwarzem Poloshirt, groß und kräftig. Er hat ein weiches, bärtiges Gesicht und lebendige, dunkle Augen. Die Figuren in seinem Buch sind fiktiv, aber einige der Geschehnisse hat er selbst erlebt. Er weiß, wie sich das alles anfühlt, die Prügeleien, die Kontakte mit der Polizei, die Sorgen der Mutter.

Die Geschichte wirkt rau und ungekünstelt - der Leser bekommt einen unmittelbaren Einblick in die Gedankenwelt des Protagonisten David, in sein Gefühl für Gut und Böse, seine Sorgen, seine Wünsche. Es ist sehr authentisch geschrieben, in Jugendsprache. "Man muss eben auch sehen: Ich hatte vor dem Buch gar keine Schreiberfahrung", erklärt René, "und habe so geschrieben, wie ich damals eben auch gesprochen habe."

Damals, das ist fünf Jahre her: So war das Buch schon fertig, bevor er es nun bei einem kleinen Münchener Verlag veröffentlicht hat. Nun, wo es gedruckt vor ihm liegt, ist er sichtlich stolz: "Das ist endsgeil und total großartig", sagt er, und grinst.

Das Buch dreht sich um den Ich-Erzähler David. Der 16-Jährige ist ein Problemkind, das nichts richtig mit sich anzufangen weiß. Er hängt mit seinen drei besten Freunden herum, der Realschulabschluss steht bevor, das Geld ist knapp, und mit den Mädchen läuft es auch nicht optimal. David versucht sich als Drogendealer, prügelt sich, säuft - und macht irgendwann die Entdeckung, dass das nicht sein Leben lang so weiter gehen kann.

Auch in Renés Leben muss es so einen Moment gegeben haben. Er besuchte insgesamt neun Schulen, bis er schließlich in einem M-Zweig der Hauptschule einen mäßigen Realschulabschluss schaffte. In Deutsch und Englisch sei er immer ganz gut gewesen - in Fächern, in denen man nicht lernen musste, sagt René. Er wurschtelte sich durch, half als Barkeeper und Kellner aus, machte Taxis sauber, räumte Regale im Baumarkt ein. Machte ein Freiwilliges Soziales Jahr - als Erzieher für schwierige Hauptschulkinder. Er versuchte sich an der Fachoberschule und brach ab. Eine Lehre bei einer Burgerkette schmiss er nach einem halben Jahr, ohne eine Idee für die Zeit danach zu haben. "Da war ich weg wie nichts, das war einfach nichts für mich", erklärt er.

Als der Knoten platzte

Das ist es vielleicht, was René besonders macht: Die Kompromisslosigkeit. Er hat sich nicht zufrieden gegeben mit Jobs, über die er sich hätte freuen können. Er wollte etwas anderes. Aber was? "Ich komme nicht aus einem Umfeld, wo es normal ist, Bücher zu schreiben und solche Sachen. Ich wusste gar nicht, was ich kann", sagt René.

Die Idee, dass er vielleicht schreiben könnte, bekam er durchs Rappen. René veröffentlichte zwischen 2004 und 2006 drei Rap-Alben in Eigenregie, bei einem Label, das er gemeinsam mit einem Freund gegründet hatte. René sagt: "Die geschrieben Texte kamen mir irgendwie cooler vor. Da hab ich das Rap-Ding an den Nagel gehängt, mich hingesetzt, und das erste Kapitel geschrieben." Mit der Hand, auf einem Block. Dann noch eins, und noch eins. René lächelt bei der Erinnerung, vielleicht auch ein wenig aus dem Erstaunen heraus, was daraus geworden ist: Irgendwann war es ein Buch.

Ungefähr zur gleichen Zeit rezensiert das Hip-Hop-Magazin Juice eine seiner CDs, und es erscheint ein kleinerer Text über ihn. "Da kam die Idee, dass ich mehr könnte als nur Regale einräumen, dass ich auch über Musik schreiben könnte", sagt René. Er fragt bei Juice an, ob die einen freien Mitarbeiter brauchen könnten, bekommt eine CD zum Rezensieren zugeschickt. Seine erste CD-Kritik wird abgelehnt - er will es noch mal probieren, bleibt hartnäckig.

Der Redakteur gibt nach, René bekommt seinen zweiten Versuch: Und diesmal wird sein Text gedruckt. "Da wusste ich, ich kann das alles schaffen. Das war, als ob ein Knoten geplatzt wäre", sagt er und bekräftigt noch einmal: "Wenn du gar nicht aus so einer Welt kommst, denkst du, du kannst nichts." Kann er aber doch, das weiß René nun - und bekommt mehr und mehr Schreibaufträge. Im Nachhinein, erzählt er, habe er erst gemerkt, wie wichtig diese zweite Chance des Redakteurs für ihn gewesen sei.

Vier Jahre lang arbeitet René als freier Musikjournalist, schreibt für Juice, Backspin, Bravo Hip-Hop und Laut.de. Seine Kenntnisse aus der Underground-Rap-Szene machen ihn für die Reaktionen interessant. Gemeinsam mit einem Freund gründet er eine PR-Agentur - "Skys the limit"-Promotion: für Rap-Musiker.

René holt sein Jugendbuch aus der Schublade, überarbeitet es nur sehr wenig, um den Charakter nicht zu verändern, schreibt ein schlüssiges Ende und sucht sich einen Verlag, der das Buch herausbringt. "Und wenn ich keinen gefunden hätte, dann hätte ich das selbst irgendwie gemacht", sagt er entschlossen.

Das kreative Schreiben ist sein Ding. Inzwischen hat Renè die Geschichte für ein Drehbuch fertig, das in einem ähnlichen Milieu angesiedelt ist wie "Das Ende des Sommers", aber mit älteren Protagonisten und "härterer Handlung", wie er sagt. Er bemüht sich um Filmförderung für sein Projekt, die Gespräche laufen bereits. Eine Filmproduktionsfirma hat ihn gebeten, ein Drehbuch-Treatment zu schreiben. Zwar haben die journalistischen Aufträge abgenommen, aber René ist trotzdem optimistisch - er hat unterwegs den Mut und das Vertrauen darauf gewonnen, dass er es schaffen wird - auch wenn er aus einer anderen Welt kommt.

Die Autorin ist 23 Jahre alt. Weitere Texte der SZ-Jugendseitefinden Sie hier.

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