Ein Mann mit einem sehr bunten Hemd steht auf einer Staffelei und putzt die Fensterscheibe eines Ladens. Dazu läuft das Lied "Like Ice in the Sunshine." Ein Mädchen mit einem sehr bunten Armreif kommt ins Bild, guckt in die Auslage - und patscht ihr Eis gegen die Scheibe. Der Fensterputzer reißt die Augen weit auf. Dann geht das Licht im Kino an. Die Frauen und Männer mit den Eistaschen kommen in den Raum. So war es früher im Kino.
Wer das Gesicht des Fensterputzers damals - vor mehr als 30 Jahren - auf der Leinwand gesehen hat, vergisst es nicht mehr: rot-blonde Haare. Grüne Augen. Markante Nase. Kräftiges Kinn. Ein Woody-Allen-Gesicht. Aber wer kennt seinen Namen?
Der Mann heißt Viktor Schenkel. Er war Schauspieler, er hatte Rollen bei Café Meineid oder Anwalt Abel. Aber er ist nie berühmt geworden. Wenn Schenkel über seine Karriere spricht, sagt er: "Ich hatte gute und schlechte Jahre." Oder: Sein berufliches Leben sei "nicht ganz rund" gewesen.
Heute arbeitet Viktor Schenkel, 62, als Hausmeister in der Mohr-Villa, einem Kulturzentrum in Freimann. Und er leitet dort ein ungewöhnliches Theater, das Theater "Grenzenlos": Mittelschüler treten mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen auf. Momentan proben sie für ihr drittes Stück. Im März soll es in der Mohr-Villa Premiere haben, bei den "Internationalen Wochen gegen Rassismus".
Schenkel hat vorgeschlagen, sich im Café in der Alten Pinakothek zu treffen. Da sei es ruhig. Er setzt sich und sagt, er habe hier ein Jahr auf 450-Euro-Basis gearbeitet, das sei gar nicht lange her. Schenkel hat gedübelt, die Bilder aufgehängt, sie wieder im Keller verstaut. Es hat ihm nicht gefallen. "Die Kuratoren schweben meist einen Meter über dem Boden und nehmen nur bestimmte Herrschaften wahr", sagt er. Schenkel mag den Dünkel nicht. Und er hat vielleicht ein Problem damit, nicht wahrgenommen zu werden.
Das Geld reichte nicht zum Leben
Viktor Schenkel ist in Brannenburg bei Rosenheim geboren, zwischen Nußdorf am Inn und Flintsbach am Inn. Die Mutter ist Russin, der Vater Deutscher. Er wächst in Ingolstadt auf, macht nach der Schule eine Grafik-Ausbildung - und geht dann für ein Jahr zum Circus Roncalli nach Wien. Er hilft dort bei den Umbauten, schleppt die Gitter der Tierkäfige. Aber in seinem Wohnwagen übt er Clown-Stücke ein. Er hofft, als Pausenclown auftreten zu können. Aber dann geht Roncalli in Konkurs und wird erst später neu gegründet. Schenkel zieht zurück nach Ingolstadt und arbeitet als Grafiker. Es bleibt der Wunsch, ein Künstlerleben zu führen. Als der Circus Roncalli nach Ingolstadt kommt, arbeitet Schenkel wieder mit. Dann lernt er seine spätere Frau kennen, Linde Scheringer. Er gründet mit ihr das Clown-Kabarett "Uno Duo", in dem auch sein Freund, der Kabarettist Günter Grünwald, ein paar Mal mitspielt. Das klappt aber nicht. "Günter und ich sind unterschiedliche Spielernaturen", sagt Schenkel.
Irgendwann beschließt er, sein Gesicht zu verleihen. "Rent a face" heißt sein Projekt. "Ich habe als Model für markante und witzige Werbung gearbeitet", sagt Schenkel. Sein erster Auftritt ist für die Zentis Konfitüre, dann kommen Langnese und der Kino-Sketch. Und einmal hockt er leicht bekleidet auf einer Waschmaschine und redet über "die kleinen Unterschiede"; es geht um die Wassermenge.
Manchmal reicht es nicht zum Leben. Dann übernimmt er Jobs, die gerade kommen. Einmal arbeitet er als Wirtschaftsjournalist für den Verlag eines Freundes. Angestellt ist er nur einmal in seinem Leben: bei einer Agentur. Ein Jahr lang. Ansonsten folgt er seinen Leidenschaften. "Ich realisiere die Dinge, die in mir stecken", sagt er. "Für Menschen mit Sicherheitsbedürfnis ist das nichts - und eine Frau mit Sicherheitsbedürfnis könnte mit mir auch nicht zusammen sein." Seine Frau ist selbst Künstlerin. Linde Scheringer arbeitet als Puppenspielerin, Märchenerzählerin und Geschichtenerfinderin. Mit ihr tritt er dann auch mal im Circus Roncalli auf - als Clown.
Viktor Schenkel ist höflich und achtsam. Er blickt dem Gegenüber in die Augen, redet schnell, aber deutlich und bemüht sich um Struktur, als er von seinem bunten Leben erzählt. "Film ist ein Haifischbecken", sagt Schenkel, "da gibt es viele Lippenbekenntnisse." Es seien ihm schon öfters Rollen versprochen worden, bekommen hat er sie aber nicht. Schenkels Schauspielkarriere kam jedenfalls nie richtig in Fahrt - obwohl er, wie er sagt, "nach jedem dritten Film gefragt wurde", wo er sich bisher versteckt hatte. Schenkel antwortete stets: nirgends. Vielleicht waren es die unwägbaren Mechanismen des Gewerbes. Vielleicht war es einfach Pech. Vielleicht verkauft er sich aber auch zu schlecht. Viktor Schenkel trumpft nicht auf, er erzählt die Dinge bedächtig. Er wirkt weder bestimmend noch abgeklärt, eher ein wenig unsicher.