Theaterprojekt:Das Fremde begreifen

Theaterprojekt: Dorothea Schroeder hofft, dass ihr Projekt nicht nur die Darsteller einander näher bringt, sondern auch die Zuschauer zum Kontakt ermutigt.

Dorothea Schroeder hofft, dass ihr Projekt nicht nur die Darsteller einander näher bringt, sondern auch die Zuschauer zum Kontakt ermutigt.

(Foto: Catherina Hess)

"Mir geht es vor allem ums Ankommen": Dorothea Schroeder inszeniert im Bellevue di Monaco ein Theaterstück über Fluchtgeschichten - vom Zweiten Weltkrieg bis heute.

Von Martina Scherf

Das Café im Bellevue di Monaco ist ein freundlicher Raum mit großen Fenstern im Herzen von München, Ecke Müller- und Corneliusstraße. Vor wenigen Tagen wurde es eröffnet, das Fünfzigerjahre-Interieur ist frisch renoviert, ein helles, charmantes Ambiente. Wer Flüchtlinge kennenlernen will, anstatt nur über sie zu reden, kann dort einfach mal vorbeischauen, in der Mittagspause eine syrische Linsensuppe oder Couscous à la Senegal probieren und fragen, was er schon immer fragen wollte. Wer seid ihr? Woher kommt ihr? Was habt ihr in Deutschland vor? Was bringt ihr mit?

Junge Flüchtlinge ohne Eltern leben hier, auch ein paar Familien. Gemeinsam mit dem Münchnern, die das Projekt ins Leben gerufen haben, helfen sie bei der Renovierung dieses Kultur- und Begegnungszentrums. Dorothea Schroeder geht durch die Räume im Hinterhaus, in einer Ecke steht eine Tischtennisplatte, im Regal liegen ein paar aufgeschlagene Schulbücher, an der Wand lehnt ein Fahrrad, im Flur stehen noch Farbkübel. Die 43 Jahre alte Regisseurin sagt: Ist doch toll, was die Leute hier auf die Beine gestellt haben, mitten in der Stadt. "Denn das Miteinander-Reden ist doch das Allerwichtigste. Wie sonst soll man das Fremde begreifen?"

Im Café des Bellevue di Monaco wird sie am 20. November ihr neues Theaterstück "Kalte Heimat - Was heißt woher?" aufführen. Seit Wochen sammelt sie deshalb Biografien von Flüchtlingen. Sie will sie auf die Bühne holen, zusammen mit professionellen Schauspielern. Es wird um Geschichten von Verlust, Verfolgung, Angst gehen, aber auch darum, wie man schließlich doch eine neue Heimat findet. Diese Erfahrungen teilen Millionen Menschen aller Generationen in Deutschland. "Mir geht es vor allem ums Ankommen", sagt Dorothea Schroeder.

Deshalb sucht sie Menschen, die das schon geschafft haben. Vertriebene aus den ehemaligen Ostgebieten, vietnamesische Boat People aus den Siebzigern, Russlanddeutsche, Menschen, die in den Neunzigern vor dem Jugoslawienkrieg geflohen sind. Wer will, kann sich noch melden. Einige hat sie schon gefunden. Da ist etwa eine alte Dame aus Siebenbürgen. Ein Kriegskind, der Vater fiel an der Ostfront, die Mutter wurde nach Russland zur Zwangsarbeit verschleppt.

Im Dorf der Großeltern, die sie aufzogen, lebten Deutsche, Rumänen, Tschechen, Ungarn und "Zigeuner" friedlich nebeneinander, erinnert sich die Frau. Als Spätaussiedlerin kam sie nach Deutschland. Es gab großzügige Hilfe vom deutschen Staat, dennoch fühlten sie sich oft fremd. In ihren Trachtenvereinen halten sie die alten Traditionen bis heute aufrecht. Wie viel Halt das geben kann, hat Schroeder vor Kurzem selbst gesehen, als sie das Kronenfest der Siebenbürger Sachsen in Augsburg besuchte. "Das ist eine Parallelwelt, von der man kaum Notiz nimmt."

Kann das auch Mohamed aus Afghanistan gelingen? Wird er eines Tages auch zurückblicken und sagen: Ich habe die Heimat verloren, aber ich habe hier Fuß gefasst, habe einen Job als Mechaniker und eine Familie, und zuhause singen wir afghanische Lieder? Was muss passieren, damit Menschen ankommen können?

Wie das jeder für sich interpretiert, will Dorothea Schroeder mit ihrem Theaterstück ausloten. "Es gibt ja viele Regionen auf der Welt, in der verschiedene Kulturen ziemlich problemlos zusammenleben, in denen unterschiedliche Sprachen gesprochen und Traditionen aufrechterhalten werden", sagt sie, allein schon im deutschsprachigen Raum. Südtirol zum Beispiel, wo sie gerade mit ihrer Familie war, oder die dreisprachige Schweiz. "Ich liebe Dialekte", sagt sie und lacht.

Als sie selbst einst vom Rheinland nach Bayern kam, fühlte sie sich auch erst mal fremd. Der starke Dialekt, die Maibäume und Lederhosen hätten sie irritiert. "Aber dann fand ich's toll, so etwas haben wir ja in Nordrhein-Westfalen nicht." Heute ist sie mit einem Ostdeutschen verheiratet, dabei war ihr die DDR als Jugendliche fremder als Frankreich.

"Inzwischen liebe ich auch die Heimat meines Mannes" - so kann es gehen, wenn man sich erst einmal auf das Neue einlässt. Am Ende kann es Liebe werden. Vielleicht liegt es bei Dorothea Schroeder auch daran, dass sie so gerne Menschen zuhört und Geschichten sammelt. "Wahrscheinlich bin ich deshalb früher so viel getrampt, da erzählen einem die Leute oft ihr halbes Leben."

Nach dem Abitur absolvierte sie mehrere Assistenzen an deutschen Bühnen und arbeitete längere Zeit in einem kroatischen Flüchtlingslager, bevor sie an der Theaterakademie August Everding Regie studierte. Seither arbeitet sie frei, ihr Mann ist Dramaturg. Schon vor zehn Jahren führte sie in ihrer Heimatstadt Mettmann bei Düsseldorf ein Theaterprojekt mit Gastarbeitern auf. Vor zwei Jahren realisierte sie im Münchner Osten ein Stück mit Sinti und Roma.

Eine eigene Methodik für soziokulturellen Projekte

"Theatrale Spaziergänge" nannte sie das Projekt in Steinhausen, wo es einst ein sogenanntes "Landfahrerlager" gab. Es ist wichtig, solche Orte und Geschichten in Erinnerung zu rufen, sagt sie. Das Bewusstsein für Vergangenes hilft bei der Bewältigung der Gegenwart. "Es ist leichter, Fremde abzulehnen, als ihnen zu vertrauen", sagt die Regisseurin. Aber nach den Aufführungen seien immer wieder Menschen auf sie zugekommen und hätten gesagt: "Heute habe ich zum ersten Mal in meinem Leben mit einem Sinti gesprochen."

Zusammen mit der Regisseurin Nina Gühlstorff hat Schroeder eine eigene Methodik für solche soziokulturellen Theaterprojekte entwickelt. Dabei entstehen aus langen Interviews literarische Monologe, die dann von Schauspielern oder auch Laien an öffentlichen Orten und nach einer festgelegten Dramaturgie wiedergegeben werden.

Ihre Projekte wurden immer wieder von der Kulturstiftung des Bundes gefördert, etwa das Zeitzeugen-Projekt "Der Dritte Weg. Eine theatrale Demonstration zum Thema 20 Jahre Mauerfall" in Jena, oder "Believe Tank", ein zweijähriges interaktives Rechercheprojekt zum Thema Glauben am Landestheater Tübingen.

Jetzt also Fluchtgeschichten. Das Thema ist ja keineswegs neu. Immer schon gab es im Vielvölkerkontinent Europa Menschen, die ihre Heimat verließen, um ihr Glück woanders zu suchen, oder die verjagt wurden, weil sie der falschen Religion oder Bevölkerungsgruppe angehörten. "Wer kennt schon noch das Wort ,Bessarabier'?", fragt Schroeder.

Dabei gibt es genügend Deutsche, deren Großeltern aus diesem Landstrich zwischen dem heutigen Rumänien und Moldawien stammen, weil deren Vorfahren einst dorthin ausgewandert waren - auch die Familie des ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler. Adolf Hitler holte sie "heim ins Reich". Oder wer weiß noch, dass Bayern nach dem Krieg fast 30 Prozent Bevölkerungszuwachs durch Flüchtlinge aus dem Osten hatte? "Sie haben ganze Städte aufgebaut", sagt Schroeder, "und es wurde ihnen nicht leicht gemacht." Als "Hurenflüchtlinge" wurden sie beschimpft.

Und jedesmal hieß es: Das Boot ist voll, wie sollen wir das schaffen? "Dabei haben es die meisten Leute doch eigentlich ganz gut geschafft", sagt Dorothea Schroeder und lehnt sich entspannt zurück. Jetzt hofft sie, dass ihr Theaterprojekt nicht nur die Darsteller einander näher bringt, sondern auch die Zuschauer, und vielleicht fragen sie dann mal in der eigenen Familie oder bei den Nachbarn: Sagt mal, woher kommt ihr eigentlich, und wie war das, als ihr nach München gekommen seid?

Kalte Heimat - Was heißt woher? Premiere am 20. Nov., 19.30 Uhr, (und 26./27. Nov.) im Bellevue di Monaco, Müllerstr. 2, 089 / 55 05 77 55; wer Interesse an dem Projekt hat, kann sich noch unter info@kalteheimat.de melden.

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