Lesung:München feiert Karl Ove Knausgård wie einen Popstar

Lesung: Karl Ove Knausgård bei der Lesung in der großen Aula der LMU.

Karl Ove Knausgård bei der Lesung in der großen Aula der LMU.

(Foto: Catherina Hess)

Der norwegische Autor kennt beim Schreiben keine Schmerzgrenze. Bei einer Lesung an der LMU geht es um den Mega-Hype - und das Entsetzen, das ihm in der eigenen Familie entgegenschlug.

Von Christian Mayer

Dieser Autor ist seinen Lesern, man muss eigentlich eher sagen: seinen Lebensbegleitern, auf unheimliche Weise vertraut. Sie glauben, ihn zu kennen, aus den autobiografischen Romanen, die weltweit gefeiert werden. Sie wissen um die ewige Auseinandersetzung mit seinem Vater, um das prekäre Verhältnis zu seinen Frauen. Sie ahnen, wie sehr er, trotz aller Schwierigkeiten im Alltag, seine Kinder liebt, wie seine eigene Kindheit und das Erwachsenwerden waren, sie kennen seine Einsamkeit, seine intensive Liebe zu den Büchern - die Leser, seine Lebensbegleiter, haben ja oft alles gelesen, sie sind süchtig nach ihm.

Und jetzt sitzt der Autor auf dem Podium in der Großen Aula der Universität, und man versteht kein einziges Wort. Das Jeanshemd hat er hochgekrempelt, die dichten grauen Haare hat er schön verwuschelt. Vor ihm das fast 1300 Seiten dicke Buch, der sechste und letzte Band seines Großprojekts, das in der deutschen Übersetzung "Kämpfen" heißt. Karl Ove Knausgård liest den Schluss daraus vor, auf Norwegisch, es knarzt gewaltig, und auf einmal klingt das Vertraute sehr fremd.

Wie ist das alles passiert, dieser Mega-Erfolg, der Knausgård-Hype? Und warum dieser Drang, vertraute Menschen in den gefährlichen Strudel seiner Erzählung zu reißen? Darum geht es an diesem Abend, der von SZ-Redakteur Alex Rühle moderiert wird, während Schauspieler Shenja Lacher Auszüge aus der deutschen Übersetzung liest.

Am Anfang, erzählt Knausgård, stand der Tod des alkoholkranken Vaters, inmitten leerer Flaschen; dieser Tod, der für den Autor ebenso banal wie furchterregend materiell war, sollte der Anfang eines Romans werden. Doch es funktionierte nicht, nach immer neuen Fehlschlägen entsagte er allen Kunstgriffen: "Ich schreibe jetzt einfach auf, wie es war, ohne dass es Literatur sein muss." Das funktionierte.

An diesem Abend in München erfährt man einiges über den Schriftsteller, der beim Schreiben keine Schmerzgrenze kennt: "Ich bin bereit, mir für einen Roman den rechten Arm abzuhacken", sagt er auf allerfreundlichste Weise. Zehn bis fünfzehn Seiten täglich waren sein Pensum, beim Schreiben befand er sich in einer Art Rausch, frei von rationalen Überlegungen. "Athleten und Künstler kennen das, wenn sie sich selbst verlieren." Aber Knausgård erzählt auch von dem Entsetzen, das ihm in der eigenen Familie entgegenschlug, als seine Romane erschienen - vor allem von seinem Onkel Gunnar, der gegen die Darstellung seines Bruders aufbegehrte und sich nun ebenfalls im Buch wiederfindet. Eine Knausgård-Romanfigur möchte man nicht unbedingt sein.

"Min Kamp", das Wahnsinnsprojekt, ist abgeschlossen. Der Autor sagte, er schreibe jetzt lieber Bücher über Fußball oder den Sommer. Nur weil ihm seine Mutter gut zuredete, ist er überhaupt nach München gereist - Knausgård hatte Angst, dass ihn die Erinnerungen an Adolf Hitler, der in seinem Buch eine wichtige Rolle spielt, auf Schritt und Tritt verfolgen. Was für ein bizarrer Zufall, dass sein Hotel an der Thierschstraße liegt. Dort wohnte auch der Autor von "Mein Kampf". Hitlers Buch findet Knausgård interessant, "weil dort alles fehlt, was mir beim Schreiben wichtig war, das Scheitern, das Versagen, die Scham - es ist das Buch eines wütenden, rechthaberischen Mannes, der kein Korrektiv hat".

Echte Knausgård-Fans gehen nach der Lesung natürlich nicht nach Hause, sie stellen sich in die Schlange. Sie wollen, dass er einmal etwas für sie schreibt. Und wenn es nur sein Name ist.

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