Lesung im Münchner Lustspielhaus:Wider die "ständige Verarsche" der Schönheitschirurgen

Warum sie sich denn an anderen Stellen so klein mache, will ein jüngerer Fan wissen. Etwa bei der Schilderung, wie sie den Vorstandsvorsitzenden der Springer-AG, Mathias Döpfner, "diesen schöngeistigen Riesen-Lulatsch", im Flugzeug begegnet sei und ihm auf die Nase zugesagt habe, dass er ein schlechter Mensch sei, "wegen der Bild-Zeitung". Es ist typisch für Charlotte Roche, dass sie sich danach sofort in die hinterste Ecke zurückgezogen und Angst hatte, dass "dieser mächtige Mann mit seinen ganzen Zeitungen" etwas gegen sie unternehme. "Ich mache das, weil ich will, dass Du mich sympathisch findest", entgegnet sie ohne lange Überlegung - und das ist schon wieder so entwaffnend ehrlich, dass das Münchner Publikum beeindruckt ist.

Lesung im Münchner Lustspielhaus: Skurril, aber sehenswert: Charlotte Roche liest aus "Schoßgebete".

Skurril, aber sehenswert: Charlotte Roche liest aus "Schoßgebete".

(Foto: Stephan Rumpf)

In der Tat handelt "Schoßgebete", anders als ihr Erstling, von tiefergehenden Problemen der Protagonistin, die durchaus autobiografisch zu lesen sind. Zwar hatte schon Helen Memel in "Feuchtgebiete" mit allerlei psychischen und körperlichen Problemen zu kämpfen, doch dies ist die ultimative Steigerung: Elisabeth Kiehl ist komplett neurotisch, hat Angst vor allem und sorgt sich ununterbrochen - außer beim Sex. Weshalb der auch so wichtig ist.

Dass sie dabei zum ersten Mal in der Öffentlichkeit von ihrer eigenen Familientragödie erzählt, dem schweren Autounfall, bei dem ihre drei Brüder ums Leben kamen und ihre Mutter schwer verletzt wurde, und warum sie seitdem gegen die "Bild"-Zeitung kämpft, die ihr Leid ausschlachten wollte, das hat wohl auch viel damit zu tun, dass sie ihr Leid immer noch selber ausschlachten will. In ihren eigenen Worten, und genau dann, wann es ihr passt.

Selbstbestimmung inmitten größtmöglicher Verwirrung, das ist das Thema von Charlotte Roche, und das ist auch das Thema ihres neuen Buches. Es wird wohl auch das Motto ihres dritten Buches sein, wie sie am Freitagabend in München ankündigt. Das Thema Frauen und Körperfett habe ihr Lektor diesmal rausgestrichen. Dabei eigne es sich gut für ein neues Werk, findet Roche, die neben allem Klamauk auch immer darauf pocht, dass sie eigentlich ja eine feministische Weltsicht vertrete. Wobei sie sich inzwischen öffentlich und auch gezielt in ihrem Buch von der "lustfeindlichen" Cheffeministin Alice Schwarzer distanziert.

Es laufe da trotzdem eine "ständige Verarsche" von Schönheitschirurgie und der Werbeindustrie, die Frauen einrede, wie sie auszusehen haben. Sie selbst sei ja nun dank ihrer Therapeutin noch am Leben und nicht mehr magersüchtig, kenne aber viele Frauen, die ihren Körper so lange ummodellierten, bis er den Vorstellungen der anderen entspreche.

Damit legitimiert Roche auf geschickte Weise die ständige Verkaufe über das Sex-Thema, auch wenn es in ihrem neuen Buch eher darum geht, sich ein paar Dinge von der Seele zu schreiben, die sie belastet haben. Und am Ende geht es der Autorin Roche doch vor allem um eines: das Gefallen. Das merkt man auf der Bühne mehr denn je, und es ist in ihrem Charakter so ausgeprägt, dass sie möglichst verrückte Dinge anstellen will, um zu überprüfen, ob sie dann immer noch gefällt. Bisher funktioniert dieses Experiment ganz gut - auch wenn manche sie hassen.

So wie eine graumelierte Dame, die empört die Lesung verlässt. Sie hatte wohl erwartet, die Autorin sei erwachsen geworden. Charlotte Roche kann mit vielem dienen, aber damit nun wirklich nicht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: