Rock-Jubiläum:Mit wilder Revolte im Herzen

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Danke Deutschland, danke Bayern für die Aufnahme eines Flüchtlings: Leslie Mandoki an der East Side Gallery in Berlin. (Foto: Christian Ender/dpa)

Produzent, Bandleader und Schlagzeuger Leslie Mandoki feiert gleich drei runde Geburtstage. Und setzt sich auch mit 70 nicht zur Ruhe. Wie sich der verwegene Traum eines Flüchtlings aus Ungarn erfüllt hat.

Von Oliver Hochkeppel

Der wohl wichtigste - und gefährlichste - Moment im Leben des Leslie Mandoki ereignete sich 1975. Zusammen mit zwei Freunden schlich er als 22-Jähriger zu Fuß durch den vier Kilometer langen Karawankentunnel nach Österreich. Die Flucht aus seiner Heimat Ungarn in den Westen war gelungen, er landete schließlich im Auffanglager Zirndorf. Als das Bayerische Fernsehen vor zehn Jahren eine Folge der "Lebenslinien" über Mandoki drehte, kramte das Team den Aufnahme-Bogen aus Zirndorf aus dem Archiv. Bei der Frage nach dem Berufswunsch stand da: "Ich will mit Jack Bruce von Cream, Al Di Meola und Ian Anderson von Jethro Tull spielen."

Wenn Mandoki an diesem 7. Januar seinen 70. Geburtstag feiert, dann kann er konstatieren, dass der verwegene Traum von damals gegen jede Wahrscheinlichkeit Wirklichkeit geworden ist. Und noch mehr. Was die zwei anderen Geburtstage illustrieren, die er jetzt an seinem Ehrentag gleich im Münchner Künstlerhaus mitfeiern kann: Da ist der 40. seines "Red Rock"-Studios in Tutzing, gleich gegenüber vom Domizil seines Freundes Peter Maffay. Mit Weltprominenz wie Phil Collins, Chaka Khan, Jennifer Rush oder Lionel Richie hat Mandoki dort schon produziert, allerlei Auftragswerke etwa für den VW-Konzern, für den FC Bayern oder für Disney, und natürlich seine eigenen Projekte.

Nachbarn in Tutzing am Starnberger See: Leslie Mandoki (l.) und Peter Maffay (Foto: privat)

Womit wir beim jüngsten Geburtstagskind sind, Mandokis Soulmates. Seit 30 Jahren gibt es diese Supergroup, Gründungsmitglieder waren damals, man höre und staune, die einst so mutig genannten Ian Anderson, Jack Bruce und Al Di Meola, aber auch David Clayton-Thomas von Blood, Sweat & Tears, Bobby Kimball von Toto sowie die Jazz-Stars Randy und Michael Brecker, Mike Stern, Anthony Jackson und Bill Evans. Für den ersten veröffentlichte Song "Mother Europe" bekam man auf Anhieb den renommierten Fernsehpreis "Die Goldene Europa". Inzwischen haben viele weitere Stars wie John Helliwell von Supertramp, Nick van Eede von Cutting Crew, Richard Bona, Cory Henry, Peter Maffay, Till Brönner oder Klaus Doldinger bei Mandokis musikalischen Traum mitgemacht, klassischen britischen ProgRock mit amerikanischem Fusion-Jazz zu verschmelzen. Eine Vision, die der am Budapester Konservatorium ausgebildete Schlagzeuger schon mit seiner ungarischen Band Jam verwirklichen wollte, was ihn dort allerdings mehrfach ins Gefängnis brachte und schließlich in die Flucht trieb.

Die Urbesetzung der "Soulmates": Jack Bruce, Al Di Meola, Leslie Mandoki und Ian Anderson (von links). (Foto: Red Rock Production)

"Niemand sonst könnte so eine Truppe zusammenstellen, das ist bei solchen Stars, hinter denen ja monströse Managements und Terminpläne stehen, eigentlich ausgeschlossen", sagt Al Di Meola, "nur Leslie schafft das mit seiner Hartnäckigkeit." Es funktioniert auch, weil Mandoki seine Truppe seit jeher nicht nur als Band sieht, sondern als Wertegemeinschaft. Musik ist für ihn - sozusagen biografisch untermauert - Ausdruck von Freiheit, weltumspannend, demokratisch, friedensstiftend.

Hüne mit markantem Schnauzbart: Leslie Mandoki 1975 in Budapest. (Foto: privat)

Denn das ist die eigentliche Rolle, in der sich der Hüne mit dem markanten Schnauzbart und der langen Mähne sieht: als Brückenbauer. Mit all seiner Energie versucht er immer wieder, eigentlich Unvereinbares zusammenzubringen. Er, der selbst ein Mann der Gegensätze ist: Da ist auf der einen Seite der Gebrauchsmusik-Unternehmer, der Jingles für den Audi E-Tron oder CDU-Spots produziert, auf der anderen Seite der idealistische Großkomponist, der für das Wohl der Menschheit bombastische Suiten schreibt. Da ist einerseits der konservative Politik-Versteher, der sich 2013 von der CSU für die Landtagswahl aufstellen und sich noch jüngst für Söder oder Laschet einspannen ließ, der gar den umstrittenen, ihm aber in Freundschaft verbundenen ungarischen Autokraten Viktor Orbán mit der EU zusammenbringen will. Und andererseits einer, der noch radikaler als die Linke gegen den "Casino-Kapitalismus" wettert und sich robust für Generationengerechtigkeit und Klimaschutz einsetzt. Von seiner liberalen Haltung in der Migrationsfrage ganz abgesehen. Da ist der musikalische Brückenschlag zwischen Klassik, Rock und Jazz eher Kleinkram.

Dementsprechend gibt sich nicht Prominenz aus der Musikwelt, sondern auch aus Gesellschaft, Politik und Medien ein Stelldichein, wenn Leslie Mandoki nun im Künstlerhaus sein Dreifach-Jubiläum feiert. "Es ist mir ein dringendes Bedürfnis, dabei auch Danke zu sagen an mein Deutschland, an mein Bayern. Danke, dass ich als 22-jähriger illegaler Einwanderer, als Flüchtling und Asylsuchender, der kein Wort Deutsch gesprochen hat, hier mit so viel Herzlichkeit aufgenommen wurde. Sodass ich mich in dieses Land und die Menschen verlieben und hier meine Heimat finden konnte."

Seine Kinder weckten noch einmal den renitenten Rebellen in ihm

Ein bisschen Mahnen wird freilich auch wieder dazugehören. Eigentlich wollte sich Mandoki vor ein paar Jahren schon zur Ruhe setzen, doch seine drei Kinder weckten noch einmal den renitenten Rebellen in ihm. "Mir wurde klar, dass wir die Fackel an die nächsten Generationen weitergeben müssen", sagt er. "Es geht auch um den Bruch des Generationenvertrags. Wir haben es vermasselt! Nach dem Fall der Berliner Mauer regnete es Glück vom Himmel." Aber man habe es versäumt, das gesellschaftspolitische Leitbild in eine soziale Marktwirtschaft mit nachhaltiger, ökologischer Verantwortung weiterzuentwickeln. "Heute erleben wir stattdessen ein Primat von Egoismus und Gier. Es ist ein extremes soziales Ungleichgewicht entstanden und wir haben die Umwelt irreversibel belastet. Dagegen müssen wir etwas tun." Und so macht er erst einmal weiter. Arbeitet an einer großen September-Tour, an einem neuen Album und an einem neuen Buch: "über die immer noch andauernde wilde Revolte in meinem Herzen."

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