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Lea Coplins neuer Roman spielt auf dem Glastonbury-Festival

Von Barbara Hordych

Auf den ersten Blick könnten die beiden jungen Protagonisten unterschiedlicher nicht sein: Jonah ist mit seinen 20 Jahren ein cooler und begehrter Frauenliebling, der sich jedoch aus unerfindlichen Gründen allen entzieht. Seiner attraktiven Ex-Freundin Annika ebenso wie seinem blondgesträhnten englischen One-Night-Stand Sally. Liv wiederum ist - zumindest in ihrer eigenen Wahrnehmung - ein 18-jähriges Mädchen, das von niemandem begehrt wird. Zumindest war es während ihrer gesamten Teenager-Zeit so, bis sie "aus den falschen Gründen", wie sie selbst es nennt, beschloss, 20 Kilo abzunehmen. Von ihrem Selbstbild her ist sie aber nach wie vor das dicke Mädchen, das von allen gehänselt wird. Deshalb findet sie es auch nicht schlimm, dass sie das Musikfestival in Glastonbury nicht mit den anderen Feiernden auf der Festwiese und nicht vor den Musikbühnen, sondern Falafel-wickelnd im Foodtruck ihrer Hippie-Tante verbringt.

Doch genau hier, Liv hinter dem Tresen des Trucks, Jonah davor in der Warteschlange, begegnen sie sich. Und was als unverbindlicher Spaß beginnt, wächst sich in den nächsten Stunden zu einer unerwartet ernsten Sache aus. Die vordergründig so fröhliche und unkomplizierte Liv fühlt auf einmal das Bedürfnis, ihre inneren Verletzungen nicht länger zu verleugnen. Und im Gegenzug gibt auch Jonah, ein Meister im Verbergen ähnlich tiefer, wenn auch anders gearteter Verletzungen, immer mehr von sich preis. Der Fremden, der er sich seltsam vertraut fühlt, offenbart er Episoden aus seiner Kindheit und Jugend, die er bislang sogar seinem besten Freund gegenüber verheimlichte.

Die Münchner Autorin Lea Coplin veröffentlichte bei dtv Junior bereits die erfolgreichen Jugendromane "Nichts ist gut. Ohne dich" und den Nachfolgeroman "Nichts zu verlieren. Außer uns". Ihr dritter Jugendroman "Für eine Nacht sind wir unendlich" erzählt eine von den Vorgängern völlig unabhängige Geschichte, in der sich die Autorin erneut mit großem Einfühlungsvermögen den emotionalen und seelischen Zuständen von jungen Erwachsenen widmet. In einem intensiven und zugleich unprätentiösen Schreibstil, der auch die Themen Erotik und Sexualität nicht ausspart. Aus einander abwechselnden Perspektiven, mal aus Livs, mal aus Jonahs Sicht, wird die Geschichte einer Annäherung geschildert, die immer rasanter verläuft, je klarer den beiden wird, dass sie ihre Scham überwinden müssen, um den jeweilig anderen zu erreichen. Viel Zeit bleibt ihnen nicht, denn schon am nächsten Morgen, so lautet der Plan, wird Jonah mit seinen Freunden aus England ab- und wieder nach Hause nach Deutschland reisen.

Atmosphärisch eingebettet ist die Geschichte der beiden Protagonisten in das traditionsreiche Open-Air-Festival von Glastonbury in Somerset, das dort regelmäßig stattfindet - und in diesem Sommer wieder hätte stattfinden sollen. Aus den bekannten Gründen wurde das Musikevent allerdings abgesagt. Ein Grund mehr, sich in diesem Sommer gemeinsam mit Jonah und Liv auf einen imaginären Festivalbesuch zu begeben, der hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft wieder real möglich sein wird.

Lea Coplin: Für eine Nacht sind wir unendlich , ab 14 Jahren, dtv Junior

© SZ vom 19.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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