Lernen mit Kunst:"Die Jugendlichen sind wie verstummt"

Das Kunstprojekt "Alle Stimmen mit!" von Little Art macht sich zur Aufgabe, Kindern Demokratie zu vermitteln. Im Lockdown eine absurde Herausforderung

Von Barbara Hordych

Für Elena Janker, Gründerin und Vorsitzende der gemeinnützigen Organisation "Little Art", markiert die Pandemie ganz klar eine Zäsur im Leben von Heranwachsenden. Mit ihrem Kunstprojekt zum Thema Demokratie "Alle Stimmen mit!" hatte sie vergangenes Jahr noch vor Corona begonnen. Dann kam der Lockdown, ihre Kreativ-Workshops im Künstlerhaus am Lenbachplatz und in den Schulen mussten pausieren. "Als die Schulen wieder öffneten und wir weiter arbeiten konnten, spürten wir eine deutliche Veränderung ", sagt Janker. Was meint sie damit konkret? "Bei den älteren Jugendlichen, die komplett im Homeschooling waren, herrschte eine große Stille, eine unglaubliche Apathie, eine extreme Lähmung, sie waren fast wie verstummt", beschreibt sie ihren Eindruck. Umso wichtiger sei in dieser Situation die Förderung der Kreativität von Kindern und Jugendlichen, um sie ihre eigene Stimme finden zu lassen, meint Janker. Denn dass die gefragt sei und zähle, daran glaubten viele Heranwachsende nicht mehr. Stattdessen herrsche das Gefühl vor, "entmündigt" zu sein und kaum gehört zu werden.

Genau hier setzen Janker und ihre Mitstreiter - zehn Künstlerinnen und Kunstpädagogen - an, um mit der Kreativität als Medium demokratische Prinzipien zu vermitteln. Zehn Meter lange Papierbahnen tragen sie in die Schulen, die von den Heranwachsenden mit eigenen Ideen gestaltet werden können. Wovon künden diese "Stimmzettel"? Gleichberechtigung und Umweltthemen stünden ganz oben auf der Liste, auch die Forderung nach Unterstützung für die Eltern werde häufig geäußert. "Hilfe für meine Mama, die alleinerziehend ist", zitiert Janker eine Schülerin.

Bei den jüngeren Kindern stelle sich die Situation anders dar. "Sie sind kaum zu bremsen, da ist es schon schwer, sie überhaupt an den Tischen zu halten, um auf die Abstands- und Hygieneregeln zu achten", sagt Janker. Deshalb sei es wichtig, dass jede Künstlerin von zwei ehrenamtlichen Helfern begleitet werde. Nicht nur, um das Material in die Klassen zu bringen, damit wirklich jedes Kind seinen eigenen Pinsel hat und nichts mit dem Nachbarkind teilen muss. Sondern vor allem, "damit es genug Ohren zum Zuhören gibt", sagt Janker. Ununterbrochen würden die Kinder erzählen, das Bedürfnis, sich mitzuteilen sei immens. "Das kann eine einzige Lehrerin überhaupt nicht leisten; deshalb haben die Schulen, die uns kennen, nach der Öffnung auch sofort darauf gedrungen, dass wir wieder zu ihnen kommen." Auch wenn die Wiedersehensfreude im - oft geteilten Klassenverband - groß sei, stehe immer auch die beklemmende Frage im Raum: Wo ist die andere Hälfte? "Ich vermisse die anderen" bekommt Janker oft zu hören.

Unabhängig von den inhaltlichen Botschaften sei schon der kreative Gestaltungsprozess für sich eine Übung in politischer Bewusstseinsbildung: "Wenn zehn Kinder oder Jugendliche eine zehn Meter lange Bahn gestalten, arbeitet in der Regel jeder für sich", sagt Janker. Zwischen den einzelnen Bildern bleibe eine weiße Fläche. Oder die Kinder malten einen schwarzen Rahmen um ihr Bild, damit es sich von den anderen abgrenzt. Wenn sie dann frage: Was ist das, was machen wir mit den Übergängen?", werde ein Prozess in Gang gesetzt: Man einige sich auf eine Farbe, die die Nachbarn rechts und links ebenfalls schön finden. Oder man einige sich in der Gruppe, wie man die Leerstelle ausfüllen könne. Noch bis 31. Mai sammelt Janker Werke zu ihrem Demokratieprojekt - gestaltet von Schulklassen, aber auch von Einzelpersonen (www.little-art.org). Ausgewählte Werke sollen danach im Künstlerhaus am Lenbachplatz und beim Kiks-Sommer auf dem Alten Messegelände ausgestellt werden. Und dann schwebt Janker noch ein Aktionstag vor, bei dem sie am liebsten das komplette Künstlerhaus in die bunten Papierbahnen verpacken würde.

An Ideen mangelt es ihr nicht. Für die konnte sie in den vergangenen Jahren immer wieder Museumsdirektoren, Kuratoren und Designer begeistern, die mit ihr bei ihren oft weltweiten Projekten zusammenarbeiteten. Neue Wege beschreitet sie ganz pragmatisch. "Wir haben auch via Zoom die Kinder zu Hause besucht, als immer nur eine Hälfte der Klasse in die Schule kommen durfte", sagt sie. Dabei fordere sie die Kinder etwa auf, Verpackungsmaterial aus dem Müll zu fischen. "Daraus sind dann beispielsweise Roboter entstanden. Und die Kinder waren total stolz, wenn sie ihnen mit einer Voice-Message eine Stimme verleihen konnten." Apropos Wege: Auch da ist ihr etwas aufgefallen. "Wenn Kinder ihren Wunsch nach Selbstbestimmung ausdrücken wollen, wählen sie als Bild dafür gerne einen Weg. Interessanterweise malen sie den aber häufig als Autobahn, mit einem ganz fest gesteckten Rahmen". Dabei seien es doch die Pfade fernab davon, die eigentlich faszinieren. Nicht nur in der Kunst.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: