Lerchenau:Spiritueller Sport

In der Siedlung am Lerchenauer See haben die Bewohner begonnen, sich ihre Kochkurse, Flohmärkte und Bürgertreffs selbst zu organisieren. Zum Angebot gehören auch Yoga-Übungen für Kinder

Von Lea Hruschka, Lerchenau

Die zehnjährige Ilayda tritt von ihrer blauen Sportmatte ins grüne Gras und wählt eine der laminierten Karten aus, die verteilt auf dem Rasen liegen. Die Karte zeigt die Yoga-Position "Berg". Jyoti Joshi, die vor drei jungen Mädchen auf Yoga-Matten am Südende des Lerchenauer Sees steht, macht die Bewegung vor. Im Schneidersitz heben die Vier gemeinsam die Hände über den Kopf. Einatmen, Ausatmen. Dann kreisen sie mit den Schultern, schließen die Augen.

Nur die kleine Shayna Shatakshi, die ihre Freundinnen Tia nennen, blickt manchmal heimlich durch die Gegend: Kinder klettern am Spielplatz nebenan, junge Leute sitzen in einem Zelt in der Ferne auf der hügeligen Wiese zusammen, zwei Hochhausspitzen sind hinter den Bäumen zu erkennen. Schnell schließt die Siebenjährige die Augen wieder, um nicht erwischt zu werden. "I have courage, I am brave, I have no fear", sagt Joshi mit ruhiger Stimme und alle machen die Augen auf. Dann fragt die Yoga-Lehrerin die Mädchen: "Jetzt sind die Farben viel heller, leuchtender, oder?" Die Drei stimmen ihr nickend zu.

Lerchenau: Entspannung pur: Die Yoga-Stunde für Kinder in der Idylle am Lerchenauer See wird von Jyoti Joshi angeleitet.

Entspannung pur: Die Yoga-Stunde für Kinder in der Idylle am Lerchenauer See wird von Jyoti Joshi angeleitet.

(Foto: Robert Haas)

Jyoti Joshi bietet Kinder-Yoga seit eineinhalb Jahren zusammen mit der Diakonie Hasenbergl an. Jeden Montag lehrt die Inderin etwa fünf Kinder von 17 bis 18 Uhr den spirituellen Sport. "Joshi ist sehr engagiert", betont Simone Rudroff von der Diakonie. Es sei allgemein bewundernswert, wie die Menschen in der Schwerpunktsiedlung etwas verändern wollten und wie sie das selbst in die Hand nähmen. Denn das Angebot dort habe bisher nicht ausgereicht, Anwohner mussten in andere Viertel ausweichen, um an Veranstaltungen teilnehmen zu können.

Die Diakonie hat deshalb vor einigen Wochen ein Demokratiefest veranstaltet, welches eine Infrastruktur für mehr Beteiligung schaffen sollte. Anders als Rudroff erwartete, kamen nicht nur junge Familien, vielmehr wollten sich Menschen jeder Altersgruppe und mit allen möglichen Anliegen einbringen. Zu jedem Thema - ob Flohmarkt, Bürgertreff, Sprachkurse oder internationales Kochen - haben sich schließlich Anwohner aus den unterschiedlichsten Kulturen gefunden, die sich langfristig für ihr Thema engagieren wollen. "Es wird toll angenommen, weil viele Anwohner danach dürsten", erklärt Rudroff.

Lerchenau: Die jungen Yoga-Schülerinnen strecken die Arme in die Höhe oder sitzen im Schneidersitz auf ihren Yoga-Matten.

Die jungen Yoga-Schülerinnen strecken die Arme in die Höhe oder sitzen im Schneidersitz auf ihren Yoga-Matten.

(Foto: Robert Haas)

Auch Joshis Kinder-Yoga hat durch das Demokratieprojekt mehr Zulauf bekommen. Dass immer nur eine kleine Zahl an Kindern kommen kann, liegt an den Corona-Regeln. Denn bei schlechtem Wetter bleibt die kleine Gruppe im Treff Lerchenau, in dem aufgrund der Abstandsregeln nicht mehr als fünf Kinder Yoga machen dürfen. Scheint die Sonne, gehen sie unter einen großen Baum am Lerchenauer See, so wie an diesem Montag.

Der leichte Wind bringt die Blätter zum Rascheln, das Wasser des Sees wirft kleine Wellen. Die grauen Hochhausbauten, welche die Gegend dominieren, sind durch die Dichte des Grüns hindurch kaum noch zu sehen. Nun darf die elfjährige Rushil, Joshis Tochter, eine Karte ziehen. Sie wählt die Übung "Bhujang Asana". "Die Schlange", erklärt ihre Mutter. Die drei Mädchen legen sich auf den Bauch, dann drücken sie ihren Oberkörper langsam mit den Armen nach oben. "Yoga kann man nicht schnell machen", betont Joshi immer wieder. Nach ein paar anstrengenderen Durchgängen folgt die ruhigste Phase der Yoga-Stunde: die Übung "Shav Asnaa". Dabei legen sich die Kinder auf den Rücken und schließen die Augen. Joshi geht von Matte zu Matte und legt ihr Handy, das beruhigende Instrumentalmusik spielt, neben die Kinder. Die Töne überdecken das Stimmenwirrwarr aus unterschiedlichen Sprachen vom Spielplatz nebenan. Mal legt Joshi ihre Hand auf eine Stirn, mal richtet sie die Füße eines Kindes neu aus - immer mit höchster Sorgfalt und Sanftheit.

Sie hat die Übungen bereits als Kind von ihren Eltern gelernt. "Es ist ein Teil meines Körpers", sagt sie, "wenn ich es einmal nicht mache, ist es, als hätte ich nicht gegessen." Als sie vor zehn Jahren nach Deutschland gekommen ist, hat sie diese Spiritualität hierher mitgebracht. Jetzt will sie das an Kinder weitergeben: "Ich freue mich total, etwas zurückzugeben."

Joshi lehrt die Kinder nicht nur Yoga-Übungen. In Indien hat sie in englischer Literatur promoviert und ist als Dozentin und Juniorprofessorin tätig gewesen, weshalb sie nun viele Kinder im Treff Lerchenau in Englisch unterrichten kann. Joshi betont, wie wichtig Sprache sei: Viele Kinder im Viertel, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, trauten sich aufgrund von Sprachproblemen nicht, an Veranstaltungen teilzunehmen. Diese Barrieren will Joshi mit ihren ehrenamtlichen Angeboten überwinden.

Bei ihrer kleinen Yoga-Runde gelingt ihr das bereits: Die Gruppe wechselt bei der Unterhaltung ungezwungen zwischen Englisch und Deutsch, dazu kommen die indischen Begriffe für die Yoga-Positionen. Die Kinder selbst haben verschiedene Wurzeln: indisch, französisch, albanisch oder türkisch. Joshi betont: "Die Kinder freuen sich über die verschiedenen Kulturen." Das spürt man besonders auf dem Rückweg zum Treff Lerchenau, wo die Eltern warten: Ilayda bringt den anderen Mädchen im Gehen einen türkischen Satz bei. Ihr Vater sei Deutscher, ihre Mutter komme aus der Türkei, erzählt sie stolz. Rushil erwidert eifrig, sie könne Indisch, Englisch, Deutsch und bald auch Französisch sprechen. Tia muss sich jetzt verabschieden, denn inzwischen ist die Gruppe vor dem großen Häuserblock angekommen, in dem sie wohnt. Während sie auf die Haustüre zuläuft, ruft sie zum Abschied wie selbstverständlich: "Bye!"

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