Leopoldstraße:Münchner Boulevard

Okay, wir glauben sie zu kennen, aber ist die Leopoldstraße überhaupt real? Hier treffen sich Vornehme, Touristen und Freaks. Eindrücke von einem Ort, der ganz schrecklich und ganz schön sein kann.

Patrick Hemminger

Der Platz links neben dem Eingang, der ist immer reserviert für ihn. Das ist seiner, dort sitzt Hugo Bachmaier. Inhaber des Lokals auf der Leopoldstraße, das seinen Namen trägt. Am Handgelenk hat er eine Rolex, die Duftwolke eines teuren Aftershaves um sich. Auf diesem Platz sitzt er am liebsten, von hier aus schaut er dem Treiben auf der Straße vor seinem Lokal zu. "Das ist eine Straße für sämtliche Verrückte", sagt er. Wenn Abends die Typen in ihren gemieteten Porsches auf und ab röhren und eine Show abziehen, dann sei das besser als Kino.

Leopoldstraße: Leopoldstrasse Strassenportrait Foto:Catherina Hess

Leopoldstrasse Strassenportrait Foto:Catherina Hess

Ganz früher gab es in den Räumen des "Bachmaier" andere Shows. Karl Valentin stand hier auf der Bühne. Erich Kästner kam zum Schreiben her. Danach kam das "Leopold", und als das nicht mehr lief, eröffnete im Jahr 2005 Bachmaier sein Lokal. Es ist Symbol und Zugpferd für die Entwicklung der Leopoldstraße, die das Publikum auch beim Streetlife-Festival am Wochenende erleben kann.

Bachmaier erzählt gerne von den alten Zeiten. Dabei hat die Vergangenheit der Straße für ihn nicht nur Glorreiches. "Das Problem der Leopoldstraße vor einigen Jahren war, dass die Sachen überaltert waren. Das alles hier hatte so einen grattligen Touch", sagt er. Etwa zu der Zeit, als er sein Lokal eröffnete, kam etwas in Bewegung. Hier wurde ein Restaurant renoviert, dort kam ein neuer Laden oder ein Coffee Shop hinzu.

Langsam entdeckten Münchner und Touristen die Straße wieder - und mehr Läden eröffneten. "Manche Sachen sind plötzlich in und man weiß gar nicht genau warum eigentlich", sagt Bachmaier. Er freut sich über die Veränderungen, er profitiert von ihnen, ist Teil davon. Bachmaier gefällt dabei auch, was andere kritisch sehen: Die Ankunft der großen Ketten. Denn die bringen die jungen Menschen hierher. "Ich denke, der Weg der Leopoldstraße ist nicht mehr aufzuhalten", sagt er. Einzig die steigenden Mieten könnten dem einen oder anderen gefährlich werden.

Trotzdem: Die Leopoldstraße war immer etwas Besonderes in München und wird es immer sein. Hier feiern Fußballfans nach einem wichtigen Sieg des FC Bayern oder der Nationalmannschaft stundenlang. Hier wird der Verkehr ausgesperrt, wenn die Münchner Straßenfeste feiern. Hier brachen vor 50 Jahren die Schwabinger Krawalle aus, tagelange Straßenschlachten zwischen tausenden vor allem jugendlichen Protestierern und Polizisten. Wo am Dienstag vergangene Woche eine Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg gesprengt werden musste, war das Herz von Schwabing, das als Ort der Künstler und Bohemiens berühmt wurde.

"Die Leopoldstraße ist in München eben der einzige Boulevard mit Bäumen und breiten Gehwegen", sagt Wolfgang Ettlich. Er kam Ende der sechziger Jahre aus Berlin nach Schwabing. Ettlich betrieb gemeinsam mit seinem Kumpel Henny Heppel die Theaterkneipe "Heppel & Ettlich" und drehte zahlreiche Filme über München. Er sitzt oft im Café Macchiato auf der Höhe der Münchner Freiheit: Hier trifft sich die Nachbarschaft, hier sitzt der Bodybuilder im Muscle-Shirt zwischen der alten Dame mit ihrem Pudel und dem Musiker in Lederjacke.

Ettlich trinkt seinen Orangensaft aus und spaziert los in Richtung Siegestor. Es ist ein schöner Spätsommertag. Menschen flanieren unter den Bäumen, sitzen in den Cafés und Restaurants. Eilig hat es an so einem Tag hier niemand. "Es tut sich was auf der Leopoldstraße in den letzten Jahren", sagt er. Es sei lebendiger geworden. Dabei begrüßt Wolfgang Ettlich nicht jede Veränderung. "Die Straße ist irgendwie auf der Suche, sie weiß nicht so recht, wo sie hin will", sagt er. Er deutet auf die Fassaden: Dort war mal das Newscafé, jetzt ein chinesisches Restaurant. "All you can eat" für acht Euro neunzig. Ettlichs Tochter gefällt's. Selbst war er noch nie dort.

Auch Feinkost Käfer hat auf der Leopoldstraße einen Laden aufgemacht. Schmaler Eingang, mit einer Rolltreppe geht es ins Kellergeschoss. Am Eingang gibt es "Hugo" in Flaschen für 3,95 Euro. Hier habe man zwar nicht das gleiche Sortiment wie im "Käfer"-Stammhaus in Bogenhausen, dafür sei es zehn bis 15 Prozent billiger, sagt ein netter junger Mann mit weißem T-Shirt und schwarzer Weste am Eingang. "Wird das angenommen? So voll ist es ja grade nicht", sagt Ettlich. "Wir sind in Schwabing", antwortet der junge Mann und lächelt. "Die sind jetzt alle im Urlaub." Weil hier Schwabing ist, sind sie auch in den Keller gegangen. "Oben würden wir drei Mal so viel Miete zahlen", sagt er.

Die hohen Mieten sind etwas, worüber sich Ettlich seit langem Gedanken macht. Sie steigen seit Jahren so schnell, dass sich kleine Geschäfte oder Lokale immer seltener halten können. Die Folge: Filialen großer Ketten ziehen ein. Auch Karin Moreis beobachtet diese Entwicklung schon lange. Seit 23 Jahren verkauft sie an der Leopoldstraße Blumen. "Die Straße wird halt anders", sagt sie und macht dabei keinen fröhlichen Eindruck. Vielleicht sei diese zunehmende Beliebigkeit auch ein Grund, warum Touristen sie immer wieder fragen, wo es denn nun sei, dieses Künstlerviertel Schwabing, von dem jeder schon einmal gehört hat. Die Leopoldstraße empfiehlt Moreis dann eher selten.

Einige bleiben aber doch hier. Und manche kommen sogar zu Sylvia von Ketelhodt und fragen sie nach einer Urlaubslektüre. Von Ketelhodt arbeitet in der Buchhandlung Lehmkuhl, die 109 Jahre alt ist und seit 1945 in dem Gebäude an der Leopoldstraße 45 - eine Institution in München. Und von Ketelhodt ist eine Institution bei Lehmkuhl. Seit 1980 arbeitet sie dort, fast ebenso lange leitet sie die Taschenbuchabteilung. Damals fuhren die Autos noch auf sechs Spuren über die "Leo". Fürs erste Date ging man ins "Adria", im "Capri" nebenan saßen Wondratschek, Wecker und Enzensberger. Es waren die letzten Jahre der Schwabinger Bohème. "Damals hat man hier gefeiert bis zum Umfallen. Da ist das heute nichts dagegen", sagt von Ketelhodt. Aber es war alles zurückhaltender, spielte sich weniger auf der Straße ab. Oft traf man sich bei Freunden oder Bekannten zuhause. "Das am Sonntagmorgen die Räumfahrzeuge kommen mussten, weil überall Müll und leere Flaschen lagen, alles vollgekotzt war, das gab es nicht", sagt sie. Heute jage doch nur ein Event das andere. "Für viele ist das hier eine Horrorgeschichte geworden", sagt Sylvia von Ketelholdt.

Gleich neben der Buchhandlung ist ein indisches Restaurant. Ettlich nimmt sich eine der ausliegenden Speisekarten. "Schau an, Chicken Curry für 7,90 Euro", sagt er. Gar kein schlechter Preis für diese Gegend. Vor dem Esprit-Laden bleibt er stehen: "Wie der sich halten kann, ist mir ein Rätsel. Der ist nie voll."

Die zwei Seiten der Straße

Auf den Stühlen neben der Zara-Filiale sitzt ein älterer Herr. Er trägt einen Pferdeschwanz, zusammengehalten von mehreren roten Haargummis, ein quietschblaues Sakko, eine Krawatte, die einige Farbtöne daneben liegt, Sonnenbrille und Schirmmütze. Fünf Enkel umwuseln ihn. Musiker sei er und er komme seit 35 Jahren jeden Tag auf die "Leo". Hier hat er einst 1966 in der Disco "Big Apple" Jimi Hendrix spielen hören.

Der beste Gitarrist aller Zeiten stand damals gerade am Anfang seiner großen, aber kurzen Laufbahn. "Ich sehe ihn heute noch vor mir, in meiner Fantasie ist er immer noch lebendig", sagt der Mann mit dem Pferdeschwanz. So geht es ihm jeden Tag, wenn er aus Bogenhausen hierher fährt. "Um halb Neun frühstücke ich auf der Leopoldstraße und dann gehe ich zur Arbeit", sagt er. Nachmittags ist er dann wieder hier. Bis es vor zehn Jahren schloss, saß er jedes Mal im "Café Venezia" hundert Meter weiter. Diese hundert Meter schmerzen ihn noch immer. Sein Tischnachbar, ein älterer Herr in Turnhose, nickt und seufzt. "Ich könnte mich auch niemals auf die andere Straßenseite setzen. Ach die alten Zeiten. . ."

Ettlich hat sein Eis aufgegessen und geht weiter, die hundert Meter zum ehemaligen "Café Venezia". "Hier saßen sie früher, die Massen", sagt er und deutet auf den Gehweg. Rappelvoll war es, jeden sonnigen Tag. Nun ist hier eine Filiale der "San Francisco Coffee Company". Drei gut und lässig gekleidete Menschen sitzen im Freien, ein paar drinnen, ein paar stehen an. Ein Elend, das Ettlich nicht mit ansehen will.

Auf der Höhe der Franz-Joseph-Straße quert Ettlich die Leopoldstraße. Die spannendsten Dinge liegen für ihn ein wenig abseits. "Man muss einfach den Mut haben, mal ein paar Meter von der Leopoldstraße weg zu gehen. Da hinten zum Beispiel", sagt Ettlich und deutet in die Nikolaistraße. "Bei dem Sonnenschirm dort gibt es die beste Currywurst der Stadt."

Vor dem "Wirtshaus zur Brezn" servieren Kellnerinnen in Dirndl und Kellner in Lederhose. Für Ettlich ist das reiner Nepp. "Hier kommt doch kein Münchner her, ich wette, das sind alles Touristen", sagt er und geht auf den ersten Tisch zu. "Entschuldigung, sind sie aus München", fragt er zu Demonstrationszwecken. Ein Paar mittleren Alters blickt Ettlich überrascht an, aber sie schütteln die Köpfe - und auch alle anderen Gäste im Lokal, die Ettlich anspricht. Schließlich heben an einem Tisch in der zweiten Reihe einige jüngere Menschen die Hände. "Wir", rufen sie. "Wir sind aus München." "Na endlich", ruft Ettlich zurück.

Das "Roxy" gibt es schon seit 25 Jahren hier. Hinter dem Tresen steht Bernd, und da bei dem schönen Wetter alle draußen sitzen, hat er Zeit zu plaudern. Er arbeitet hier seit 2009, davor zwölf Jahre lang "auf der anderen Seite", wie er sagt - der anderen Straßenseite.

Dort seien die Menschen eher gediegen und vornehm, hier eher Touristen und Freaks. "Es kommen manchmal schon merkwürdige Menschen hierher. Da gibt es ein altes Ehepaar, die lesen zwei, drei Stunden Zeitung ohne ein Wort zu sprechen oder sich anzuschauen. Aber kaum sind sie draußen, nehmen sie sich an der Hand und reden ganz liebevoll miteinander." Sie ist also doch ganz real, die Leopoldstraße - und manchmal auch sehr schön.

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