Süddeutsche Zeitung

Leichtathletik:Lebensläufe

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Monika Schäfer war eine der besten deutschen Langstrecklerinnen - und überehrgeizig. Heute macht sie auch Fußballprofis Beine

Von Katrin Freiburghaus, München

Ein Leben ganz ohne das Laufen sei schwer vorstellbar, sagt Monika Schäfer. Die ehemalige Leichtathletin sitzt eine Stunde vor Ladenöffnung in einem Münchner Spezialgeschäft für Laufzubehör. Sie ist extra früh aufgestanden an diesem Morgen, um vor der Arbeit noch ihre Runden drehen zu können. Das tägliche Laufen sei irgendwann wie Zähneputzen geworden, sagt ihr Mann. Es gehört zum Leben der 56-Jährigen, seit sie zwölf ist. "Einen gewissen Suchtfaktor" räumt Schäfer ein, jeden Tag läuft sie eine Stunde. Das Ritual ist keine Ersatzdroge dafür, dass sie ihr altes Leben als Leistungssportlerin nicht loslassen könnte. Sie will das Laufen auch in ihrem aktuellen Leben einfach nicht missen.

Als sie 1997 mit 38 Jahren nach fast 20-jähriger Laufbahn spontan entschied, ihre Leistungssport-Karriere zu beenden, sei ihr das nicht schwer gefallen. Sie sah keine Chance, die Norm für die Weltmeisterschaften zu erreichen. Auf nationaler Ebene pendelte sie auf den Langstrecken zwischen den Podiumsplätzen, aber das habe "nicht mehr als Motivation gereicht". Bereits 1987 hatte eine schwere Bandscheibenverletzung sie für drei Jahre außer Gefecht gesetzt. 1991 wurde sie bei der deutschen Meisterschaft dann sofort Zweite über 15 Kilometer. "Anschließend habe ich es bis ins hohe Sportleralter ziemlich ausgereizt", sagt sie. Der mentale Einbruch, den ihr viele für die Zeit nach der aktiven Karriere prophezeit hatten, blieb aus, "weil ich einfach satt war, was Wettkämpfe betrifft".

Bei den Hallen-Europameisterschaften 1984 war sie Vierte. Man muss sie auf ihre Platzierungen direkt ansprechen, weil sie ihr weniger wichtig sind als das Laufen selbst und die damit verbundenen Erlebnisse. Sie erzählt lieber von ihrem erfolglosen Start bei der Weltmeisterschaft in Rom. Oder den Marathons in Berlin, Hamburg und New York Ende der Achtziger, wo sie Zweite, Dritte respektive Achte wurde. Schäfer war zu diesem Zeitpunkt die schnellste deutsche Debütantin über die 42,195 Kilometer, doch die Langstrecke bekam ihrem Körper nicht. Während ihrer Verletzungszeit half sie erstmals bei ihrem Freund, dem Marathonläufer Falko Will, in dessen Laufgeschäft aus. Das ist mittlerweile 27 Jahre her.

Sie habe nie mehr daran gedacht, in ihren Beruf als zahnmedizinische Fachhelferin zurückzukehren, sagt Schäfer. Sie strahlt eine innere Ruhe aus, die es schwer begreiflich macht, dass es ihr eigener Ehrgeiz gewesen sein soll, der sie zweimal eine mögliche Olympia-Teilnahme kostete. "Als Sportlerin war ich schwer zu bremsen. Ich konnte mich schlecht an Trainingspläne halten, weil ich immer mehr wollte", erzählt sie. Vor den Spielen 1984 und 1992 lief sie im Winter locker um die Teilnahme mit, ehe sie in der Nominierungsphase in ein "extremes Übertraining" rutschte. Weil sie die Überlastungszeichen ihres Körpers ignorierte, ging irgendwann nichts mehr.

Wenn man sie so hört, scheint Olympia die einzige Lücke zu sein, das einzige Erlebnis, das ihr in der Rückschau auf ihre Karriere fehlt. Auf alles andere blickt sie mit Zufriedenheit - und nutzt es als Erfahrungsreservoir für ihre Rolle als Beraterin, zu der sie in ihrer Zeit im Laufladen längst geworden ist. "Manchmal haben wir das Gefühl, dass wir halbe Ärzte sind. Hier kommen Leute rein, die uns nach Trainingsplänen fragen, aber auch, was sie gegen diese und jene Schmerzen machen sollen. Unsere Kunden setzen in allem auf unsere Expertise - es ist schon ein gutes Gefühl, wenn man das ein bisschen weitergeben kann."

An der Decke über ihr hängen signierte Fußballtrikots. Ein Leibchen von Roman Tyce ist darunter, ehemals Profi bei 1860 München, aber auch andere Fußball-Prominente, die nach ihrer Karriere die Fußballschuhe gegen Laufschuhe eingetauscht haben. Einer von ihnen bewältige mittlerweile 100-Kilometer-Strecken und lasse sich regelmäßig Schuhe schicken - im Paket mit der nötigen Erfahrung. "Man hat ja mit Verletzungen fast alles mitgemacht, wenn man selber vom Laufen kommt", sagt Schäfer, als müsse sie sich für das Interesse an ihrer Meinung und ihrem profunden Wissen rechtfertigen. Sie hätte auch sagen können: wenn man nationale Spitze war. Sie tut es nicht; weil es ihr nicht wirklich wichtig ist. Monika Schäfer läuft, um zu laufen. Damals wie heute.

Bisher erschienen: Kurt Szilier (28.7.), Andrea Eisenhut (23.7.)

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SZ vom 30.07.2016
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