Offene Lehrstellen:Die Jungen übernehmen die Macht auf dem Ausbildungsmarkt

Köche und Kellner gesucht

Arbeiten in einer Großküche? Darauf hat nicht jeder Lust. Für Arbeitgeber wird es immer schwieriger Ausbildungsplätze zu besetzen.

(Foto: picture alliance / dpa)

3949 unbesetzte Lehrstellen allein in München. Viele Betriebe finden keine Auszubildenden. Ist der Nachwuchs nicht belastbar oder einfach anspruchsvoll? Eine Spurensuche.

Von Pia Ratzesberger

Um die großen Probleme einer Stadt zu verstehen, zoomt man manchmal am besten ganz nah ran. In eine kleine Küche in der Au zum Beispiel, in der gerade zwei Männer an einem Tisch stehen und Brote schmieren. Eine Bestellung nach der anderen geht raus, Frühstückszeit, die Leute wollen Bagels und Croissants und New York Cheesecake. Dann geht die Türe auf, der Chef kommt rein, mit Schiebermütze und kurzen Hosen. Bis September kriege man keinen mehr, sagt er. Die zwei Männer nicken. Sie hatten es schon vermutet. Die letzte Kandidatin hat auch noch abgesagt.

Bei den Ausbildungsstellen zeigt sich besonders deutlich, wie sich die Macht am Arbeitsmarkt neu verteilt. Immer öfter läuft es so, dass die Jungen sich für einen Chef entscheiden - nicht mehr die Chefs für die Jungen. So steht nun auch der Mann mit der Schiebermütze, Luca-Moritz Gültas, vor den Köchen seines Restaurants und weiß nicht recht, was er noch tun soll.

Am 22. Mai dieses Jahres ging die Stellenanzeige online, beim Restaurant Miss Lilly's suche man einen Koch für eine Ausbildung in Vollzeit, stand darin. Der Bewerber sollte einen Hauptschulabschluss haben, gerne im Team arbeiten, kreativ sein. Am Ende bekommt Gültas, 43, sechs Bewerbungen. Drei der Leute erscheinen nie zum Vorstellungsgespräch, er wartet vergeblich.

Zwei sagen nach dem Gespräch aus religiösen Gründen wieder ab, in der Küche wird auch Schweinefleisch gekocht. Die letzte Bewerberin, eine junge Mutter, entschuldigt sich, dass sie wegen der Arbeitszeiten doch lieber in einer Kantine arbeiten wolle, auch wenn es ihr in der Küche gefallen habe. Die Auswahl sei extrem gering, sagt Gültas, obwohl sein Angebot doch gut sei. Er ist nicht der einzige in der Stadt, der das sagt. Natürlich nicht.

Seit ein paar Jahren sind jeden Sommer die immer gleichen Meldungen zu lesen, hunderte Lehrstellen sind unbesetzt, diesmal waren es in München im Juli 3949. Die Zahl wird bis zum Herbst noch sinken, manche Bewerber entscheiden sich erst kurz vor Beginn der Ausbildung für eine Stelle. Aber trotzdem, wenn man sich die Zahlen der vergangenen Jahre ansieht, blieben auch im Herbst noch immer hunderte Lehrstellen frei. Vor acht Jahren waren es 961 Stellen, vor fünf Jahren 1336, im vergangenen Jahr dann 1387.

Es fehlten zum Beispiel 175 Verkäufer, 93 zahnmedizinische Fachangestellte und 57 Köchinnen. Sechs Konditoren und fünf Klempner. Bei der Agentur für Arbeit rechnet man damit, dass die Firmen in diesem Jahr eine ähnliche hohe Zahl vermelden werden. "Das betrifft mittlerweile alle Branchen", sagt der Chef der Arbeitsagentur, Wilfried Hüntelmann. Und nicht nur er muss sich die Frage stellen, warum nur noch so wenige eine Ausbildung machen wollen - alleine mit dem demografischen Wandel lässt sich das nicht erklären.

Unbesetzte Lehrstellen

Unterschiedliche Branchen, ähnliche Probleme: Luca-Moritz Gültas und Alexander Bauer können ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Fragt man Luca-Moritz Gültas in seinem Restaurant in der Au, warum er nur sechs Bewerbungen erhalten hat, stellt er zwei Theorien auf. Die eine hat mit Geld zu tun, wie so oft in dieser Stadt. Wer eine Ausbildung zum Koch macht, verdient in Bayern nach dem Tarifvertrag im ersten Jahr 687 Euro, im zweiten 782 und im dritten Jahr 884 Euro. So viel kostet in manchen Vierteln Münchens, wo die Mieten so hoch liegen wie in keiner anderen deutschen Stadt, schon eine Ein-Zimmer-Wohnung.

Gültas würde sich schämen, würde er nur nach Tarif zahlen, sagt er, deshalb zahle er mehr - wie viel sagt er nicht. Es gibt Ausbildungen, deren Tarifgehälter höher liegen, mit 970 Euro im ersten Jahr (Anlagenmechanikerin) oder 1001 Euro im zweiten Jahr (Industriekauffrau), doch auch wenn diese Branchen nicht so große Probleme haben wie die Gastronomie oder der Handel - Probleme haben sie auch.

"Um was gewuppt zu kriegen, musst du die Zähne zusammen beißen"

In einem Betrieb für Baustoffe im Westen der Stadt zum Beispiel sucht Alexander Bauer, 42, noch Auszubildende. Er hat zwar drei Leute gefunden, würde aber sechs brauchen. Schon seit ein paar Jahren merkt er, dass es schwieriger wird. Er selbst arbeitet als Controller in der Firma und ist sich durchaus bewusst, dass "Baustoffhandel jetzt nicht so sexy ist". Aber dass die Leute im Vorstellungsgespräch überhaupt keine Ahnung hätten, um welchen Job sie sich bewerben, verwundert ihn dennoch; auch die vielen fehlerhaften Anschreiben.

"Man ist schon froh, wenn man zwei Zettel findet, die irgendwie zusammenpassen." Wenn er zum Gespräch einlädt, erklärt er seinen Bewerbern mittlerweile, dass die Firma ein regionaler Baustoffhändler sei, der seine Kunden vom Keller bis zum Dach betreue. Früher hätte er nachgefragt, früher sei es ein No-Go gewesen, wenn der Bewerber das nicht draufgehabt hätte, sagt Bauer. Jetzt hat er sich daran gewöhnt.

In einer Umfrage der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern (IHK) haben 32 Prozent der befragten Unternehmen angegeben, dass sie im vergangenen Jahr Ausbildungsplätze nicht besetzten konnten. 61 Prozent dieser Betriebe gaben als Grund ungeeignete Bewerbungen an. Auf die Frage, was die größten Hemmnisse bei den Ausbildungen seien, antworteten mehr als 76 Prozent, dass viele Schulabsolventen zu unklare Berufsvorstellungen hätten.

Die Firmen beklagten außerdem, dass es der jungen Generation an Leistungsbereitschaft fehle, an Motivation und Belastbarkeit. Die IHK weist zwar selbst darauf hin, dass zum einen nicht genügend Firmen an der Umfrage teilgenommen hätten und zum anderen die Ergebnisse verzerrt sein können, weil sich vermutlich vor allem die Unzufriedeneren melden. Doch Luca-Moritz Gültas zum Beispiel sieht es genauso. Die Jungen schafften nichts mehr.

Er hat 44 Plätze in seinem Restaurant, noch einmal 40 auf der Terrasse, er bietet zusätzlich noch Catering an, richtet Geburtstage und Firmenfeiern aus. "Um was gewuppt zu kriegen, musst du die Zähne zusammen beißen", sagt er. "Die Youngsters" aber seien nicht mehr belastbar. Erst letztens, bei einem Clubbing Event im Rathaus, habe er 32 Stunden durchgearbeitet und als er das den Jüngeren erzählt habe, hätten die nur entgegnet, das schaffe man doch nur mit Drogen, sagt Gültas. Er antwortete, es sei genau andersherum. Man schaffe das nur ohne Drogen. Solche Schichten seien die absolute Ausnahme, im Alltag versuchten er und sein Team Überstunden zu vermeiden. Trotzdem habe er das Gefühl, dass die Jungen nicht mehr genügend wollen.

Ein Anruf bei der Professorin Sabine Pfeiffer, sie arbeitet als Soziologin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und forscht zum Wandel von Arbeit und Gesellschaft. "32 Stunden durchgearbeitet?", fragt sie ein wenig ungläubig, als man ihr von der Argumentation des Restaurantbesitzers erzählt. Sie glaubt nicht, dass die Jungen nicht mehr belastbar seien. Sondern anspruchsvoll. "Wenn ich heute junge Leute haben will, muss ich denen ganz schön was bieten." In den vergangenen 20 Jahren habe die Ausbildung an Ansehen verloren, sagt Pfeiffer, auch, weil man mehr Leute an die Universitäten bringen wollte.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, ein Zusammenschluss von weltweit 36 Staaten, hatte Deutschland immer wieder für seine niedrigen Studienquoten kritisiert, dabei hätten die Pfeiffer zufolge nur so niedrig gelegen, weil Studenten mit einer dualen Ausbildung wie in Deutschland nicht in die Statistik gezählt worden seien. Sie glaube auch nicht, dass die Jungen unbedingt anspruchsvoller seien als die vorigen Generationen, sagt Pfeiffer, die Älteren hätten vermutlich ebenso gerne unter besseren Bedingungen gearbeitet. Doch die Macht war damals noch anders verteilt.

Alexander Bauer, der Ausbilder im Baustoffhandel, und Luca-Moritz Gültas, der Restaurantbesitzer in der Au, werden es deshalb wohl erst einmal schwerer haben. Vielleicht aber werden sie es als Ansporn verstehen.

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