Lehel:Wenn ein Viertel seine Läden verliert

Lehel: Früher war hier viel los, jetzt steht der Imbiss an der Christophstraße leer.

Früher war hier viel los, jetzt steht der Imbiss an der Christophstraße leer.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

In der Innenstadt werden Metzgereien, Obstgeschäfte und Tante-Emma-Läden von Boutiquen und Cafés verdrängt. Aktuell geschieht das im Lehel - und nimmt den Anwohner ihre Einkaufsmöglichkeiten.

Von Alfred Dürr

Bis vor kurzem war an der Christophstraße 10 besonders um die Mittagszeit viel los: Die Imbiss-Filiale der Großmetzgerei Sieber war ein beliebter Laden zum Einkaufen und zum schnellen Essen. Doch dann gab der Pächter nach 16 Jahren aus gesundheitlichen Gründen auf, auch seine Tochter wollte das Geschäft, das den Ruf hatte, gut und preiswert zu sein, nicht weiter führen. Der Laden steht leer; noch weiß man nicht, was nachfolgen wird. Für sich genommen ist das vielleicht kein großer Vorgang. Aber für den Bezirksausschuss (BA) steckt mehr dahinter - ein weiterer Schritt zur tiefgreifenden Änderung der Geschäftsstruktur im Viertel.

"Die Grundversorgung der Anwohner nimmt Schaden", sagt Wolfgang Püschel (SPD), der Bau- und Planungssprecher im BA. Allein in dem kleinen Bereich um den ehemaligen Sieber, im Umfeld der Seitzstraße und der Christophstraße, gab es in den vergangenen Jahren einigen Wechsel. Ein Gemüseladen verschwand, auch ein Drogeriemarkt, jetzt der Imbiss. Dafür kamen eine Galerie oder eine Boutique.

Ganz gleich ob Anwohner, Kinder und Jugendliche aus der nahegelegenen Schule oder Mitarbeiter in den umliegenden Büros - hier an der Christophstraße konnte jeder einkaufen, was er für den täglichen Bedarf brauchte, sagt Püschel. Diese Möglichkeiten würden aber immer mehr eingeschränkt, und das bedeute im Endeffekt einen Verlust von Lebensqualität für alle, die sich in dieser Gegend bewegen.

Was in dem Mini-Zentrum passiert, ist kein außergewöhnliches Phänomen im Herzen Münchens. Schon vor Jahren hat das städtische Planungsreferat im Konzept für die Innenstadtentwicklung dargestellt, wie der traditionelle mittelständische Fach-Einzelhandel mit seiner Angebotsbreite immer weiter zurückgedrängt werde. Das habe mit dem Strukturwandel im Handel, dem Konzentrationsprozess von Unternehmensketten, dem zunehmenden Filialisierungsgrad, dem geänderten Verbraucherverhalten, der Nachfolge-Problematik und nicht zuletzt auch mit der extremen Mietpreisentwicklung zu tun.

Diese Veränderungen in den Innenstadtvierteln sind ein Dauerthema für die Planer. Wie beim Wohnen seien auch "gewerbliche Standorte" von Aufwertungsprozessen bedroht: Trendige Boutiquen oder die Szenegastronomie verdrängen langjährig ansässige Betriebe, wie etwa den "Tante-Emma-Laden" oder den Metzger.

Für die Stadt ist es nahezu unmöglich gegenzusteuern. Das Planungsreferat weist zum Beispiel auf einen besonderen Aspekt hin, der das Problem der hohen Mieten betrifft. Beim Wohnungs-Mietrecht gehe der Gesetzgeber von einem grundsätzlichen Ungleichgewicht der Positionen der Partner beim Vertragsabschluss aus und sehe daher eine Reihe von Regelungen zum Schutz der Mieter vor. Anders beim Gewerbe-Mietvertrag: Hier handele es sich um gleichwertige Vertragspartner, die keines besonderen Schutzes bedürften.

Für eine "gesunde gewerbliche Mischung" fänden sich im Gegensatz zur Wohnnutzung keine objektiven Kriterien und bislang auch keine landes- oder bundesrechtlichen Vorgaben, "die einen besonderen gebietsbezogenen Schutz und ein entsprechendes Aktivwerden der Kommune begründen". Eine Ausnahme seien "störende gewerbliche Unternehmen", wozu auch Spielhallen zählen. Hier würden rechtliche Vorkehrungen getroffen, so das Planungsreferat, die aber stets den Schutz der möglicherweise betroffenen, in der Nachbarschaft ansässigen Wohnbevölkerung im Fokus hätten und weniger den Schutz des Gewerbes.

Das Haus an der Christophstraße 10 gehört dem Kreisverband München des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK). An der Eingangstür zum früheren Sieber-Imbiss hängt ein Schild. Man sei in ersten Verhandlungen bezüglich der Neuvermietung der ehemaligen Metzgerei. Außerdem prüfe man eine Eigennutzung der Flächen. Interessenten können sich melden.

Ein Schuhgeschäft, ein Kleiderladen oder vielleicht doch wieder eine Imbiss-Filiale? Im Viertel wird über neue Mieter spekuliert. Das BRK schweigt auf Nachfrage. Wolfgang Püschel appelliert in einem Brief an die Eigentümer des Hauses: "Bei der Auswahl der Nachfolger soll man an die Grundversorgung im Viertel denken und nicht allein an eine hohe Miete. Das BRK hat auch eine soziale Verantwortung für den Stadtteil."

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