Lebensmittelkontrollen in München:Das Prinzip Zufall

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Lebensmittelüberwacher in München haben im vergangenen Jahr 3800 Beanstandungen ausgesprochen, 18 Betriebe mussten vorübergehend schließen. Lückenlos sind die Kontrollen allerdings nicht - lediglich 46 Beamte sind für fast 20.000 Betriebe zuständig.

Bernd Kastner

Die gute Nachricht zuerst: "Wir haben keine Gammelbäcker in München." Das sagt Peter Lueg, Chef der städtischen Lebensmittelüberwacher im Kreisverwaltungsreferat, und so eine Feststellung beruhigt ein wenig, da fast jeden Tag neue, unappetitliche Details aus dem Hause Müller-Brot bekannt werden.

Nach Recherchen der SZ hat das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit zwischen 2006 und 2010 landesweit 935 Lebensmittelbetriebe untersucht - und in 125 Betrieben "gravierende Mängel" gefunden. (Foto: SZ)

Dessen Fabrik steht in Neufahrn, weshalb die Münchner Kontrolleure damit nichts zu tun haben. "Nicht auffällig", seien die in München ansässigen Großbäckereien, sagt Dieter Felber, der die Kontrolleure koordiniert. Und die größte der Großen, die Hofpfisterei, nennt Felber gar einen "Vorzeigebetrieb".

Das heißt aber nicht, dass immer überall alles in Ordnung wäre. Vor ein paar Jahren hat eine Passantin des Nächtens am Hauptbahnhof in einer Bäckerei eine Maus beobachtet. Die Frau hat schnell ihre Handykamera genommen, so dass man auf dem Film das Tier in der Ruhe des Feierabends dort herumspazieren, wo tagsüber Semmeln und Brezen liegen. "So etwas darf nicht passieren", sagt Felber.

Damals habe man der Bäckerei, die längst dort ausgezogen ist, eine gründliche Schädlingsbekämpfung verordnet. "Bäckereien und Mäuse, das ist ein ewiger Kampf", sagt Peter Lueg. Gerade die Verkaufsstände in den Untergeschossen von U- und S-Bahnhöfen hätten mit den Nagern so ihre Probleme, die müssten besonders darauf achten, dass jeder Brösel weggekehrt wird.

Das Kehren sollte man aber nicht so organisieren wie jener Betrieb, dessen Backstube die Kontrolleure fotografiert haben: Da hängt, eingeklemmt zwischen irgendwelchen Rohren, ein Besen über dem Tisch, auf dem der Teig zubereitet wird. Und der Mann am Teig, eine Art Bäcker, trägt eine Maurerhose, und auf die vorgeschrieben Kopfbedeckung hat er auch verzichtet. Das ist eine der Entdeckungen, die in die Statistik eingehen als Beanstandung, wovon es im vergangenen Jahr 3800 gegeben hat, in allen Lebensmittelbetrieben.

Schaben sind von Natur aus schüchtern

Anlass für Ärger mit den Kontrolleuren können auch verschimmelte und zerbrochene Fließen überm Herd sein, Pizzakartons, die neben der Kloschüssel gelagert sind, eine Personaltoilette, in der sich Klamotten stapeln oder eine Teigmaschine, die von Uraltteig verklebt ist. Die Sanktionen reichen von der mündlichen Anordnung bis zum Bußgeld. Vorübergehende Betriebsschließung hat es im vergangenen Jahr 18 Gegeben, wohlgemerkt in allen Lebensmittelbetrieben.

"Lückenlos sind die Kontrollen nicht", sagt Dieter Felber. Wie sollten auch 46 Beamte die 19 500 Betriebe engmaschig kontrollieren? Die Funde und damit die Statistik unterliegen also dem Prinzip Zufall. Und selbst wenn ein Betrieb Besuch bekommt, muss der Prüfer erst mal erkennen, was zu entdecken wäre.

Schaben und anderes Getier, das bei Müller-Brot heimisch war, sind von Natur aus schüchtern. Eine Kakerlake lässt sich ungern beobachten. Zwar spüren diese mit Taschenlampen den Tierchen in Ecken und hinter Schränken nach, aber ein Insekt kann recht flink sein. Leichter macht es den Gammeldetektiven dagegen die Maus: Ihr Kot ist Beweis genug, sagt Felber, "da muss ich die Maus gar nicht sehen".

Weil Kontrolleure nie alles sehen können, sind sie im KVR auch froh über Beobachtungen von Bürgern. 600 Mal haben sich Verbraucher im vergangenen Jahr ans KVR gewandt und von verdorbenen Mägen oder schmuddeligen Köchen berichtet, 100 Mal haben sie sogar eine Speiseprobe vorbeigebracht.

Traditionelle Betriebe statt Massenware
:Der Bäcker von nebenan

Hauptsache billig lautet das Modell vieler Großbäckereien. Doch es gibt auch heute noch Betriebe, die Brezen und Semmeln von Hand herstellen. Die SZ stellt Münchner Bäckereien vor, in denen der Meister oder die Meisterin noch selbst in der Backstube steht.

Hin und wieder erreichen das KVR auch Hinweise von Insidern, meist Ex-Mitarbeiten eines Betriebs. Diese Tipps aber seien mit Vorsicht zu genießen: An zwei Drittel von ihnen sei nichts dran, womöglich ist Rache die Triebfeder so manchen Tippgebers, der seinem alten Chef die Kontrolleure auf den Hals hetzen will.

Verschwindend wenig Infos wiederum kommen von jenen, die am besten über Missstände Bescheid wissen müssten: aktuelle Mitarbeiter. Die Hemmschwelle, zu einem "Whistleblower" zu werden, ist offenbar sehr hoch, die Angst vor Konsequenzen hält viele ab. Dabei kann sich jeder, das betonen Felber und Lueg, auch anonym ans KVR wenden, man gehe jedem Hinweis nach.

Während die Behörden also gerne Hinweise entgegennehmen, sind sie umgekehrt mit Informationen an die Bevölkerung recht knausrig. Die Transparenz der Lebensmittelüberwachung ist seit langem umstritten, nicht erst seit der Causa Müller-Brot, wo mancher Kunde gerne früher erfahren hätte, unter welchen Bedingungen die Semmeln gebacken wurden.

Was ich nicht weiß, verdirbt mir auch nicht den Appetit

Der einzelne Bürger hat zwar laut Verbraucherinformationsgesetz das Recht, beim KVR nach bestimmten Betrieben zu fragen, nach seinem Metzger oder Bäcker um die Ecke zum Beispiel. Doch ehe er Auskunft bekommt über die Entdeckungen der Kontrolleure und eventuell verhängte Strafen, dauert es Wochen, mitunter auch Monate. Dass seit 2008 erst zwölf solcher Anfragen ans KVR gingen, die meisten davon von Organisationen, spricht Bände: Die Bürger kennen das Gesetz entweder nicht oder versprechen sich nichts davon. Womöglich handeln sie nach dem Motto: Was ich nicht weiß, verdirbt mir auch nicht den Appetit.

Das Verbraucherinformationsgesetz ist die eine theoretische Schiene für Transparenz, ein Smiley an der Ladentür wäre eine denkbare andere. Solche Symbole kleben in Dänemark an den Schaufenstern und verraten dem Kunden: "Alles okay" oder, wenn der Smiley gar nicht lächelt: "Vorsicht".

Die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch ist begeistert von dieser Art der Transparenz, doch im KVR rümpfen sie die Nase. So ein Zeichen, was auch die hierzulande diskutierte Ampel wäre, könne wie ein fortwährender Pranger für den Betrieb wirken. Denn die Kontrolleure hätten nicht die Zeit, nach einer negativen Bewertung ein paar Wochen später nachzuschauen, ob die Mängel behoben sind. "Wir würden Betriebe regelrecht vernichten", sagt Lueg. Und die Mehrzahl der Mängel sei für den Bürger nicht wirklich erheblich.

"Muss das der Verbraucher alles wissen?", fragt Felber. Im Kreisverwaltungsreferat jedenfalls sind sie ganz zufrieden mit der bisherigen Transparenz, einer recht eingeschränkten jedoch: Sofortige öffentliche Warnung nur bei Gesundheitsgefahr. Eine Stufe drunter, auf der Ekel-Ebene, aber sei die Pflicht zur Information schon wieder Ermessenssache. Bei einem Fall wie Müller-Brot plädiert Felber für ein frühes Informieren .

Nichts Genaues weiß also niemand, am wenigsten der Verbraucher. Vielleicht beruhigt es aber angesichts der Müller'schen Haustiere, wenn Dieter Felber, der selbst schon so viele Küchen, Kammern und Käfer gesehen hat, sagt: "Ich gehe nach wie vor gerne zum Essen in Restaurants."

© SZ vom 13.02.2012/afis - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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