Lebensmittelkontrollen:Wen die Kontrolleure anprangern

Verbraucherschutz im Netz: Eine neue Internetseite listet Unternehmen auf, bei denen Lebensmittelkontrolleure Hygienemängel festgestellt haben. Für die Bürger bedeutet das mehr Transparenz. Doch die Methode birgt auch Gefahren.

Bernd Kastner

Es sind vier Betriebe, und sie haben die zweifelhafte Ehre, die ersten zu sein. Die ersten Münchner, die auf der neuen Internetseite des Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) stehen, einer Seite, auf der niemand gerne seinen Namen liest. Dort tauchen nur die auf, bei denen Lebensmittelkontrolleure mutmaßliche Verstöße gegen diverse Vorschriften entdeckt haben, Hygienemängel zum Beispiel.

Das war der Fall bei einem Lokal in Neuhausen, zwei Lebensmittelläden in der Ludwigsvorstadt und in Neuperlach sowie einem Backshop in Sendling. Bei allen vier Firmen ist aber auch vermerkt: "Mängel beseitigt". Seit 1. September gilt das neue Gesetz, wonach alle Kontrollbehörden in Bayern öffentlich machen müssen, was sie wo entdeckt haben. Einzige Hürde: Das zu erwartende Bußgeld muss mindestens 350 Euro betragen.

Noch ist die Liste auf der LGL-Seite recht übersichtlich, zwölf Betriebe aus ganz Bayern sind genannt, fast täglich aber werden es mehr. Klickt man die Firmennamen an, erfährt man mehr über das Beanstandete.

In einem der Münchner Betriebe haben die Kontrolleure des Kreisverwaltungsreferats (KVR) demnach am 4. September dies gefunden: "Bauliche Mängel; Mängel bei der Betriebshygiene/Reinigungsmängel; Mängel bei der Schädlingsbekämpfung; Verstöße gegen Dokumentationspflichten; Inverkehrbringen von unter unhygienischen Zuständen/Bedingungen hergestellten/behandelten Lebensmitteln." Weiter ist der "Grund der Beanstandung" vermerkt: "Mängel bei der Instandhaltung der Betriebsräume, Verschmutzungen im Produktions- und Lagerbereich, Schimmel im Produktionsbereich, Schädlingsbefall im Verkaufsbereich, Mängel im Eigenkontrollsystem."

In diesem Stil werden Bürger künftig informiert, inklusive des Namens des Firmeninhabers und der genauen Adresse. Im Bürokratendeutsch heißt dieser Duktus "abstrakte Konkretisierung" und beschreibt den Versuch eines Kompromisses: Dem Bürger etwas mitteilen, aber nicht so detailliert und aussagekräftig, wie es in einem Bußgeldbescheid vermerkt ist.

War bisher die Information der Öffentlichkeit nur zur Gefahrenabwehr vorgesehen, gilt jetzt möglichst hohe Transparenz und Prävention als Maxime. Zu einem der beanstandeten Münchner Lebensmittelläden ist etwa ein Schädlingsbefall im Verkaufsraum und in der Fleischkühltheke vermerkt, und dass "nicht sichere" Lebensmittel verkauft worden seien.

Verbraucherschutz oder Internet-Pranger?

Für KVR-Chef Wilfried Blume-Beyerle, dessen Lebensmittelkontrolleure die Betriebe melden müssen, ist das LGL-Portal Neuland. Zwar begrüße er die Transparenz und "Verbraucherschutz in höchstem Maße". Dennoch hat er ein mulmiges Gefühl. Ob dieses Prozedere vor Gericht halte, wenn es mal angegriffen werde, bezweifle er doch sehr. Schließlich sei diese Seite eine Art "Pranger", den er rechtlich für "bedenklich" halte. Zum einen seien die Basis keine rechtskräftigen Bußgeldbescheide, sondern lediglich ein "hinreichend begründeter Verdacht". Nicht gesetzlich geregelt sei, wie lange eine Firma im Netz genannt werde, nur die Ausführungsbestimmungen der Staatsregierung zum Gesetz geben ein halbes Jahr vor.

Die Schwelle, um an diesen "Pranger" zu kommen, ist Blume-Beyerle zu gering: 350 Euro zu erwartendes Bußgeld. Diese niedrige Hürde lässt den KVR-Chef auch aus anderem Grund am Sinn der neuen Regelung zweifeln: Im vergangenen Jahr mussten allein in München mehr als 1000 Betriebe ein Bußgeld von mindestens 350 Euro zahlen.

Wie solle sich bei dieser Menge ein interessierter Bürger auf der LGL-Liste zurechtfinden?, fragt Blume-Beyerle. Dazu komme der hohe Aufwand für sein Haus, diese Liste ständig zu pflegen. Das binde Kapazitäten, die womöglich bei den eigentlichen Kontrollen fehlten.

Auf Ablehnung stößt die LGL-Liste auch beim Chef der Münchner Metzgerinnung, Georg Schlagbauer: Er fordert, dass jeder Betrieb nach einer Beanstandung eine "zweite Chance" erhalten müsse. Wenn ein kleiner Betrieb aber erst einmal am "Pranger" stehe, könne es für ihn schon zu spät sein.

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