Verschwendung:Kommt nicht in die Tonne!

MRB Illustration Lebensmittel

Elf Millionen Tonnen Lebensmittel landen in Deutschland jedes Jahr im Müll.

(Foto: Illustration Alper Özer)

Jeder Münchner wirft pro Jahr geschätzt 82 Kilo Lebensmittel weg. Was lässt sich dagegen tun? Eine Spurensuche bei Supermärkten, Tafeln und Foodsavern.

Von Pia Ratzesberger

Es war nur eine Fahrt. Zu einem Supermarkt, an einem Abend. Aber die Liste ist so lang, dass man vermuten könnte, sie wäre das Ergebnis einer langen Tour. Ein Auszug: 48 Äpfel, sieben Packungen Würstchen, 55 Chilis, 40 Kohlrabi, zwei Fleischpflanzerl, 31 Orangen, 22 Salatköpfe, zwei Becher Buttermilch, 15 rote Beeten, 17 Birnen, 20 Schokoriegel, 18 Joghurts, vier Packungen Spinatknödel, 14 Kiwis, 12 Chicorées, 15 Packungen Blaubeeren, fünf Netze Rosenkohl, 110 Minitomaten, zwei Packungen Trüffelschinken, drei Flaschen Olivenöl, sechs Grießpudding, vier Bund Petersilie, drei Säcke Kartoffeln, drei Zitronen und ein Wurstsalat.

Es war nur eine Fahrt von vielen, eine von vier oder fünf in der Woche, und Günes Seyfarth sagt: "Es mag sein, dass manche Betriebe vielleicht nur ein Prozent ihrer Lebensmittel wegwerfen, aber ich ernähre damit eine Woche lang 20 Familien." So viel kann ein Prozent sein.

Wie viele Tonnen Lebensmittel in München im Müll landen, erfasst bislang niemand, aber man kann erahnen, dass es viele sein müssen. Wenn man sich am Abend die vollen Regale in den Supermärkten ansieht, die vollen Abfalleimer in den Straßen. Die Tonnen vor den Häusern. Wenn man ein genaueres Bild bekommen möchte, ruft man am besten Günes Seyfarth an. Sie macht beim Verein Foodsharing mit, seine Mitglieder verteilen noch gute Lebensmittel weiter, bevor sie in die Tonne kommen. Sie nennen sich "Foodsaver" und sind in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterwegs.

Alleine in einer Stadt wie München holen Hunderte Ehrenamtliche die Reste von Supermärkten und Bäckereien ab, stellen die Waren ins Internet oder verteilen sie unter Freunden und Bekannten. Als Seyfarth zum ersten Mal von einem Supermarkt nach Hause kam, war sie überfordert, auch nach der zweiten Fahrt noch, auch nach der dritten Fahrt noch. Sie kochte Obst ein, die ganze Nacht, rührte Chilipasten an, die Hände schwollen an, sie wusste nicht wohin mit den vielen Lebensmitteln. "Man erstickt in gutem Essen." Gutes Essen, das sonst nur noch Abfall wäre.

Innerhalb eines Jahres werden in Deutschland insgesamt elf Millionen Tonnen Lebensmittel verschwendet. In Berlin überlegen Politikerinnen und Politiker deshalb, wie sich das ändern lässt, die Bundesernährungsministerin Julia Klöckner von der CDU hat erst vor Kurzem eine neue Kampagne vorgestellt - und auch die Stadt München wird sich in den nächsten Monaten mit dem Müll auseinandersetzen müssen. Die Fraktion der SPD hat im Stadtrat einen Antrag gestellt, in dem sie den Oberbürgermeister auffordert, mit dem Wirtschaftsreferat, dem Sozialreferat, dem Handel, der Gastronomie und sozialen Trägern nach Wegen zu suchen, damit in Zukunft weniger Lebensmittel zu Müll werden. "Wir müssen klären, wie groß das Problem in München ist und welche Möglichkeiten wir haben, dem beizukommen", sagt der Stadtrat Christian Müller. Spannend wird vor allem sein, das Problem in Zahlen zu fassen.

Das ist unter anderem so schwer, weil Supermärkte zu ihrem Müll keine Angaben machen. Fragt man bei Discountern in der Stadt nach, wie viele unverkaufte Lebensmittel dort weggeworfen werden, erhält man keine Antworten. Das Unternehmen Lidl zum Beispiel gibt an, dass es im eigenen Interesse sei, so wenig wie möglich wegzuwerfen - Firmen verdienen an unverkaufter Ware nichts und müssen für den Müll bezahlen.

Man reduziere den Preis von Produkten, deren Mindesthaltbarkeitsdatum bald ablaufe, heißt es bei Lidl. Die Menge von Lebensmitteln, die man wegwerfen müsse, sei deshalb "sehr gering". Konkreteres will man nicht sagen, auch beim Konkurrenten Aldi nicht. Dort verweist man ebenfalls auf eine genaue Planung, außerdem biete man mittlerweile Obst und Gemüse mit sogenannten Schönheitsfehlern an. Nicht nur im Supermarkt nämlich werden Lebensmittel weggeworfen, sondern entlang des gesamten Weges, von den Fabriken und den Feldern über die Supermärkte bis in die Küchen.

Vor acht Jahren brachte der Regisseur Valentin Thurn seinen Dokumentarfilm "Taste the Waste" in die Kinos und führte dem Publikum damals vor, wie viele Lebensmittel in Europa im Müll landen, und wie pervers ist, dass zur gleichen Zeit noch immer Menschen hungern müssen. Seitdem sind nicht nur Initiativen wie Foodsharing entstanden, sondern auch neue Geschäftsmodelle. Die App Togoodtogo zum Beispiel vernetzt Restaurants und Cafés, die Essen übrig haben, mit Menschen, die Hunger haben. Die Restaurants geben die Portionen zu einem reduzierten Preis ab, in München sind momentan 200 Betriebe registriert. Es ist eine von vielen Möglichkeiten, mit denen Betriebe vermeiden können, Essen wegzuwerfen. Doch eine politische Strategie fehlt bislang.

Jeder Münchner wirft pro Jahr 82 Kilo Essen weg, schätzen die AWM

"Wir müssen die sozialen Projekte mit dem kommerziellen Handel verbinden", sagt Stadtrat Christian Müller. Er stellt sich Lösungen wie in Berlin vor, Küchen von sozialen Einrichtungen verarbeiten, was in Supermärkten übrig bleibt. Das eigne sich nicht immer, in Kindertagesstätten könne man sich zum Beispiel nicht so stark vom Angebot abhängig machen - aber bei manchen Projekten lohne es sich, darüber nachzudenken.

Jede Münchnerin und jeder Münchner wirft innerhalb eines Jahres etwa 82 Kilogramm Lebensmittel weg, schätzt man bei den Abfallwirtschaftsbetrieben. Das Unternehmen beruft sich auf eine Studie, in der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Menge als Durchschnitt für Deutschland errechnet haben. Stadtrat Christian Müller sagt: "Das werden wohl nicht nur die anderen sein." Die Haushalte werden weniger wegwerfen müssen, auch die Supermärkte. Einer sieht die Pläne allerdings zwiegespalten.

Axel Schweiger steht gerade an einer der vielen Ausgaben der Tafel, er hat nicht viel Zeit am Telefon. Wenn die Supermärkte immer weniger aussortieren, fürchtet er, werde irgendwann weniger für die Menschen übrig bleiben, die bei der Tafel anstehen. Schon heute muss Schweiger immer mehr Betriebe anfahren, um die gleiche Menge an Lebensmitteln zusammenzukriegen. Er wende sich mittlerweile auch an Hersteller, um aussortierte Ware zu bekommen, noch einen Schritt vor den Supermärkten. Auch dort werde schon viel aussortiert, was man noch essen könne.

Viel zu viel.

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