Süddeutsche Zeitung

Lebenshaltungskosten:München - Strafe fürs Leben

Einem Polizisten ist die Stadt zu teuer, er klagt in Karlsruhe.

Helmut Kerscher

In der Fabel ist die Stadtmaus reich, die Landmaus arm. Im wirklichen Leben ist das Leben in den Metropolen erheblich teurer als in der Provinz, so sehr, dass sich "Landmäuse" bei gleichen Einnahmen erheblich mehr leisten können. Das ärgert den Münchner Ersten Kriminalhauptkommissar Peter Steininger so heftig, dass er eine Musterklage wegen einer "amtsangemessenen Besoldung" bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht durchgezogen hat.

Dessen Zweiter Senat nahm sein Verlangen nach einer "Ballungsraumzulage" sehr ernst und befasste sich damit am Dienstag in einer mündlichen Verhandlung mit drei Sachverständigen und mehreren Berufsverbänden. Die Bundesregierung und der Freistaat Bayern lehnten die Verfassungsbeschwerde als unbegründet ab; die Besoldung sei Sache des Gesetzgebers.

Landmäuse gegen Stadtmäuse

Das fürs Frühjahr erwartete Urteil dürfte dem traditionell beamtenfreundlichen Gericht nicht leicht fallen. Es muss entscheiden, ob den Gesetzgeber eine Pflicht zum Ausgleich erhöhter Lebenshaltungskosten trifft - und welche Folgen daraus entstünden; von Mehrkosten in Höhe von einer halben Milliarde Euro ist die Rede.

Für den eloquenten Bevollmächtigten des Kommissars, den Berliner Rechtsprofessor Heinrich Amadeus Wolff, ist die Lösung einfach: Bei der anstehenden Besoldungserhöhung um 2,9 Prozent könnten 250 bis 300 Euro Ballungsraumzulage finanziert werden, indem die Beamten auf dem Land nur 1,9 Prozent bekämen.

Die Rechnung erklärt freilich, warum beispielsweise die großen Gewerkschaften dem Prozess fernblieben: Die "Landmäuse" wollen nicht den Mehrbedarf der "Stadtmäuse" finanzieren. Und dass die seit der Föderalismusreform überwiegend zuständigen Landesparlamente mehr Geld für Zulagen herausrücken werden - dies erwartet kaum jemand.

Ein anderes Modell bot am Dienstag der Beamtenrechtler Matthias Pechstein (Berlin) an: Die Beamten könnten je nach Preisniveau des Wohnsitzes in drei Gruppen eingeteilt werden, wenn der Gesetzgeber seiner "Differenzierungspflicht" gerecht werden wolle. Immerhin habe es der Staat auch beim Wohngeld geschafft, sechs verschiedene Stufen einzuführen.

20 Prozent teurer als eine virtuelle bayerische Stadt

Diese Vorschläge erinnerten stark an das frühere Modell der "Ortszuschläge". Verfassungsrichter Herbert Landau erinnerte deshalb daran, dass der Gesetzgeber sie Ende 1972 nach 100 Jahren abgeschafft habe - fügte aber hinzu, dass mittlerweile gravierende Unterschiede bei Kaufkraft und Lebenshaltungskosten festgestellt worden seien.

Bayern hatte darauf zwischenzeitlich mit einer monatlichen "Ballungsraumzulage" von 75 Euro für niedrige und mittlere Gehälter reagiert. Die allerdings tritt Ende 2009 außer Kraft.

Um wie viel teurer ist nun aber das Leben in München als beispielsweise in Bayreuth, der Heimatstadt des Kommissars, oder im oft zitierten Dinkelsbühl? Der Statistikprofessor Peter Michael von der Lippe (Essen) kam am Dienstag auf etwa 20 Prozent im Vergleich zu einer virtuellen bayerischen Stadt. Die Bundesverfassungsrichter müssen nun entscheiden, ob diese und andere Zahlen eine Zulage erzwingen - oder ob die höheren Lebenshaltungskosten durch die Vorteile einer Metropole kompensiert werden.

Eberhard Stegner von der Gesellschaft für Konsumforschung hob die sozusagen kostenlos angebotene Lebens- und Lagequalität einer Metropole hervor. Beispielsweise sei gerade München sehr bemüht, ein dichtes Netz an Läden zu behalten.

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Quelle:
SZ vom 6.12.2006
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