Lebendige queere Szene:Einzelkämpfer

Seit 20 Jahren sitzt Thomas Niederbühl für die Rosa Liste im Münchner Stadtrat. Bis heute ist er der einzige Vertreter einer schwul-lesbischen Liste in einem deutschen Parlament

Von Martina Scherf

Es ist wahrlich kein Jubiläum wie jedes andere: Seit 20 Jahren sitzt Thomas Niederbühl für die Rosa Liste im Münchner Stadtrat. Als Einzelkämpfer für die Anliegen von Schwulen und Lesben, wenngleich in treuer Fraktionsgemeinschaft mit den Grünen. Und bis heute ist Niederbühl der einzige Vertreter einer schwul-lesbischen Liste in einem deutschen Parlament. Ohne ihn, das lässt sich ohne Übertreibung sagen, sähe die Stadt anders aus. Da darf man schon ein bisschen stolz sein. "Bin ich auch", sagt der 55-jährige Theologe. Dass München heute eine der lebendigsten queeren Szenen der Republik hat, die zum menschenfreundlichen und toleranten Gesicht der Stadt beiträgt, das ist auch sein Verdienst. Doch der Weg dahin war steinig.

Die Haare sind kurz geschnitten und an den Schläfen leicht ergraut, der Silberschmuck am Handgelenk männlich-markant. Seinen jugendlichen Elan hat Thomas Niederbühl aber kein bisschen verloren. "Man lernt mit den Jahren, die Dinge mit mehr Distanz zu betrachten", sagt er mit einem Lächeln. Schließlich trug er in der rot-grün-rosa Koalition ja sogar Regierungsverantwortung. "Aber kämpfen kann ich immer noch." Seine Hartnäckigkeit ist im Stadtrat bekannt. Er kann Anträge über Jahre immer wieder stellen, solange, bis er eine Mehrheit dafür findet. Er ist ein eloquenter und ausgleichender Politiker, dafür wird er allgemein geschätzt.

Dabei ging es anfangs nicht ohne Kampf. Der Theologiestudent kam 1982 nach München, die Aids-Krise war gerade losgebrochen, Schwule wurden zu Sündenböcken gestempelt, und Peter Gauweiler, der Kreisverwaltungsreferent von der CSU, holte zum Rundumschlag aus - mit brachialer Rhetorik und einem bayerischen "Maßnahmenkatalog": Zwangstests auf HIV, keine Aufnahme in den Beamtenstatus für Infizierte, "Homo"-Stempel in ausländischen Pässen. Horst Seehofer sprach von "speziellen Heimen", in denen Kranke interniert werden sollten. Es war eine aufgeheizte Stimmung. Niederbühl erinnert sich: "Man durfte in Schwulenkneipen nicht mal mehr Kondome auslegen, weil das eine Aufforderung zur Unzucht darstellte. Viele sind damals aus München geflüchtet."

Vielleicht hat die harte Münchner Linie aber auch dazu geführt, dass die Stadt heute eine Rosa Liste im Rathaus hat und ihre tolerante Politik von vielen anderen Städten bewundert wird. Auf jeden Fall haben die Achtzigerjahre Thomas Niederbühl politisiert. Dabei wollte er eigentlich Religionslehrer werden. Schließlich hatte er eine katholische Privatschule in Bruchsal besucht. "Ich war naiv und dachte: Was interessiert mich Rom, wenn ich mit meinen Patres so gut ausgekommen bin?" Mit 14 Jahren hatte er sich einem seiner Lehrer anvertraut, und der verurteilte ihn nicht, sondern wurde im Gegenteil zu seinem Vertrauten. "Das hat mir sehr geholfen." Als er sich zwei Jahre später vor seinen Eltern outete, reagierten auch die mit Liebe und Verständnis. Das gab dem Sohn Selbstvertrauen.

Nicht so die Kirche. Nachdem bekannt wurde, dass er sich in München in einem schwul-lesbischen Kulturverein engagierte, war es vorbei mit der Lehrerlaubnis. Hätte er geschwiegen, wie so viele andere, wäre er geduldet worden. Doch Schweigen ist nicht seine Art. "Das war ein harter Schlag für mich", sagt er noch heute, emotional und beruflich. In der Münchner Aids-Hilfe fand er eine neue Aufgabe. Bis heute ist er deren Geschäftsführer. Aus der einstigen Selbsthilfegruppe wurde ein Verein mit 150 Ehrenamtlichen und 60 Hauptamtlichen, die Beratung und Betreuung in allen Lebenslagen anbieten, ein mehrstöckiges Haus mit dem "Regenbogencafé" im Erdgeschoss in der Lindwurmstraße unterhalten und von Stadt und Land unterstützt werden.

Thomas Niederbühl (Rosa Liste, seit 20 Jahren) im Rathaus

Es ist das Verdienst von Thomas Niederbühl, dass München heute eine der lebendigsten queeren Szenen Deutschlands hat.

(Foto: Florian Peljak)

Die Anfangsjahre waren hart, sagt Niederbühl rückblickend: Auf der einen Seite waren da die Freunde, von denen einer nach dem anderen starb. Auf der anderen Seite gab es Diskriminierung. Doch die schweißte die einzelnen Gruppierungen auch zusammen, und "der konservative Niederbühl" sorgte dafür, dass sich keiner in dem lila-rosa Spektrum, von der Drag-Queen bis zum schwulen Schuhplattler, ausgeschlossen fühlte. "Ich habe immer alle eingeladen", sagt er, das macht er bis heute so.

Nach zwei vergeblichen Anläufen zog der schwule Theologe dann 1996 in den Münchner Stadtrat ein. Rosa Liste - unter diesem Namen hatte die Polizei in München bis 1987 bekannte Homosexuelle registriert. Der junge Verein übernahm den Begriff kurzerhand und verkehrte ihn ins Positive. Seither ist er ein Farbtupfer im Rathaus und Niederbühl der bekannteste Schwule Münchens. "Ich war damals gerade 34 und dachte: sechs Jahre Amtszeit, meine Güte." Nach zwanzig Jahren sagt er: "Es macht immer noch Spaß, denn man kann nirgends so viel bewegen wie in der Kommunalpolitik."

Mit den medizinischen Erfolgen in der Aids-Therapie normalisierte sich um die Jahrtausendwende der Umgang mit der Krankheit. Und der rosa Stadtrat sorgte durch sein selbstbewusstes, aber differenziertes Auftreten für einen politischen Dialog auf Augenhöhe. Das zeigte sich nicht nur im Rathaus, sondern auch in der Öffentlichkeit, vor allem beim Christopher Street Day (CSD). Fast 10 000 Lesben, Schwule und Transgender zogen im vergangenen Jahr vom Marienplatz durch die Altstadt, und zehnmal so viele Zuschauer - so viele wie noch nie - säumten die Straßen. Das Regenbogen-Fest zieht längst nicht mehr nur Anhänger der Szene an, es ist Zeichen einer Stadt, die alternative Lebensentwürfe toleriert und schützt. Mit dabei: Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und Bürgermeister Josef Schmid (CSU), der sich zuletzt für die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe aussprach. "Ich schätze Thomas Niederbühl sehr", sagt Schmid, "er ist ein leidenschaftlicher Kämpfer gegen jede Form der Diskriminierung Homosexueller. Der Münchner CSD - ein buntes und wichtiges Aushängeschild unserer Stadt - ist eng mit seiner Person verbunden. Darüber hinaus ist er ein versierter und kulturbegeisterter Großstadtpolitiker."

So viel Anerkennung von einem CSU-Politiker, das hätte sich Niederbühl 1996 an seinem ersten Tag im Stadtrat vermutlich nicht im Traum vorstellen können.

Vor Kurzem haben sie im Stadtrat sogar einen interfraktionellen Antrag für ein Lesbenzentrum eingebracht. "Hätte mir das jemand vor 20 Jahren vorhergesagt, ich hätte ihn glatt für verrückt erklärt", sagt Niederbühl und grinst. In den Anfangsjahren sei die CSU ja gegen jeden Antrag der grün-rosa Fraktion gewesen. Auch mit der SPD habe es gelegentlich Konflikte gegeben. "Aber selbst wenn ich mit Christian Ude heftig stritt, am Ende hat er uns immer unterstützt", sagt Niederbühl.

Mit den Grünen gab es ohnehin keinen Dissens, zumindest was die Politik betraf. Nur die Gepflogenheiten in der Fraktion fand Niederbühl anfangs "seltsam": Dass Mitarbeiter genauso eine Stimme hatten wie die gewählten Stadträte, "war absurd, da konnte man sich ja eine eigene Mehrheit zusammenbasteln". Oder dass jeder Kaffee kochen musste: "Da fand ich mich plötzlich draußen an der Kaffeemaschine, während drinnen die hitzige Diskussion lief." Solche Dinge hat er dann peu à peu abgeschafft, längst wird auch bei der Moderation der Fraktionssitzungen nicht mehr rotiert: Niederbühl moderiert sie seit Jahren selbst. "Es macht mir halt Spaß, Leute zusammenzubringen."

Lebendige queere Szene: In München feiern den Christopher Street Day Oberbürgermeister Reiter (unten links) und Bürgermeister Josef Schmid. Inzwischen eine Selbstverständlichkeit.

In München feiern den Christopher Street Day Oberbürgermeister Reiter (unten links) und Bürgermeister Josef Schmid. Inzwischen eine Selbstverständlichkeit.

(Foto: Robert Haas)

Das gilt auch im Privaten. Seine Wohnung im Glockenbachviertel, in der er seit 25 Jahren mit seinem Mann lebt, hat er damals nur bekommen, weil er die Vorbehalte der Vermieterin mit Charme aus dem Weg geräumt hat. Der Goldschmied Heinz Bänziger ist seit 26 Jahren an seiner Seite, er ist der Ruhepol in der Beziehung, sagt Niederbühl, er kümmert sich um den Haushalt und sorgt dafür, dass der notorische Stadtmensch auch mal raus in die Natur kommt. "Heinz ist das Beste, was mir passieren konnte", sagt der Politiker, "gerade, wenn man so viel in der Öffentlichkeit steht, braucht man jemanden, bei dem man einfach so sein darf, wie man ist." 2001 haben die beiden ihre Lebenspartnerschaft eintragen lassen, als eines der ersten schwulen Paare in München. Die Ringe hat selbstverständlich Bänziger geschmiedet, zur Hochzeit kam die ganze Familie.

Ohne Arbeit kann sich Niederbühl sein Leben nicht vorstellen. Wenn es eines Tages doch so weit kommen sollte, dass er als Rentner durch seine Stadt spaziert, dann, sagt er, werde es eine Genugtuung sein, vor dem blauen Aids-Memorial am Sendlinger Tor stehen zu bleiben, oder vor dem Mahnmal zum Gedenken an die verfolgten Schwulen und Lesben während der NS-Zeit, das demnächst in der Dult-Straße am Oberanger entstehen wird. Beides hat er im Stadtrat durchgesetzt, mit der ihm eigenen Beharrlichkeit.

Es sind nicht nur Erinnerungsorte. Sondern auch Zeichen für die Zukunft. Vorurteile gibt es noch immer, auch nach dem Outing von Guido Westerwelle, Klaus Wowereit, Anne Will oder Thomas Hitzlsperger. "Noch immer trauen sich Schwule und noch mehr Lesben erst, sich zu outen, wenn sie die soziale Hierarchie schon sehr weit hoch gekommen sind", sagt Niederbühl. Sogar beim fröhlichen Christopher Street Day im vorigen Jahr wurde am Ende ein Mann in Frauenkleidern zusammengeschlagen.

Die Zuwanderung bringt neue Konflikte. Die grün-rosa Fraktion drängt darauf, dass alleinstehende Frauen, Mütter und Homosexuelle in den Asylunterkünften besonderen Schutz erhalten. Denn gerade unter muslimischen Zuwanderern sind Vorurteile gegen Schwule stark. "Ich bin von Natur aus Optimist", sagt Niederbühl, "und denke, dass der Rechtspopulismus nicht mehrheitsfähig werden wird." Er glaubt, dass München so weltoffen bleibt wie es ist. "Aber von alleine kommt das nicht. Es braucht uns, gerade jetzt."

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