Leben im Alter:Fremd in der Heimat

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Der Anteil der Migranten auch in der alten Bevölkerung wächst - was bedeutet das für die Zukunft? Ein Gespräch.

Martin Langeder

Um Migranten im Seniorenalter besser beraten zu können, gründeten Ausländerbeirat und Seniorenbeirat der Stadt München 2003 das Internationale Seniorenforum. Im Vorstand des Forums engagieren sich Dusan Radovic aus Ex-Jugoslawien und die gebürtige Türkin Mürüvvet Özmenli.

Mürüvvet Özmenli und Dusan Radovic. (Foto: Foto: Stephan Rumpf)

SZ: Etwa zehn Prozent der Münchner ab 65 Jahre sind Migranten. Wodurch unterscheiden sie sich von den anderen Senioren in dieser Stadt?

Dusan Radovic: Diese erste Generation der Migranten bekommt nicht so viel Rente wie diejenigen deutschen Rentner, die ihr ganzes Leben hier gearbeitet haben. Außerdem gibt es ein Problem mit der deutschen Sprache. Die meisten Gastarbeiter, die Ende der sechziger Jahre gekommen sind, haben am Bau oder in der Produktion bei Siemens oder BMW gearbeitet - und brauchten dafür nicht Deutsch zu lernen. Dazu kommt, dass viele wegen ihrer schlechten Jobs mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen haben.

SZ: Gibt es Unterschiede zwischen den Nationalitäten?

Radovic: Nein, die Probleme sind mehr oder weniger gleich. Abgesehen davon, dass EU-Bürger mehr Rechte haben.

Mürüvvet Özmenli: Ja, zum Beispiel beim Pflegegeld. Wenn ein Türke krank ist und für sechs Monate in die Türkei will, hat er dort keinen Anspruch auf Pflegegeld. Ein Spanier oder Italiener kann das Pflegegeld auch in seinem Heimatland beziehen.

SZ: Mit welchen Problemen kommen denn die Menschen in Ihre Beratungsstunden?

Radovic: Das sind viele Dinge. Sie brauchen Hilfe beim Briefwechsel mit Behörden, suchen Kontakt zu Ärzten oder kennen sich mit dem Apothekenrezept nicht aus.

Özmenli: Manche bringen auch Reklame mit, damit ich ihnen übersetze, was es im Angebot gibt.

SZ: Viele Migranten haben ursprünglich nicht geplant, in Deutschland zu bleiben. Warum sind dann doch so viele hiergeblieben?

Radovic: Nehmen Sie mich als Beispiel! Ich habe eine Deutsche geheiratet und mittlerweile meine Familie und meinen Freundeskreis hier. Mittlerweile fühle ich mich in meiner Heimat in Ex-Jugoslawien fast fremd. Das bessere Gesundheitsystem in Deutschland ist für viele ebenfalls ein Grund, hier zu bleiben. Etwa siebzig Prozent der Migranten bleiben in der Bundesrepublik. Aber auch von denjenigen, die in ihre Heimat zurückgehen, haben viele noch immer ein Konto für ihre Rente hier. Ich schätze, dass nur zehn Prozent nach ihrer Pensionierung ganz weg sind.

SZ: Fühlen sich diese alten Migranten Ihrer Meinung nach in die deutsche Gesellschaft integriert oder sind sie noch immer Wanderer zwischen alter und neuer Heimat?

Radovic: Vor allem die erste Generation ist noch stark an ihre Landsleute gebunden, auch wegen der Sprache. Wir wollen, dass sie sich auch in Deutschland vollkommen zugehörig fühlen. Deswegen können sie sich in den Alten- und Servicezentren in mittlerweile 33 Gruppen treffen. Das ist meiner Meinung nach ein wichtiger Schritt zur Integration.

Özmenli: Leider haben die deutschen Senioren kein Interesse, ältere Migranten kennenzulernen.

Radovic: Das ist jetzt zu stark gesagt.

Özmenli: Was heißt zu stark gesagt? Das ist die Wahrheit.

SZ: Woran machen Sie das fest?

Özmenli: Zum Beispiel im Alten- und Servicezentrum Au. Wenn wir ein Fest machen, dann sitzen dort nur die Migranten zusammen. Die deutschen Senioren haben Scheu, die älteren Türken, Italiener oder Griechen kennenzulernen.

Radovic: Also, ich erlebe es anders. Ich komme gerade von einem Seniorenstammtisch mit lauter Deutschen - und ich war der einzige Ausländer.

SZ: Wünschen Sie sich zusätzliche Angebote in den Alten- und Servicezentren?

Özmenli: Ja, sie sollten muttersprachliches Personal einstellen. Und zwar nach Schwerpunkten. Da einen Griechen, dort einen Türken und jemand aus Ex-Jugoslawien. Die Menschen brauchen Vertrauen, und das entsteht erst, wenn auch hauptamtliche Mitarbeiter die Muttersprache sprechen und die kulturellen Hintergründe kennen.

SZ: Die Gastarbeiter, die in den sechziger Jahren gekommen sind, bilden eine ganz neue Zielgruppe für die Altenheime. Sind die schon darauf vorbereitet?

Radovic: Es gibt bei den Altenheimen im Prinzip keinen Unterschied zwischen Migranten und deutschen Senioren. Da aber die Plätze nicht billig sind, reicht die Rente oft nicht. Das Thema wird erst in ein paar Jahren relevant. Im Durchschnitt sind die Bewohner der Heime 83 Jahre alt - und so alt sind die Migranten noch nicht.

Özmenli: Ich habe mit meinen türkischen Landsleuten darüber gesprochen, was sie sich wünschen. Sie möchten gerne türkisches Essen, türkischsprachiges Personal und Gebetsräume. Ich schätze, dass von den etwa 10.000 türkischen Senioren in München derzeit nur 30 bis 40 in Pflegeheimen leben.

Radovic: Ich habe festgestellt, dass Heime in Serbien und Montenegro Anzeigen schalten, in denen sie um Leute aus der Diaspora werben.

SZ: Wie steht München im Vergleich zu anderen deutschen Städten da?

Radovic: Ich glaube, dass wir vorne dabei sind. Die Stadt macht sehr viel für die älteren Menschen, und wir finden mit unseren Anliegen überall offene Türen.

SZ: Wie stellen Sie sich denn die Situation von Seniorenmigranten in zehn Jahren vor?

Özmenli: In den nächsten Jahren werden wir bestimmt viel mehr mit Pflegeheimen zu tun haben. Auch wenn zum Beispiel türkische Migranten eigentlich bis zum Schluss bei ihrer Familie bleiben. In der Türkei ist das älteste Familienmitglied das Oberhaupt und sehr angesehen.

SZ: Ist das in Deutschland auch noch so?

Özmenli: Hier ist es etwas anders geworden. Die zweite und dritte Generation haben die deutsche Denkweise übernommen. Immer öfter tauchen Konflikte zwischen den Großeltern und ihren Kindern und Enkelkindern auf, zum Beispiel bei der Erziehung.

© SZ vom 23.10.2008/af - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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