Süddeutsche Zeitung

Lange Nacht der Hausarbeiten:Gemeinsam auf den Psychotrip

Lesezeit: 2 min

Von Axinja Weyrauch

Ulrich Detges kennt das Problem noch aus seiner eigenen Studienzeit: "Ich erinnere mich, wie ich manchmal an einem Vormittag nur einen Satz aufs Papier brachte, um am Nachmittag zu merken, dass der Satz keinen Sinn ergibt." Akademisches Schreiben sei für ihn manchmal wie ein Psychotrip. Detges hat es dennoch weit geschafft: Er ist Professor für Romanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) und dort auch Studiendekan an der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften. An diesem Abend wollen Detges und seine Kollegen Studenten von heute weiterhelfen beim ewigen Kampf mit den Hausarbeiten und all den Ablenkungen, die einen davon abhalten: Sei es der Nebenjob, der Kurztrip zu alten Freunden nach Wien - oder das Fahrrad putzen.

Das Schreibzentrum der Fakultät veranstaltet deshalb eine "Lange Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten". An anderen Unis in Deutschland gibt es das schon länger, an der LMU fakultätsübergreifend zum ersten Mal. Fast 300 Studierende haben sich für die kostenlose Veranstaltung angemeldet, mit so viel Andrang haben die Organisatoren nicht gerechnet. Sie mussten sogar weitere Hörsäle dazu buchen.

Produktiv schreiben mit Kaffee und Pizza

"Vielleicht ist das hier die Möglichkeit für Studierende, einen Startpunkt für ihre Arbeit zu finden", sagt Bärbel Harju vom Schreibzentrum. Viele Studenten hätten noch nicht ihre individuelle Arbeitsweise gefunden. Das wiederum macht anfällig für Ablenkungen.

Sabrina zum Beispiel ist auf der Suche nach dem richtigen Vorgehen, sie studiert Romanistik. Normalerweise ist sie der Bibliothekstyp, "weil man da nicht auf Facebook geht oder anfängt, die Wohnung zu putzen. Außerdem sind dort die Bücher und die Atmosphäre stimmt: Wenn andere lernen, fühle ich mich schlecht, wenn ich nicht lerne". Ein Problem in der Bibliothek sei aber, dass man dort nur Wasser trinken darf. Das ist bei der langen Nacht der Hausarbeiten anders. An der Wand steht Versorgung für die sieben Stunden: Obst, Kaffee, Wasser und Saft, Salzstangen. Und als Bärbel Harju in ihrer Einführung sagt, dass eine Pizza geliefert wird, klatschen alle. Auch Britta ist hier, um sich mit anderen auszutauschen "Das fehlt in den Bibliotheken", sagt die Politikwissenschafts-Studentin.

Jetzt muss es nur noch losgehen, endlich. Doch die Probleme sind immer noch da: Die Bücher sind zu dick, die Gliederung der Hausarbeit zwei Minuten nach dem Erstellen schon wieder unlogisch und das Thema auf einmal überhaupt nicht mehr relevant.

Deshalb werden die Studenten von Schreibcoaches betreut, die bei konkreten Problemen beraten, aber auch Fragen beantworten wie: "Was ist nochmal der Unterschied zwischen Quelle und Literatur?" Susanne Mader arbeitet für das Writing Center der Amerikanistik. "Die Fragen sind komplett unterschiedlich, weil die Leute auch in komplett unterschiedlichen Stadien ihrer Arbeiten sind." Von Fragen zu den letzten Feinheiten bei der Überarbeitung bis hin zu grundsätzlichen Erklärungen über den Sinn einer Forschungsfrage sei schon alles dabei gewesen. Vielen helfe es aber schon, wenn sie ihr Thema einfach mal knapp zusammenfassen müssen.

Produktiver als zu Hause

Zwischendrin werden Workshops etwa über richtiges Zitieren oder Strategien gegen "Aufschieberitis" angeboten. Aber auch etwas weniger Ernstes wie Lockerungsübungen oder Spaziergänge durch den Englischen Garten.

Unter dem Dach des Lehrturms am Professor-Huber-Platz gibt es das Schreibcafé mit etwa 50 Plätzen. Dazwischen stehen unzählige Kaffeebecher und leere Pizzakartons. Hier darf geredet werden, sowohl mit den Schreibcoaches, als auch an den Gruppentischen. Gemeinsam lassen sich Thesen, Forschungsfragen und Leitfragen oft einfacher formulieren. Die Stimmung ist produktiv, aber gesellig. Neue Bekanntschaften werden geschlossen, Studenten völlig unterschiedlicher Fachrichtungen erzählen sich von ihren Problemen bei der Recherche oder der Strukturierung ihrer Arbeit.

"Man wird hier schon von den anderen abgelenkt, trotzdem hab ich hier einiges hingekriegt", sagt Lehramtsstudentin Tanja. "Besser als zu Hause." Für sie kam die Lange Nacht genau zum richtigen Zeitpunkt: Ihre Hausarbeit muss am Wochenende fertig werden.

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