Drei Monate vor der Landtagswahl:Es scheint, als flöge München der CSU um die Ohren

Abendlicht über München

Über München ziehen dunkle Wolken auf.

(Foto: dpa)
  • Bei der "Ausgehetzt"-Demonstration in München gegen die als ausgrenzend empfundene CSU-Politik hoffen die Veranstalter auf mindestens 20 000 Teilnehmer.
  • München ist vor der Landtagswahl im Oktober so politisch wie lange nicht - hier treffen unterschiedliche Bewegungen aufeinander.
  • Gleichzeitig kommt der Landeshauptstadt eine Schlüsselrolle im Wahlkampf zu - immerhin wohnt hier fast jeder zehnte bayerische Wähler.

Von Dominik Hutter

Gut möglich, dass am Sonntagmorgen viele Augenpaare prüfend gen Himmel schauen. Die einen hoffend, die anderen bangend - je nach politischer Einstellung. Denn oft hängt die Zahl der Demo-Teilnehmer ganz erheblich vom Wetter ab, und die Vorhersage ist bislang eher durchwachsen. Die Veranstalter der "Ausgehetzt"-Kundgebung, bei der es gegen die als ausgrenzend und nationalistisch empfundene Politik der CSU-Granden Horst Seehofer, Markus Söder und Alexander Dobrindt gehen soll, hoffen auf 20 000 Teilnehmer oder mehr - keine ersprießliche Aussicht für die laut Umfragen ohnehin angeschlagene Regierungspartei. Erst im Mai haben auf Münchner Straßen 30 000 Menschen gegen das neue Polizeiaufgabengesetz demonstriert, auch das ein CSU-Projekt. Die Großwetterlage in der Stadt verdüstert sich zusehends für die Langzeit-Regierenden in der Staatskanzlei am Hofgarten. Der CSU, so scheint es, fliegt ihre Kapitale um die Ohren.

Drei Monate vor der Landtagswahl ist die politische Auseinandersetzung in München so heftig wie seit Jahrzehnten nicht mehr: Initiativen unterschiedlichster Ausrichtungen schließen sich gegen die Regierung zusammen und richten sich schon einmal auf ein längeres gemeinsames Engagement ein. In einer Art Kulturkampf beharken sich Münchner Theatermacher mit der Rathaus-CSU. Am Christopher Street Day wird ein CSU-Wagen blockiert. Aus den Kirchen kommen ungewohnt CSU-kritische Töne. Und nun schon wieder eine Demo, die sich gegen den Kern aktueller CSU-Politik richtet. Kein Wunder, dass der Tonfall schärfer geworden ist, in München ballt sich derzeit der gesamte Widerstand gegen den unübersehbaren Rechtsruck. Aus ganz Bayern reisen Aktivisten an den Regierungssitz, um zu protestieren.

Über diese Entwicklung kann man nicht mehr hinwegsehen - weder in der CSU noch in der Opposition. Nahezu jeder zehnte bayerische Wähler wohnt im Stadtgebiet München. Die Landeshauptstadt verfügt über neun Stimmkreise (in Nürnberg sind es nur vier), der Bezirk Oberbayern stellt 61 der 180 Landtagsabgeordneten. Und in der einzigen Millionenstadt Bayerns kandidieren diesmal auffallend viele Politiker, die zur Führungsriege ihrer Partei zählen. Die beiden Spitzenkandidaten der Grünen, Katharina Schulze und Ludwig Hartmann, haben ihren Stimmkreis hier, ebenso der Linken-Spitzenkandidat Ates Gürpinar, CSU-Generalsekretär Markus Blume, Medien- und Europaminister Georg Eisenreich (CSU) sowie der SPD-Fraktionsvorsitzende Markus Rinderspacher. Natascha Kohnen, die Spitzenkandidatin der Sozialdemokraten, wohnt wenige hundert Meter von der Stadtgrenze entfernt im Landkreis München. Die Ballung könnte zufällig sein, ist aber durchaus auch in der Politik schon aufgefallen.

Nicht zuletzt die Zahl der Einwohner mache München zu einer Top-Adresse im Wahlkampf, sagt Gürpinar. Hartmann schätzt vor allem die Weltoffenheit und die liberal-fortschrittliche Prägung, die auch auf die rot-grüne Rathauskoalition zurückgehe, die fast 25 Jahre lang regierte. Bei gesellschaftlichen Entwicklungen nehme die Großstadt oft eine Vorreiterrolle ein, sagt Hartmann. Seine Kollegin Schulze sieht in München einen "Kristallisationspunkt", an dem unterschiedliche Bewegungen aufeinandertreffen.

Allerdings sind auch die Münchner Wahlergebnisse normalerweise so untypisch für Bayern, dass sie für die CSU wie für die Oppositionsparteien eine besondere Herausforderung darstellen. Die CSU, 2013 landesweit bei 47,7 Prozent, kam in München auf nur 36,7 Prozent. Oppositionsparteien, vor allem aus dem Mitte-Links-Spektrum, sind in München traditionell deutlich stärker als im Landesschnitt. Die SPD erreichte vor fünf Jahren 32,1 Prozent (bayernweit 20,6), die Grünen 12,1 (8,6) Prozent. Für Fraktionschef Rinderspacher ist München der "liberale Mittelpunkt Bayerns". Hier wurde der Freistaat Bayern ausgerufen, hier sei das freiheitliche Gefühl zu Hause. Auch die Linken setzen auf Rückenwind aus der Stadt, nicht zuletzt über ihr urban geprägtes Themenspektrum, bei dem etwa Mieten und das soziale Miteinander eine große Rolle spielen. Für Gürpinar ist klar: Um landesweit die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden, müssen die Linken in München mindestens sieben Prozent erkämpfen.

Rinderspacher spricht von "Schicksalswahl"

Seit die Grünen bei der jüngsten Bundestagswahl zur Nummer zwei in München avanciert sind, machen sie sich ernsthafte Hoffnungen auf ihr erstes Direktmandat. Als aussichtsreichster Anwärter dafür gilt Hartmann selbst, der im neuen Stimmkreis München-Mitte antritt. Sicherheitshalber ist der Großraum München aber auch auf der Oberbayern-Liste der Grünen auf aussichtsreichen Positionen vertreten. Das einzige SPD-Direktmandat Bayerns hat derzeit Ruth Waldmann in Milbertshofen inne. Sämtliche anderen Stimmkreis sind trotzdem in CSU-Hand - was nicht zuletzt daran liegt, dass sich die Stimmen der tendenziell eher rot-grün orientierten Stadtgesellschaft auf zwei Parteien verteilen und der CSU-Direktkandidat oft der lachende Dritte ist. Dieser Effekt gilt auch im neuen Stimmkreis Mitte als nicht unwahrscheinlich. Umgekehrt könnten der CSU diesmal Stimmenverluste sowohl in Richtung FDP als auch zur AfD drohen.

München, so CSU-Generalsekretär Blume, ist für seine Partei kein einfaches Pflaster. Zumal in keinem anderen Teil Bayerns die Fluktuation so hoch ist wie in der Boomtown an der Isar. Das macht den Wähler nicht nur schwerer einzuschätzen als in weniger umzugsfreudigen Regionen. Es sorgt laut Blume auch dafür, dass man im Wahlkampf nicht mit Erfolgen aus der Vergangenheit punkten kann. Die seien vielen gar nicht bekannt, da sie ja erst zugezogen seien. Andererseits ist die CSU auch in München stärkste Partei.

Bei vielen Landtagskandidaten gilt München auch wegen der Besonderheiten des bayerischen Wahlrechts als attraktiver Stimmenmagnet. Denn anders als bei der Bundestagswahl spielen die Erststimmen auch für die über die Liste zu besetzenden Mandate eine wichtige Rolle, Erst- und Zweitstimmen werden zusammengezählt. Das macht es vor allem Großstadtkandidaten der Opposition leichter, in den Landtag zu kommen - ihr Stimmenpolster ist wegen der politischen Grundstimmung in der Stadt meist höher als das der Kollegen vom Land. Dazu kommt die überdurchschnittliche Bekanntheit der Münchner Kandidaten auf der Liste, gepaart mit dem doch ganz erheblichen Stimmenpotenzial der neun Münchner Stimmkreise. Davon profitieren alle Parteien.

Politisch wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr geht es in München zu - das wird auch durch die steigenden Mitgliederzahlen in den Parteien belegt. Kaum ein Politiker vergisst zu erwähnen, dass im Oktober eine ganz besondere Wahl bevorsteht. Eine Richtungswahl, Rinderspacher spricht gar von einer "Schicksalswahl". Die CSU muss ihren Generationswechsel hin zu Markus Söder manifestieren, die jetzigen Mehrheitsverhältnisse hat schließlich noch Horst Seehofer erzielt. Dabei geht es ihr nicht zuletzt um ein deutliches Bekenntnis zu den eigenen Traditionen, zu mehr Sicherheit und Ordnung sowie schärfer überwachten Grenzen. Auch die Opposition propagiert eine Grundsatzentscheidung über die gesellschaftspolitische Ausrichtung Bayerns. Rinderspacher spricht von der "wichtigsten Wahl seit den Vierziger- und Fünfzigerjahren", jetzt entscheide sich der Freistaat zwischen einem freiheitlich-gerechten Gesellschaftsmodell und einem "orbánistisch-autoritär rückwärtsgewandten" Denken. Schulze setzt auch auf ein Bekenntnis zu Europa. Man dürfe sich das Erreichte nicht kaputtmachen lassen.

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