Süddeutsche Zeitung

Landtagswahl am 14. Oktober:Mit ganz langem Anlauf

Sie bewarb sich schon für den Bundestag und ums Chefbüro im Münchner Rathaus. Jetzt will Brigitte Wolf mit ihrer Partei in den Landtag einziehen, denn "das hat Söder verdient". Traditionell sind die Chancen für eine Politikerin der Linken in Bayern aber eher überschaubar

Von Anna Hoben

Die Kandidatin will sich am Bordeauxplatz treffen. Sie wohnt nur wenige Meter entfernt, mitten im durchgentrifizierten Haidhausen, in einem Haus der Genossenschaft Wogeno, seit 20 Jahren. Ein Mann grüßt im Vorbeigehen, ein Nachbar, das wird in der nächsten Stunde noch häufiger vorkommen, man kennt sich im Viertel. "Und sonst?", fragt der Mann. "Ach ja", sagt Wolf. "Ihr seid ja schon bei vier Prozent", sagt der Nachbar. "Wir waren auch schon bei fünf", entgegnet sie. "Wir richten alles darauf aus, am 14. Oktober eine riesige Wahlparty im Eine-Welt-Haus zu feiern."

Seit 16 Jahren ist Brigitte Wolf Stadträtin in München, zwei Sitze hat ihre Partei im kommunalen Parlament. Die 55-Jährige gilt als moderat und sachorientiert, sie ist bekannt für ihre deutlichen Worte, für die sie das Ansehen der Anderen genießt. Auch außerhalb des Stadtrats will sie der Linken zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen. Deshalb kandidiert sie, wann immer für etwas zu kandidieren ist. Wolf trat als Direktkandidatin bei der Landtagswahl 2013 und der Bundestagswahl 2017 an, 2014 bewarb sie sich um das Amt der Oberbürgermeisterin. Die Erfolgsaussichten: jedes Mal äußerst überschaubar.

Im Jahr 2008 war die Linke zum ersten Mal angetreten, um den Einzug ins bayerische Landesparlament zu schaffen - und mit 4,4 Prozent noch eher knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. 2013 ging es mit 2,1 Prozent krachend daneben. Welches Ergebnis Brigitte Wolf sich wünscht für den 14. Oktober? "Das Ziel ist, in den Landtag einzuziehen", sagt sie und schiebt nach kurzer Pause nach: "5,001 Prozent reichen mir schon". Auf der Oberbayern-Liste steht sie hinter dem Spitzenduo Ates Gürpinar und Eva Bulling-Schröter, die bis 2017 im Bundestag saß, an dritter Stelle. "Ich vermute, dass ich dann drin wäre", sagt sie, es komme aber auf die Ergebnisse in den anderen Bezirken an. Ein "gutes Gespann" seien die beiden, sie selber könnte die kommunale Sicht beisteuern.

Sie setzt sich auf eine der grünen Bänke am Bordeauxplatz, "selbst die Bänke sind sauber in München", sagt sie und blinzelt in die Sonne. Die Fünf-Prozent-Umfrage habe ihrer Partei in Bayern einen Schub gegeben, auch das Interesse der Leute sei gestiegen. Ob sie manchmal dennoch neidisch gen Osten blicke, wo die Linke eine ganz andere Bedeutung hat als im Süden Deutschlands? "Was heißt da neidisch", sagt Wolf, "in Sachsen haben die ja auch brutale Aufgaben." Dort hat die AfD die Linke in Umfragen längst überholt.

Warum tut man das? Wieder und wieder für eine kleine Partei antreten, mit sehr geringen Chancen? Die knappe Freizeit für den Wahlkampf opfern? Sie sei im vergangenen Jahr natürlich nicht mit dem Ziel angetreten, ein Mandat für den Bundestag zu gewinnen, sagt Wolf. Stattdessen habe sie die Kandidatur dazu nutzen wollen, selbst bekannter zu werden und das Interesse an der Partei zu steigern. Die OB-Kandidatur sei allerdings durchaus nicht nur eine Pro-forma-Aktion gewesen, "ich hätte schon einiges im Angebot gehabt", sagt sie. Die Arbeit im Stadtrat mache ihr immer noch Spaß, sie habe gelernt, "was alles ineinandergreifen muss, damit so eine Stadt funktioniert", und dass es die "schnellen, leichten Lösungen selten gibt". Sie ist in Ecken gekommen, "wo ich sonst nie hingegangen wäre", sie schätzt es, zu jedem Thema reden zu können. "Auch mal länger, wenn mir genug einfällt" - anders als im Landtag, wo die Redezeit in Minuten zugewiesen wird und "die eigentliche Arbeit woanders passiert". Trotzdem hätte sie jetzt Lust auf etwas Neues, auf Landtag. Darauf, ihre Themen und Sichtweisen in die Öffentlichkeit zu bringen, etwa mit kleinen und großen Anfragen. Und sie findet: Die Linke im Landtag, "das hat Söder verdient".

Geboren und aufgewachsen in Augsburg, studierte Brigitte Wolf an der Technischen Universität in München Informatik, arbeitet als Software-Entwicklerin in einem kleineren Unternehmen. Schon im Studium engagierte sie sich politisch: in der Anti-Atombewegung, der Friedensbewegung und in der Kurdistan-Solidarität. Damals merkte sie, dass es nicht verkehrt ist, "an Themen strukturierter ranzugehen". 1995 trat sie in die PDS ein, 2002 holte sie bei der Kommunalwahl "das erste und einzige Mandat für die PDS in Bayern". Themen wie Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit hätten sie "immer schon verfolgt". Wie sich zurzeit "die Koordinaten nach rechts verschieben", mache ihr Angst, zuletzt etwa Seehofers Spruch von der Migration als "Mutter aller Probleme". Man müsse sich nur in München umschauen, "die Stadt beruht auf Migration".

Das Thema Wohnen ist bei dieser Wahl auch für die Linke zentral. Die Stadt tue nun viel gegen die Wohnungsnot und Mietpreisentwicklung, "aber es ist einfach zu spät". Und für die entscheidenden Dinge "müsste sich in Berlin grundlegend etwas ändern". Nicht weit vom Bordeauxplatz hat die Straßenzeitung Biss ihre Räume. Auf einem Plakat ist ein Mann mit einem Schneckenhaus auf dem Rücken zu sehen, "nicht jeder hat von Natur aus ein Zuhause", steht da. Weil das so ist, gerade in München, hat Wolf in ihrer Wohnung ein Zimmer untervermietet, "an jemanden, der arbeitet und wenig Geld verdient".

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Quelle:
SZ vom 25.09.2018
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