Zwischenzeugnisse:"Viele hatten Schwierigkeiten, sich an den Notendruck zu gewöhnen"

Zwischenzeugnisse: An diesem Freitag erhalten rund eine Million Schüler in Bayern ihre Zwischenzeugnisse.

An diesem Freitag erhalten rund eine Million Schüler in Bayern ihre Zwischenzeugnisse.

(Foto: Guido Kirchner/dpa)

Nach zwei Jahren Pandemie sind gerade bei schwächeren Schülern Wissenslücken entstanden. Direktor Markus Martini und Beratungslehrerin Laetitia Löchner vom Ismaninger Gymnasium wissen Rat, wie Kinder und ihre Eltern damit umgehen sollten.

Diesen Freitag kommt für die einen die Erleichterung, für die anderen gibt es ein böses Erwachen: Rund eine Million Schüler und Schülerinnen in Bayern erhalten ihre Zwischenzeugnisse, das als Orientierung über ihre Leistungen des vergangenen Halbjahres dienen soll. Nach zwei Jahren Pandemie mit Phasen von Wechselunterricht und Homeschooling sind Wissenslücken entstanden, die gerade für Schüler aus Übertrittsklassen gravierende Folgen haben können, wie Beratungslehrerin Laetitia Löchner und Schulleiter Markus Martini vom Ismaninger Gymnasium wissen.

SZ: Wird sich der versäumte Stoff in den Noten der Zwischenzeugnisse widerspiegeln?

Markus Martini: Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Die Bildungsschere, die man schon immer beklagt hat, ist auf jeden Fall weiter auseinandergegangen. Das merkt man an den einzelnen Leistungserhebungen: Es gibt zwar gute Schüler, die davon profitiert haben, dass sie in ihrem eigenen Tempo lernen konnten, aber etliche schwache Schüler haben jetzt noch größere Lücken. Die Schnitte sind zwar so wie früher, aber die Verteilung ist anders. Während früher das Mittelfeld stark repräsentiert war, gibt es jetzt mehr sehr gute Noten, dafür aber leider derzeit auch mehr schlechte.

Laetitia Löchner: Wir haben teilweise Schüler, die fünfmal die Note fünf im Zwischenzeugnis haben, bei denen ist der Durchschnitt gravierend schlechter geworden. Ich glaube aber tatsächlich, dass dafür auch eine Ursache ist, dass wir unter normalen Bedingungen schneller reagieren und sagen konnten: Wäre es nicht besser, in dem Fall freiwillig zurückzutreten?

Viele Schüler sind in der Corona-Pandemie ja einfach in die nächste Klasse vorgerückt.

Martini: Das ist ein großes Dilemma für Lehrkräfte: Wie streng sollte man in der Distanzphase oder kurz danach gegenüber den Schülern sein? Auf der einen Seite muss man ihnen zugestehen, dass es für sie nicht ganz leicht war und sie deshalb eher vorrücken sollen. Manchen hätte es aber vielleicht ganz gut getan, gleich zu sagen, da mache ich jetzt noch einmal eine Runde.

Zwischenzeugnisse: "Manchen hätte es ganz gut getan, gleich zu sagen, da mache ich jetzt noch einmal eine Runde": Schulleiter Markus Martini.

"Manchen hätte es ganz gut getan, gleich zu sagen, da mache ich jetzt noch einmal eine Runde": Schulleiter Markus Martini.

(Foto: privat)

Müssen Sie als Beratungslehrerin vermehrt solche Problemgespräche über die Wiederholung einer Jahrgangsstufe führen?

Löchner: Ich habe tatsächlich mit der Corona-Pandemie angefangen als Beratungslehrerin, deshalb weiß ich nicht, wie es davor war. Aber ich habe zurzeit schon viele solcher Gespräche. Man muss außerdem die psychische Dimension betrachten. Natürlich macht es etwas mit einem Kind, wenn es zwei Jahre älter ist, als seine Mitschüler, weil es zweimal wiederholt hat.

Hat sich denn der Leistungsdruck im Präsenzunterricht erhöht, verglichen mit der Zeit des Homeschoolings?

Löchner: Viele Schüler hatten schon große Schwierigkeiten, sich wieder an den Notendruck zu gewöhnen. Man sieht, dass auch die Zahl der Prüfungsangst-Fälle gestiegen ist. Die Schüler wollen außerdem viel stärker wissen: Welche Noten habe ich denn jetzt?

Wie versuchen Sie diese Belastung im Beratungsgespräch einzudämmen?

Löchner: Also erst einmal ist wichtig, sich Zeit zu nehmen für die Schüler und mit ihnen zu sprechen. Ganz oft hilft es, einen separaten Ansprechpartner zu haben, der nicht die Eltern oder die Lehrer sind. Es ist aber sehr individuell. Ganz viel liegt daran, dass die Schüler ein schlechtes Gewissen haben oder sich der noch zu lernende Stoff wie ein riesengroßer Berg anfühlt. Da muss man schrittweise arbeiten: Lernmethoden, wie strukturiere ich meinen Tag, Tipps gegen Prüfungsangst. Außerdem muss man manchen Schülern sagen: Es gibt auch Alternativmöglichkeiten. Das Gymnasium ist nicht der einzige Weg zum Abitur. Natürlich beinhaltet das auch viele Gespräche mit den Eltern.

Zwischenzeugnisse: "Die Erwartungen sind nicht gestiegen, eher im Gegenteil": Beratungslehrerin Laetitia Löchner.

"Die Erwartungen sind nicht gestiegen, eher im Gegenteil": Beratungslehrerin Laetitia Löchner.

(Foto: privat)

Was raten Sie Eltern konkret in solchen Situationen?

Löchner: Druck rausnehmen. Es ist keine Schande, wenn man wiederholt. Es ist keine Schande, wenn das Kind auf eine andere Schulart wechselt. Im Gegenteil: Für die Schüler sind Erfolgserlebnisse extrem wichtig, und da ist es am wichtigsten, dass die Eltern sie positiv unterstützen, auch wenn es um einen Schulwechsel gehen sollte.

Denken Sie, dass der Erwartungshorizont der Lehrer und die Lernkapazität der Schüler übereinstimmen?

Löchner: Natürlich ist uns allen bewusst, dass die Schüler Lücken haben. Aber es ist auch klar, dass wir nicht nur noch Wiederholungen und keinen neuen Stoff anbieten können. Was machen wir dann mit den Schülern, die super mitgemacht und gelernt haben? Die langweilen sich dann. Aber man muss schon sagen, dass es den Schülern, die große Lücken aufgebaut haben, bestimmt so vorkommt, als ob die Erwartungen sehr hoch wären. Ich würde sagen, dass die Erwartungen nicht gestiegen sind, eher im Gegenteil.

Martini: Ein Großteil der Schüler nimmt auch das Zusatzangebot wahr. Das Großartigste ist das Projekt "Schüler helfen Schülern", das staatlich finanziert wird. Ältere Schüler helfen jüngeren Schülern, ihre Lernrückstände für die Prüfungen aufzuholen. Das läuft gut und da sind die älteren Schüler sehr motiviert. Außerdem haben die Schüler auch die Zusatzkurse und die Sommerschule bereitwillig angenommen.

Werden die Prüfungen denn gnädiger ausfallen?

Martini: Ja, fürs Gymnasium gilt das insbesondere für die Abiturprüfungen. Beim letzten Abitur sind Inhalte weggefallen, 2022 wird das auch der Fall sein. Ob es im Jahr 2023 auch so sein wird, weiß ich noch nicht. Aber ich denke, dass man irgendwann auch wieder sagen muss, dass es gelungen ist, die Rückstände aufzuholen.

Aber die Generation, die in einigen Jahren Abitur macht, wird Wissenslücken haben, muss aber den normalen Anforderungen des Abiturs entsprechen.

Martini: Da haben Sie recht. Aber die haben ja genügend Zeit, auch durch zusätzliche Angebote aufzuholen. Außerdem finden viel weniger Fahrten statt. Es gibt deshalb mehr Unterrichtsstunden als unter normalen Bedingungen.

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