Kreis und quer:Ein Auftritt für die Geschichtsbücher

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Kerstin Schreyer kann etwas Großes schaffen. Dafür muss die ehemalige Verkehrsministerin nur eines tun: reden.

Kolumne von Martin Mühlfenzl

Alles ist vergänglich. Das müssen sich auch Politiker bewusst machen, denen neben dem eigenen Machterhalt vor allem wichtig ist, was sie Bedeutsames hinterlassen - womit sie also einen nicht zu übersehenden Eintrag in den Geschichtsbüchern ergattern. Bei Kerstin Schreyer, der ehemaligen CSU-Verkehrsministerin, hätten es so etwas Banales wie Verkehrsschilder sein können. Schließlich war es vor allem Schreyer zu verdanken, dass an der A 995 bei Unterhaching und der A 8 bei Neubiberg nach jahrelangem Kampf endlich Geschwindigkeitsbegrenzungen zum Schutz der Anwohner eingeführt wurden. Leider sind die Schilder allerdings wieder abmontiert worden, weil eine juristische Prüfung ergeben hatte, dass Tempolimits in diesen Bereichen nicht zu halten sind.

Das war es also mit dem politischen Vermächtnis der ehemaligen Ministerin. Oder doch nicht? Gerade offenbart sich eine einzigartige Chance für Schreyer, etwas geradezu Episches zu vollbringen, von dem noch in Generationen die Rede sein wird. Was sie dafür tun muss? Nicht viel, einfach nur reden. Und zwar im Untersuchungsausschuss des Landtags zum Desaster beim Bau der zweiten S-Bahn-Stammstrecke. Diesem epochalem Scheitern, über das sie sogar in der Hamburger Elbphilharmonie und am Berliner Flughafen lauthals lachen - und über das der Ministerpräsident am liebsten den Mantel des Schweigens legen würde.

Nun aber wird in einem Untersuchungsausschuss aufgearbeitet, warum Markus Söder so lange vertuscht hat, dass das Projekt so viel teurer und länger dauern wird. Und das kann für ihn zum ernsthaften Problem werden, gerade vor der bevorstehenden Landtagswahl. Es muss ja nur jemand singen, also reden - und dem Ministerpräsidenten zumindest einen Teil der Verantwortung für das Milliarden-Desaster anlasten.

Kerstin Schreyer, von 2020 bis 2022 Staatsministerin für Wohnen, Bau und Verkehr, war direkt mit der Angelegenheit befasst und gilt als Aufklärerin in der Sache. Sie könnte sicher viel erzählen über diese ungeheuerliche Posse, für die niemand gerade stehen will. Aber sie hält sich bisher zurück. Das könnte sich aber bald ändern. Spätestens dann, wenn sie in den Untersuchungsausschuss vorgeladen wird. Zu verlieren hat die Unterhachingerin eigentlich nicht viel. Unter Söder, der sie ja als Ministerin erst eingestellt und dann (warum eigentlich?) wieder geschasst hat, wird sie nichts mehr und das Direktmandat im Stimmkreis München-Land Süd wird sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wieder holen. Wenn das nicht der Zeitpunkt für einen Eintrag in die Geschichtsbücher ist.

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