Zusammenleben:Wo die Menschenwürde zuhause ist

Lesezeit: 2 min

In Oberhaching hat die dritte Demenz-WG im Landkreis eröffnet. Neun Menschen können dort betreut in Gemeinschaft leben. Weitere Häuser sollen unter anderem in Taufkirchen, Unterhaching und Neubiberg folgen

Von Claudia Wessel, Oberhaching

Das orangefarbene und das violette Zimmer sind noch frei, die potenzielle Bewohnerin ist auch da. Sie grüßt freundlich in die Runde, vielleicht ein bisschen zu freundlich, und sie scherzt mit jemandem, der ihr die Hand reicht. Erst beim zweiten Zuhören merkt man, dass die Dame schon Anzeichen von Demenz zeigt. Sie ist in Begleitung ihrer Töchter da und die beiden sind der wandelnde Zweifel. "Ist es nicht noch einen Tupfer zu früh?", fragt eine von ihnen Vlasta Beck, die als Moderatorin in dieser neuen Demenz-Wohngemeinschaft tätig sein wird. "Nein", sagt Beck. "Es ist nicht zu früh, das sagt mir meine Erfahrung."

Trotzdem haben die beiden Töchter Angst, ihrer Mutter zu sagen, dass sie hier wohnen soll, ihr Zuhause verlassen. Sie haben ein sichtbar schlechtes Gewissen. "Wir werden in Ruhe darüber sprechen", sagt Beck. "Ich komme zu Ihnen nach Hause." Aber eines sei nun einmal so: Der Tag des Umzugs sei immer schlimm, da müsse man durch.

Es ist der Nachmittag der Einweihung der dritten Demenz-WG im Landkreis München, die zur Maro-Genossenschaft für selbstbestimmtes und nachbarschaftliches Wohnen gehört und gemeinsam mit der Alzheimer-Gesellschaft und der Gemeinde initiiert wurde. Zwei gibt es bereits in Ottobrunn, viele weitere sind geplant. So hat Taufkirchen gerade beschlossen, auch eine solche Wohngemeinschaft einzurichten, Anfragen gibt es überdies von Kirchheim, Oberschleißheim, Unterhaching und Neubiberg. Auch in Oberhaching wird die WG im Inneren Stockweg wohl nicht die einzige bleiben, wie Bürgermeister Stefan Schelle (CSU) in seiner Rede am Montag ankündigte. "Hochgerechnet haben wir in Oberhaching etwa 250 Betroffene", sagte er. Auch werde er sich hier sicher öfters blicken lassen, ließ er wissen. "Es gibt hier viele runde Geburtstage zu feiern." Außerdem werde ja im Keller ein Musikraum eingerichtet, in dem unter anderem die Oberhachinger Blaskapelle üben werde, in der er selbst mitspielt.

Den Segen für die Wohngemeinschaft sprach der evangelische Pfarrer Karsten Schaller aus. "In Oberhaching gibt es schon viele Leuchtfeuer für Menschenwürde", sagte er und nannte den Helferkreis, die Nachbarschaftshilfe und das Café, das im alten Bahnhof errichtet werden soll. "Diese Demenz-WG gehört auch dazu." Sie mache Oberhaching noch menschlicher, heller und wärmer. Neun Menschen können hier zusammenleben, sieben Zimmer sind schon vergeben.

Inge Schmidt-Winkler, Projektleiterin und Vorstand der Maro-Genossenschaft, überreichte einen symbolischen Schokoladen-Schlüssel an Vlasta Beck. Sie wird für etwa zwei Jahre als Moderatorin in der WG tätig sein und ein Gremium aus Angehörigen aufbauen. Denn letztendlich sind es diese selbst, die die Leitung der WG übernehmen. Es gibt keinen Träger, es handelt sich nicht um eine "Einrichtung", wie auch Schelle betonte, sondern die Bewohner beziehungsweise ihre Angehörigen sind Miteigentümer der Genossenschaftswohnung.

Betreut werden die Bewohner von einem Pflegedienst.

In dem Haus, das zum Einheimischemodell gehört, gibt es neben der Demenz-WG noch Räume der Nachbarschaftshilfe und Mietwohnungen. "Bisher hatten wir den leichten Part, wir hatten die Idee, sagte Jürgen Hoerner, Vorsitzender der Alzheimer-Gesellschaft, bei der Eröffnung. Von Januar an aber werde die Alzheimer-Gesellschaft mit ihren Ehrenamtlichen präsent sein, es werde viele bunte Nachmittage mit Spiel und Tanz geben. Bei dieser Ankündigung ging ein freudiges Raunen durch die Zuhörer. Nur die beiden Töchter waren immer noch angespannt. "Jetzt hat die Mama schon blöd geschaut, als sie gehört hat, wo wir sind." Nein, entschieden sei noch nichts, betonen sie, trotz des fantastischen Konzepts.

© SZ vom 19.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: