Zukunft der Feuerwehren:Ritt auf der Rasierklinge

Zukunft der Feuerwehren: Wenn der Anrückweg für die Feuerwehrleute zu weit ist, gerät der Einsatz in Gefahr.

Wenn der Anrückweg für die Feuerwehrleute zu weit ist, gerät der Einsatz in Gefahr.

(Foto: lks)

Wenn die Freiwillige Feuerwehr ausrückt, tickt der Sekundenzeiger. Doch tagsüber fällt es oft schwer, genügend Einsatzkräfte im Ort zu finden. Die Feuerwehren suchen nach Auswegen.

Von Bernhard Lohr

Wenn es auf dem Autobahn-Ostring bei Haar zum Unfall kommt, geht es oft um Menschenleben. Dann tickt der Sekundenzeiger. Sobald in der Feuerwehr-Einsatzzentrale im Landratsamt am Mariahilfplatz in München ein Notruf eingegangen und alles notiert ist, geht per Funk der Alarm raus an die Feuerwehrwehrleute in Haar. Spätestens zehn Minuten nach Eingang einer Meldung bei der Einsatzzentrale sollen sie am Unfallort sein - vollzählig. "Am Ende kriegen wir schon immer die erforderlichen Leute zusammen", sagt der Haarer Kommandant Thomas Schwinghammer. Aber Fakt ist auch: Die Hilfsfrist halten sie nicht immer ein. Es ist ein Ritt auf der Rasierklinge.

Die ersten fünf, sechs Minuten nach dem Alarm sind entscheidend

Dabei sind es ehrenamtliche Helfer, die sich bei Alarmen solch einem immensen Druck aussetzen. Sie müssen an ihrem Arbeitsplatz alles stehen und liegen lassen und los. Doch was ist, wenn auf der Wasserburger Straße wieder einmal Stau herrscht? Und was ist, wenn gar nicht so viele Haarer Feuerwehrleute am Ort sind, weil sie ihren Arbeitsplatz in München oder Oberschleißheim haben? Dann beginnt das Bangen am Feuerwehrhaus, wo die hauptamtlichen Gerätewarte auf die Freiwilligen warten, um mit dem ersten Wagen vom Gerätehaus an der Vockestraße losfahren zu können. Sechs Aktive sind die Mindestzahl.

Die ersten fünf, sechs Minuten seien entscheidend, sagt Kommandant Schwinghammer. Das sei die heikelste Phase, wenn es gelte, die Hilfsfrist einzuhalten. Die ist im übrigen zwar eine Vorgabe, die jeder denkbar ernst nimmt. Aber haftungsrechtlich spielt sie nach Aussage des geschäftsleitenden Beamten im Haarer Rathaus, Helmut Schmid, keine Rolle. Der Druck ist den Ehrenamtlichen, die in 45 Freiwilligen Feuerwehren im Landkreis München Dienst tun, dann doch genommen. Zehn Werksfeuerwehren gibt es obendrein.

4000 Aktive gibt es im Landkreis in etwa, die bei Bränden, Unfällen und Hilfeleistungen ausrücken können. 470 Mitglieder zählen die Jugendfeuerwehren. Kreisbrandrat Josef Vielhuber lobt die Stärke der Einsatzkräfte, die im Münchner Ballungsraum ja auch außerordentlich gefordert seien. Freilich seien nicht alle "gleich aufgestellt", sagt Vielhuber. Wenn viele der Aktiven außerhalb der Gemeinde arbeiteten, "wird es schwierig, die Einsatzzeiten tagsüber zu halten". Das betrifft alle gleichermaßen. Und das ist auch der Grund, warum Vielhuber betont, wie wichtig eine qualitativ hochwertige Nachwuchsarbeit ist, die die Jungen auch bei der Stange hält.

Die Feuerwehren gehen gezielt auf Junge, Frauen und Quereinsteiger zu

Die Feuerwehren selbst gehen neue Wege, Aktive für sich zu gewinnen. Dass sie Frauen genauso akquirieren müssen wie Männer ist mittlerweile überall angekommen. Darüberhinaus gingen die Feuerwehren in Brunnthal und Hofolding kürzlich mit einer Werbekampagne an die Öffentlichkeit. Und die Feuerwehr Kirchheim bietet nun ein modifiziertes Ausbildungskonzept an, um Quereinsteiger zu motivieren, die sich nicht monatelang in Kurse setzen wollen. Ausbildungsleiter Thomas Rimner sagt, besonders 18- bis 40-Jährige würden angesprochen, die sich neben Studium, Ausbildung, Beruf und Familie engagieren möchten. Die sonst zweijährige Grundausbildung werde durch Intensivkurse an Samstagen auf wenige Monate reduziert, sagt er. "Wir betreten hier Neuland", sagt Kommandant Franz Fischer. Bereits fünf Personen hätten verbindlich zugesagt.

Die Feuerwehr in Haar geht einen anderen Weg. Sie hat mit der Gemeinde eine Kampagne für Doppelmitgliedschaften gestartet, um die Einsatzbereitschaft der mit 104 Aktiven im Grunde durchaus gut aufgestellte Feuerwehr tagsüber zu stärken. Man will all die ansprechen, die in ihren Heimatorten bei der Feuerwehr sind, aber in Haar ihren Arbeitsplatz haben. Diese sollen sich zusätzlich auch in Haar der Feuerwehr anschließen. Auch wurden örtliche Unternehmen angeschrieben, um deutlich zu machen, wie wichtig es für die Gemeinschaft ist, dass Beschäftigte bei einem Notfall den Arbeitsplatz verlassen können.

Haar Feuerwehr Ludwig Kaltenberger und Johannes Kolbe

Johannes Kolbe (rechts) ist jetzt Doppelmitglied der Haarer Feuerwehr und tut Dienst mit Ludwig Kaltenberger.

(Foto: oh)

Nicht immer ist das möglich. Ein Arzt kann nicht einfach seine Patienten warten lassen, ein Lehrer nicht einfach den Unterricht unterbrechen. Und ein Schüler des Ernst-Mach-Gymnasiums in Haar, der bei der Feuerwehr ist, kann in einer Prüfung nicht einfach aufstehen und gehen. Wer wann zu einem Einsatz eilen kann, ist im übrigen bei der Leitstelle im Alarmplan hinterlegt. Im Notfall springt laut Vielhuber eine Nachbarfeuerwehr ein.

Der Kreisbrandrat sieht auch die Gemeinden in der Pflicht

Damit es nicht soweit kommt, sieht er auch die Gemeinden gefordert. Schließlich sind sie der ideale Arbeitgeber aus Sicht der Feuerwehr. Wer am Bauhof oder im Rathaus tätig ist, kann tagsüber ausrücken und die Frage, ob der Bürgermeister so jemanden freistellt, erübrigt sich. Der erste, der sich in Haar als Doppelmitglied einbringt, ist der 23-jährige Johannes Kolbe. Er arbeitet als Gärtner beim Bauhof und gehört eigentlich zur Feuerwehr seiner Heimatgemeinde Altenerding.

Den Weg, über den Bauhof an neue Feuerwehrleute zu kommen, hat Grasbrunns Kommandant Hannes Bußjäger vor Jahren schon gewählt. Als man gemerkt habe, dass vom Bauhof keiner bei der Feuerwehr sei, habe man eine Ausbildung tagsüber angeboten. Das sei richtig gut angekommen. Keiner wolle doch mit 40 Jahren abends noch die Schulbank drücken, sagt er. In sechs Jahren kamen so 35 neue Feuerwehrler dazu. 107 sind es aktuell. Doppelmitgliedschaften nutzen die Grasbrunner im übrigen auch. Vor allem die Firmen im Technopark habe man angesprochen. Im übrigen sind in Grasbrunn viele ortsansässige Handwerker bei der Feuerwehr, die tagsüber ausrückten.

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