Süddeutsche Zeitung

Kreis und quer:Spreng mich!

Warum unbekannte Täter ihre Lust daran entdecken, Dinge in die Luft zu jagen.

Kolumne von Martin Mühlfenzl

Sucht macht erfinderisch, zumindest wenn das notwendige Material zuhause rumliegt. Und welcher Raucher kennt ihn nicht, diesen Drang, den Zigarettenautomaten an der nächsten Straßenecke in die Luft zu jagen, wenn ihm die Fluppen ausgegangen sind und Kleingeld fehlt. Dieses ganz normale Verlangen bietet schließlich gleich zwei Vorteile: Erstens purzelt bei erfolgreicher Detonation das Objekt der Begierde aus dem zerborstenen Metallkasten, zweitens kann das so gewonnene Kleingeld bei einem intakten Automaten umgetauscht werden.

Es ist also vollkommen unangebracht, Menschen, die ihre Sucht auf diese Art und Weise befriedigen, in dieselbe kriminelle Ecke zu stellen wie jene Panzerknacker, die seit Monaten Geldautomaten sprengen. Trotzdem hat die Polizei genau das in dieser Woche getan, als sie in Heimstetten und Dornach Ermittlungen aufnahm, nachdem zwei Zigarettenautomaten hochgejagt worden waren - als handelte es sich bei den Tätern um Schwerverbrecher. Vermutlich sind die Männer und Frauen in Uniform allesamt Nichtraucher. Die Täter dagegen demonstrierten, zu welcher Kreativität Raucher dank Nikotin fähig sind: Einer der beiden Automaten flog sage und schreibe 15 Meter durch die Luft, ehe er nach wahrscheinlich eher unsanfter Landung endlich ausgenommen werden konnte. Das muss schon ein ganz schöner Knall gewesen sein.

Was nun aber die noch flüchtigen Täter dazu bewegt haben könnte, nur wenige Tage später am Haarer Bahnhof einen Fahrkartenautomaten mitten in der Nacht in die Luft zu jagen, bleibt rätselhaft. Erstens spuckt der nur kleine Papierchen ohne Tabak aus, zweitens fährt zu der Uhrzeit eh keine S-Bahn. Und ein Schwarzmarkt für S-Bahn-Ticktes existiert spätestens nicht mehr, seit es die MVV-App gibt.

Woher aber kommen die Lust am Knall und die Vorräte an Sprengstoff? Vielleicht liegt beides daran, dass während der Corona-Pandemie der Verkauf von Feuerwerkskörpern und Böllern lange Zeit untersagt war und sich einiges an Vorrat angestaut hat. Möglicherweise will auch der eine oder andere einfach noch mal schnell etwas hochjagen, ehe böse Mächte - wie die FDP - potenzielle Ziele aus dem Straßenbild entfernen lassen. Kaugummiautomaten etwa, die aufgrund ihrer Größe mit geringen Mengen Sprengstoff pulverisiert werden konnten, sind ja mittlerweile ebenso verschwunden wie Telefonzellen, für die es freilich eines größeren Arsenals bedurfte. Wenn also das Fahrscheingeschäft bald komplett durchdigitalisiert ist, bleiben tatsächlich nur noch die Zigarettenautomaten. Und die schreien förmlich danach: Spreng mich!

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