Normalerweise ist das Publikum ein anderes: Abendgarderobe dominiert für gewöhnlich, wenn im Wolf-Ferrari-Haus eine Veranstaltung über die Bühne geht. Am Samstagabend sind es Menschen in Motorrad- oder Sportklamotten, die ins Ottobrunner Kulturzentrum kommen. Erstmals findet hier eine Fight-Night mit Box- und Kickbox-Kämpfen statt. Und das kurioserweise am selben Abend, an dem Stefan Raab in Düsseldorf mit einem Kampf gegen die frühere Boxweltmeisterin Regina Halmich sein Fernsehcomeback gibt.
In Ottobrunn ist das Tamtam naturgemäß weniger groß, der Abend hat dennoch alles, was zu einem zünftigen Kampfsportevent gehört. Veranstalter ist das örtliche Kampfsportstudio Bayern, das in der Putzbrunner Straße seine Räumlichkeiten hat; der Bund Deutscher Berufsboxer (BDB) kümmert sich darum, dass alles ordnungsgemäß und nach den gängigen Profiregeln abläuft. Und das Ambiente sei so gestaltet, dass es ein Abend für die ganze Familie wird, sagt Sportstudio-Inhaber Rewing Obaid.
Im Publikum sitzen dann auch Paare oder Väter mit Kindern. An der Bühne im ausverkauften Wolf-Ferrari-Haus haben sich viele Motorradfahrer verschiedener Klubs niedergelassen, auf den anderen Seiten des Boxrings die Anhänger der insgesamt 16 Kämpfer des Abends. Vor dem Hauptkampf zwischen Armand Cullhaj, 34, Mitinhaber und Trainer beim Ottobrunner Kampfsportstudio Bayern, und Angel Adrian Barroso, 24, aus Venezuela, gibt es je zwei Boxkämpfe auf Amateur- und Profiniveau sowie drei Kickbox-Duelle.
Im Saal macht der fünf mal fünf Meter große Ring mit den vier gespannten Seilen Eindruck, den der Profi-Boxstall Sauerland aufgebaut hat. Alles ist perfekt und bis ins Detail vorbereitet, so die blauen und roten Boxhandschuhe in den jeweiligen Ecken, in denen die Sportler zwischen den Runden auf ihren klassischen Dreibeinhockern Platz nehmen. Nur ein zentraler Beleuchtungsspot auf den in der Mitte stehenden Ring ist nicht möglich, bedauert die Haustechnikerin. Dafür klappt die Musikbeschallung.
Schon geht es los. Großen Eindruck machen zwei junge Kickboxer, der elf Jahre alte Allessio Peluso und der zehnjährige Mark Poskotin. Sie versetzen mit ihrer enormen Energie und Leidenschaft die erwachsenen Zuschauer in Begeisterung. Unablässig decken die zwei Buben einander mit Hand- und Fußtechniken ein. Beide werden unter dem tosenden Applaus der 400 Besucher zu Siegern erklärt.
Pia Vogel und Stefanie Hintz wollen weniger stürmisch zum Erfolg kommen. Sie belassen es häufig bei nur einer Fußtechnik, wo eine zweite hätte folgen können. Anfeuerung aus dem Publikum kommt dennoch, denn es sind viele Kolleginnen aus dem Ottobrunner Kampfsportstudio da. Bei der nächsten Gala, die für Ende Dezember geplant ist, soll es mehr Frauenkämpfe geben, kündigt Organisator Rewing Obaid an.
Nach 130 Sekunden bricht der Ringrichter ab, um den unterlegenen Boxer zu schützen
Für den nächsten Kampf eines Boxers, der sich nur Ionut nennt, sind eigens 150 Fans aus Regensburg gekommen. Doch nach nur zwei Minuten und zehn Sekunden geht dessen Gegner Benjamin Skender bereits zu Boden, wird angezählt, rappelt sich zwar noch einmal hoch, doch der Ringrichter entscheidet auf „technischen K.o.“. Er nimmt den Bosnier aus dem Kampf, um ihn vor möglichen Verletzungen zu schützen. Ionut entschuldigt sich, dass es so schnell gegangen sei, seine Anhänger sind dennoch aus dem Häuschen. Ein kurzer, guter Kampf gefalle ihm besser, als wenn es sich sechs Runden hinschleppe, flüstert ein Zuschauer seinem Sitznachbarn zu.
Es gebe nun eine längere Pause, weil die nächsten Kämpfer noch Zeit brauchen, erklärt Andreas Pfeiffer, der als Ringsprecher mit ziemlich knappen Erklärungen durch den Abend führt. Da steigt Wirtin Paula Reisek vom Wirtshaus Ottobrunn in den Ring, aber nur für ein Foto, wofür sie prompt Applaus erhält. Auch der improvisierte Bauchtanz eines der zwei Nummerngirls gefällt den Leuten. Der Hauptkampf mit dem früheren Europameister Armand Cullhaj rückt näher.
Zunächst kämpft dessen jüngerer Bruder Keli, 27, gegen Ramiro Blanco aus Nicaragua. Keli spielt geradezu mit seinem Gegner, gestattet ihm einige Schläge, die er mit Geraden, Haken oder Upper-cuts kontert. Provozierend häufig lässt Keli seine Arme herabhängen, doch Blanco ist machtlos und verliert klar nach Punkten. Im folgenden Kickbox-Kampf deckt Lokalmatador Krzysztof Dawiskiba vom Kampfsportstudio den hoch eingeschätzten Habib Wadan mit einem Feuerwerk an Techniken ein. Das zwingt Wadan zweimal auf die Knie, seine Ecke wirft das Handtuch. Die Fans aus Ottobrunn jubeln.
Ein albanischer Parlamentsabgeordneter gratuliert dem Sieger
Dann endlich steigt Armand, der ältere der Cullhaj-Brüder, nach zwei Jahren Wettkampfpause wieder in den Ring. Sein Gegner Angel Barroso ist kleiner und schmächtiger als er, legt aber gleich tapfer los. Dass er seinen blauen Mundschutz verliert, merkt der Kampfleiter erst durch Rufe der Zuschauer. „Geh ran, Alter!“, tönt es aus der Ecke der Nummerngirls. Der Kampf ist auf sechs Runden à drei Minuten angesetzt. Die weißen Boxhandschuhe Armands klatschen mit einem dumpfen Ton auf die Flanke von Barroso. Die Mitglieder des Ottobrunner Boxstalls können kaum stillhalten und stimmen „Armand“-Chöre an. Seinem Gegner fliegt immer wieder der Zahnprotektor aus dem Gesicht, was ihm willkommene Pausen verschafft. Die schwarzen Boxhandschuhe vors Gesicht gehalten, versucht er die Schläge von Cullhaj abzupuffern. In Runde drei ist Schluss. Technischer K.o. nach zwei Minuten und 54 Sekunden. Applaus und Bravo-Rufe von allen Seiten.
Mit einer albanischen Fahne trägt Armand seinen knapp drei Jahre alten Sohn Anuar, nach dem die Fight Night benannt ist, durch den Ring, grüßt in die Halle und Richtung Balkon, wo seine Familie und die Eltern sitzen. Sie sind extra für heute Abend aus Albanien angereist. Seine jüngere Tochter Dhurata liegt schon müde in den Armen ihrer glücklichen Mama. Der albanische Parlamentsabgeordnete Xhemal Qefalia, ein Freund der Familie Cullhaj, kommt in den Ring und ist voll des Lobes. Dem Politiker hat es offenbar gefallen. Das gilt für die meisten im Publikum, auch für Silke Eineder aus Ottobrunn, die gekommen ist, um die integrative Arbeit von Armand und Rewing zu unterstützen: „Ich finde es klasse, was die zwei in ihrem Boxstall leisten, wie viele Nationalitäten sie dort zusammenbringen.“
Im Dezember soll es eine Wiederauflage geben, dann will Armand Cullhaj seinen EM-Titel zurückholen, den er 2018 schon innehatte. Menschen in Abendgarderobe werden auch dann im Wolf-Ferrari-Haus eher die Ausnahme sein.