Wohnen in und um München:Obdachlos im Winter: "Wie ein Tier lebe ich hier"

Wohnen in und um München: Wohnen im Landkreis München mal anders: Unter der Grünwalder Brücke hat sich ein Obdachloser trotz Eis und Schnee eingerichtet.

Wohnen im Landkreis München mal anders: Unter der Grünwalder Brücke hat sich ein Obdachloser trotz Eis und Schnee eingerichtet.

(Foto: Claus Schunk)

Schneeräumen auf dem Weg zum Klo, Schlafen mit Winterjacke: Mehr als 200 Menschen im Landkreis München sind wohnungslos - wo verbringen sie die eisigen Winternächte?

Von Christina Hertel

Feierabend. Ahmad sieht müde aus. Er hat dunkle Ringe unter den Augen, seine Haut ist blass. Er trägt einen grauen Arbeitsanzug, schwere Schuhe und kommt sicher nicht aus einem warmen Büro. Gerne würde sich Ahmad jetzt ausruhen, ein bisschen aufs Sofa legen, gemütlich fernsehen. Geht aber nicht. Er wohnt als einer der letzten in der Wohnwagensiedlung in Höhenkirchen.

Durch den Schnee hat er sich Wege geschaufelt, zu den Toiletten, zur Küche, zum Ausgang. Es ist bitterkalt, die Sonne ist schon seit längerem untergegangen und Ahmad hat ein Problem: Stromausfall in seinem Wagen. Er ruft den Hausmeister an, doch der geht nicht ran. Was tun?

In Wirklichkeit heißt Ahmad anders, doch er will nicht, dass jemand seinen Namen in der Zeitung liest. Seine Geschichte hört sich eigentlich nach einem Musterbeispiel von Integration an - aber eben nur eigentlich. Er kommt aus Afghanistan, floh vor den Taliban, erreichte Deutschland. Das ist fünf Jahre her. Inzwischen weiß er, dass er bleiben kann, hat einen Job und sagt, er wäre der glücklichste Mensch, hätte er bloß eine Wohnung. Aber es besteht wenig Hoffnung. Eine Sozialarbeiterin hilft ihm bei der Suche. "Sie sagt immer: Es ist schwierig", erzählt er.

Die Wohnwagensiedlung gibt es seit 2014. Zeitweise lebten hier fast 40 Menschen. Doch sie zogen alle in feste Holzhäuser um. Die Wohnwagen und die Container, die Höhenkirchens Bürgermeisterin Ursula Mayer (CSU) seinerzeit für anerkannte, aber obdachlose Asylbewerber aufstellen ließ, sind jetzt fast alle leer - bis auf zwei, in denen Ahmad aus Afghanistan und Christopher Okonkwo aus Nigeria wohnen. Bürgermeisterin Mayer sagt, die beiden müssten da nicht wohnen, sie hätten auch mit umziehen können. Selber schuld, dass sie jetzt frieren?

Ahmad wollte sich kein Zimmer mehr mit Fremden teilen. "Die sind alle noch nicht so lange da. Haben keinen Job. Telefonieren die ganze Nacht", sagt er. "Ich arbeite." Er dachte aber nicht, dass es so lange dauern würde, eine Wohnung zu finden. Christopher Okonkwo, der Nigerianer, versteht gar nicht, warum er mit Flüchtlingen in einem Zimmer zusammen wohnen sollte. Seit 16 Jahren lebt er in Deutschland. "Ich habe Steuern gezahlt." So richtig auf eigenen Füßen stand er allerdings auch nie. Er braucht immer noch Hilfe von einer Sozialarbeiterin - beim Ausfüllen von Formularen, beim Bezahlen von Rechnungen.

Wenn Okonkwo erzählt, wie es ihm hier geht, wird seine Stimme laut und je lauter sie wird, desto schwieriger ist es, ihn zu verstehen. Bei ihm funktioniert der Strom zwar, zwei Heizstrahler sind angeschaltet, aber der Boden, die Matratze, die Wände kühlen trotzdem schnell aus. Es ist eben ein Haus aus Plastik. Er trägt mehrere Pullover übereinander, schläft mit seiner Winterjacke. "Wie ein Tier lebe ich hier", sagt er. Früher arbeitete er für einen Sicherheitsdienst, zurzeit ist er arbeitslos.

Nicht alle Gemeinden haben Einrichtungen für Obdachlose

Er hat zwei Töchter, die in Unterhaching bei ihrer Mutter leben. "Sie kommen mich nicht mehr besuchen." Wo sollten zwei Kinder hier auch hin? Es gibt eine Matratze und einen Tisch mit einer Bank drumherum. Die Kartons stapeln sich, alles steht voll. Außen stehen alte Gartenmöbel und leere Wohnwagen - alles von einer dicken Schneeschicht bedeckt. Andere Menschen verirren sich selten her: Die Siedlung zwischen Sportplatz und Bauhof ist zu Fuß 20 Minuten von der S-Bahn entfernt. "Es ist ein Gefängnis", sagt Okonkwo.

Der Nigerianer und der Afghane sind zwei von mehr als zweihundert Obdachlosen im Landkreis München. In diesem Winter, da die Temperaturen nachts seit Wochen auf minus 15 Gad fallen und auch tagsüber unter dem Gefrierpunkt bleiben, ist es besonders schwer. Dabei haben sie noch Glück.

Wohnen in und um München: Auch in der Höhenkirchner Wohnwagensiedlung überwintern vereinzelt Menschen.

Auch in der Höhenkirchner Wohnwagensiedlung überwintern vereinzelt Menschen.

(Foto: Claus Schunk)

Die meisten Gemeinden im Landkreis haben gar keine Unterkünfte für Obdachlose. So kommt es, dass unter der Grünwalder Brücke seit Jahren ein Wohnsitzloser lebt. Der Mann hat sich geschützt am westlichen Brückenpfeiler eine Behausung aus Kartons und Planen gebaut - und das in Sichtweite der Millionärsgemeinde Grünwald. Wie viele Winter er hier schon verbracht hat, weiß er nicht. Aber dieser Winter sei "extrem".

Nur in Planegg, Gräfelfing, Unterschleißheim und eben Höhenkirchen gibt es eigene Einrichtungen für Obdachlose. Aber auch in den anderen Gemeinden müsse eigentlich niemand auf der Straße leben, sagt Stefan Wallner von der Fachstelle zu Verhinderung von Obdachlosigkeit. Die Kommunen seien verpflichtet, die Menschen irgendwie unterzubringen. Wo es keine freien Wohnungen gibt, bringen Gemeinden Obdachlose in Pensionen unter - meist in München. Der Nachteil: Sozialarbeiter kommen dort nicht hin, sie besuchen nur die wenigen offiziellen Einrichtungen im Landkreis. "Es wird niemand einfach wieder zurück auf die Straße geschickt", sagt Wallner, "aber die Menschen werden auch nicht begleitet."

2015 waren im Landkreis 209 Menschen ohne eigene Wohnung, darunter 60 Kinder. Eine aktuelle Statistik gibt es nicht. Große Familien, sagt Wallner, würden ihre Wohnung besonders häufig verlieren. "Mit fünf Kindern in der Region München etwas Bezahlbares zu finden ist utopisch." In den Unterkünften in Unterschleißheim sind zehn der 18 Obdachlosen Kinder. "Das sind oft schwierige Familienverhältnisse", sagt Thomas Stockerl von der Stadtverwaltung.

Immerhin gibt es in Unterschleißheim fast 60 Plätze für Obdachlose - nicht in Wohnwägen, sondern in Häusern und Wohnungen. Dennoch werden die Plätze knapp. Die Anzahl der Menschen, die keine Wohnung haben, steige, sagt Stockerl. Der Grund ist offensichtlich: Günstiger Wohnraum ist knapp in der Region. So leben manche schon seit Jahren in einer Unterkunft der Stadt.

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